„Die wollen uns an die Peripherie abschieben“

Die deutsche Firma Fraport hat im Januar für 20 Jahre den Flughafen Aeroporto Internacional Salgado Filho von Porto Alegre übernommen und verspricht Investitionen. So soll die Landebahn auch für größere Flugzeuge erweitert werden. Dafür müssen bis Oktober 2019 6.500 Menschen der angrenzenden Favelas zwangsumgesiedelt werden. Doch die wehren sich

Von Christian Russau, Lateinamerika Nachrichten

Seit in Brasilien ab 2008 die ersten Planungen für gigantische WM-Infrastukturprojekte im ganzen Land aus dem Boden sprossen, war der Ausbau des Flughafens von Porto Alegre, Salgado Filho, ausgemachte Sache. Der Ausbau der Landebahn sei nötig, damit auf dem internationalen Flughafen auch größere Maschinen landen und starten könnten. So würde die bestehende Piste, die 2.280 Meter lang ist, auf 3.200 Meter verlängert werden. Doch dafür müssten 1.500 Menschen der angrenzenden Favela Vila Dique und die 5.000 Menschen der sich ebenfalls dort befindlichen Favela Nazaré zwangsumgesiedelt werden.

vila dique 2016Zwischen 2009 und 2012 wurden aus der Vila Dique die ersten 900 Familien, knapp 4.000 Menschen, umgesiedelt. Doch die restlichen Familien, von denen viele dort seit 40 Jahren leben, weigerten sich. Denn schnell sprach sich herum, wie das neue Wohnviertel aussah, in das die umgesiedelten Familien gezogen waren.

Sheila Mota ist Vorsitzende der Anwohner*innenvereinigung der Widerstandsbewegung Vila Dique Resiste. Gegenüber Medien berichtete sie, dass die Ersatzhäuser mit 38 Quadratmeter viel zu klein für die zwangsumgesiedelten Familien waren, die oftmals zu zehnt dort wohnen mussten. „Von diesen 900 Familien sind etliche wieder zurück zur Vila Dique gekommen“, sagt Sheila Mota. „Da in Porto Novo gibt es zu viel Gewalt und keine Arbeit. Und der Transport erst: Viele müssen zwei Busse nehmen, um zur Arbeit zur kommen.“ Die meisten arbeiten, so Mota, als Sammler*innen von Müll oder in Recyclingfabriken, dies sei in der neuen Gegend aber nicht möglich. „Die meisten hier arbeiten mit Recycling, das ist unser täglich Brot. Da in Porto Novo gibt es keine Jobs in der Recycling-Branche, kein Auskommen“, sagt Mota. Die ersten hundert Bewohner*innen der neuen Wohngegend von Porto Novo sind wieder zurück in die Vila Dique gezogen.

Dort in der Vila Dique ist die Infrastruktur seit den ersten Zwangsumsiedlungen aber massiv schlechter geworden. Denn eine der ersten Handlungen der Präfektur war die Schließung des örtlichen Gesundheitsposten. Denn schließlich hatte die Politik entschieden, dass die Vila Dique der Flughafenpiste Platz machen sollte. Doch diese Rechnung war ohne die Bewohner*innen gemacht worden. „Wir wohnen hier seit 40 Jahren und seit fünf Jahren leisten wir Widerstand“, sagt Sheila Mota. „Wir wollen aber den Politikern und den Ämtern zeigen, dass wir zur Stadt gehören! Dass wir hier unten auch ein Recht auf Stadt haben!“ Denn nur hier in der Vila Dique und der ebenfalls an den Flughafen angrenzenden Vila Nazaré gäbe es die Infrastuktur, die die Bewohner*innen bräuchten. „Wir wollen das gleiche Recht wie die Reichen haben, nahe an unseren Arbeitsplätzen zu wohnen. Wir wollen nicht die ganze Stadt durchqueren müssen. Wir wollen nicht an der Peripherie der Peripherie der Stadt leben!“, so Mota.

So haben sie die Staatsanwaltschaft und Aktivist*innen kontaktiert und leisten seit 2009 Widerstand gegen die Räumungsandrohungen der Stadt. Die Staatsanwaltschaft klagt gegen die gerichtlichen Androhungen der Zwangsräumungen, und Architekten setzen sich mit den Anwohner*innen zusammen, um alternative Widerstandspläne zu erarbeiten, die vielleicht den Verbleib der comunidades ermöglichen könnten.

Claudia Favaro ist Architektin und erarbeitet einen Plan, um das ganze Gelände vor Räumung zu schützen. Dies könnte nur klappen, wenn es gelänge, vor Gericht einen Landtitel zu erlangen. So einen Landtitel gibt es nur, wenn die comunidade das Gericht von der gesellschaftlichen Bedeutung von Lage und Struktur der comunidade überzeugen kann. Dann wäre eine Räumung gerichtlich schwer durchzusetzen. Aber in Brasilien gab es auch schon viele Fälle, wo eine solche Sozialdemarkation von Gegenden erst vor Gericht erstritten wurde, aber Politiker*innen später das Ganze wieder aufhoben.

Der Kampf um die Vila Dique und Vila Nazaré geht weiter. Bislang lagen die Ausbaupläne für die Flugpiste brach, auch weil die Geldmittel dafür fehlten. „Nun aber wird es aller Voraussicht nach ernst“, sagt Sheila Mota, „denn nun haben sie den Flughafen an die deutsche Firma verkauft“.

Der deutsche MDAX-Konzern Fraport hat zum 1. Januar 2018 den Flughafen Aeroporto Internacional Salgado Filho von Porto Alegre für 382 Millionen Reais (umgerechnet 98 Millionen Euro) übernommen. Der Pachtvertrag läuft über 25 Jahre. Die Fraport AG wird mehrheitlich vom Land Hessen (31,32 Prozent), der Stadt Frankfurt (20 Prozent) und der Lufthansa (8,45 Prozent) kontrolliert. Der Flughafenbetreiber verspricht Investitionen in Höhe von mindestens 600 Millionen Reais, einige Medien in Brasilien spekulierten gar über Investitionen in Höhe von knapp zwei Milliarden Reais. Was aber klar ist: Wird die Landepiste wie vorgesehen erweitert, dann werden die 6.500 Menschen der Favelas Vila Dique und Vila Nazaré zwangsumgesiedelt werden. Der vorgesehenen Stichtag dafür ist Oktober 2019.

Die Anwohner*innen wollen sich aber so leicht nicht geschlagen geben. „Wir haben den Bürgermeister mehrmals kontaktiert, um darüber zu reden. Aber der empfängt einfach niemanden [von uns]“, sagt Sheila Mota. „Das einzige, was wir von ihm gehört haben, war, dass er mit den Deutschen das Geschäft abschließt.“

Für die Chefin der Anwohner*innenvereinigung ist das Ganze ein abgekartetes Spiel. „Die wollen einfach, dass wir klein beigeben“, sagt Sheila Mota. „Die wollen die comunidade vertreiben. Haben wir nicht auch das Recht, nahe der Stadt zu wohnen? Das Ganze ist so hässlich. Alles Immobilienspekulation. Der Grund und Boden, wo jetzt unsere Vila Dique steht, die ist heute Gold wert. Die großen Filetstücke wurden schon von den Firmenbossen aufgekauft. Deshalb wollen sie, dass wir an die Peripherie der Stadt abgeschoben werden, nur deshalb.“

Foto: Maurício Quadros/MTST

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