Was sind die Plurinationalen Frauen*Treffen?

In wenigen Tagen werden Hunderttausende Frauen* und Queers die Straßen, Plätze und Institutionen von La Plata mit ihrem 34. Treffen füllen. Wissenswertes über das Treffen und seine Geschichte in diesem Artikel. 

Von Camila Parodi und Laura Salomé Canteros

Vom 11. bis 13. Oktober findet in La Plata, der Hauptstadt der Provinz Buenos Aires, das 34. Nationale Frauen*treffen, auf Spanisch Encuentro Nacional de Mujeres, statt. Es ist eine der wichtigsten Veranstaltungen für die feministische Bewegung und den Aufbau des poder popular, also der Kraft der Basis und der Straße in Argentinien, Lateinamerika und der Karibik. Die Zusammenkünfte  entstanden 1984 als Nationales Frauen*treffen und zeigen eine der global aktivsten Protestbewegungen.

Auf den selbstverwalteten Treffen entwirft die Bewegung Strategien, um sich kollektiv den vielen alltäglichen Problematiken entgegenzustellen. Diese reichen von der Gewalt gegen Frauen*, über Lohndiskriminierung, der Verteidigung der indigenen Territorien bis hin zu den Möglichkeiten, gegen die Komplizenschaft vorzugehen, die Menschenhandel ermöglichen. Es ist ein Termin, der von Mund zu Mund weitergegeben wird und sich unumkehrbar in die Körper und Subjektivitäten einschreibt: Keine Frau* kommt unverändert von den Workshops und der Großdemonstration des (Pluri-)Nationalen Treffens zurück.

Die auf den Treffen entstandenen Vereinbarungen verleihen der feministischen Bewegung auch jene Organisation und Kraft, die sich besonders in den letzten Jahren mit dem Ausbruch 2015 von Ni una menos („Keine einzige weniger“) und der „grünen Flut“, also der Bewegung für die Legalisierung der Abtreibung seit 2018, zeigt. Damit hat die Massenbewegung begonnen, über die Verteilung der Macht und die entscheidungsträchtigen Positionen in den traditionelleren Räumen zu diskutieren. Seit ein paar Jahren wird auch eine aktive Diskussion um die Umbenennung von National zu Plurinational und von Frauen* zu Frauen*, Lesben, Travestis, Trans- und nicht-binärer Menschen geführt.

Wie sind die Treffen entstanden? Und vor allem, warum finden sie statt?

Für Amanda Alma und Paula Lorenzo, basisbewegte  Journalistinnen sowie Autorinnen des Buches „Mujeres que se encuentran“, übersetzt „Frauen, die sich treffen“, sind die Treffen eine Praxis und eine soziale Geschichte, die die Formen der Organisierung, Partizipation und kollektiver Aktion der Frauen* in Argentinien erzählt. Mit der Demokratie geboren, spiegelte jedes Treffen eine historische Etappe der feministischen Bewegung und des Landes wider.

Deshalb ist es für die Autorinnen notwendig,  die Vorgeschichte zu betrachten. Diese zeichnet sich durch die gegenhegemoniale Entstehung der Treffen sowie ihre Anklage und Sichtbarmachung des patriarchalen und androzentrischen Systems aus. Dabei entstanden die Treffen, wie das Buch bekräftigt, „aus einer ersten Annäherung an die Entbehrungen und Bedürfnisse der Frauen*, von der aus es schnell und fruchtbar zu einer Wahrnehmung der Frauen* als Trägerinnen von Rechten überging, die verlangt und erkämpft wurden, nicht nur um sich mit den Rechten der Männer gleichzustellen, sondern auch um als Bürgerinnen anerkannt zu werden, deren durchgängige Arbeit als bereichernd für die Demokratie gesehen wurde“.

Deswegen wird in jeder der Regionen neben der Analyse der Probleme der lokalen vergeschlechtlichten Identitäten auch die (pluri-)nationale und lokale Geschichte und die Herausforderungen der Bewegung veranschaulicht.

Bei jedem Treffen stellt sich zudem die Frage: Was passiert, wenn die Staaten und die Bewegungen sich einen Diskurs um Rechte teilen? Das meint nichts anderes als die immer gegenwärtige Spannung zwischen den Grenzen der liberalen oder progressiven Demokratien in Lateinamerika und der Karibik auf der einen Seite und der Notwendigkeit der Radikalisierung der emanzipatorischen Bewegungen innerhalb der Feminismen auf der anderen – eine notwendige und anhaltende historische Debatte, die auch bei diesem 34. Treffen nicht ausbleiben wird.


Warum in La Plata?

Während der 34 Jahre sind die Treffen zwischen verschiedenen Provinzstädten hin- und hergewandert. Während des 33. Treffens im vergangenen Jahr in Trelew, Territorium der Mapuche-Tehuelche im Süden des Landes, wurde beschlossen, das diesjährige Treffen in La Plata, Territorium der Querandí und Hauptstadt der Provinz Buenos Aires, auszurichten. Letztere wird derzeit von María Eugenia Vidal regiert, einer Vertreterin des rechten Regierungsbündnisses Cambiemos.

Seit dem Beginn der Regierung von Mauricio Macri Ende 2015 und den Debatten im Kongress um das Gesetz für den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch wurde immer häufiger gefordert, das Treffen in Buenos Aires abzuhalten. Die Regierungen Macri und  Vidal sind verantwortlich für viele Maßnahmen, die sich gegen das Leben richten – in der Sozial-, Bildungs- und Gesundheitspolitik, durch Mittelkürzungen und Massenentlassungen, der Militarisierung des öffentlichen Raums, der Verfolgung von unterbezahlten Lehrer*innen.

Trotzdem steht Vidal auch dank medialer Unterstützung weit besser da als Macri. Deshalb hat die Bewegung der Frauen* und Queers, die sich als Anti-Macri-Kraft versteht, sich vorgenommen, in diesem abgeschirmten Bereich zu intervenieren. Damit wird das Treffen dieses Jahr nicht nur die Vielfalt der Bewegung demonstrieren, sondern auch auf die besonderen Debatten eingehen, die die argentinischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 27.Oktober mit sich bringen.
 
Die Herzen des Treffens: die Workshops und die Demonstration

Das 34. Treffen in La Plata wird eines der größten Treffen in der Geschichte und das Programm spannend. Bei der Eröffnung am Samstagmorgen werden in feministischen Kollektiven organisierte Frauen* und Queers, soziale Organisationen, Gewerkschaften, Parteien, Menschenrechtsorganisationen, Zusammenschlüsse der Viertel und der Armenviertel, die Kampanie für legale, sichere und kostenlose Abtreibung und die Kampanie gegen Gewalt gegen Frauen* teilnehmen.

Am selben Tag werden nachmittags die mehr als 100 Workshops beginnen, die in den öffentlichen Schulen der Stadt stattfinden. In ihnen werden Erfahrungen und Meinungen ausgetauscht und ihre Ergebnisse stellen die Aktionsgrundlinien zwischen den Treffen dar. Dieses Jahr werden die Workshops in 16 thematische Schwerpunkte unterteilt sein: Feminismen und Geschichte der Feminismen; Identitäten und Sexualitäten; familiäre und affektiv-sexuelle Beziehungen; Recht auf Gesundheit und sexuelle und reproduktive Rechte; Gewalt(en); Arbeit und Arbeitslosigkeit; Territorien; Organisierung und Aktivismen; Menschenrechte und der Zugang zum Rechtssystem; Kindheiten, Jugend und Erwachsenenalter; Bildung, Medizin und Technik; geopolitische und ökonomische Lage; Kultur, Kunst und Sport; Kirchen; Prostitution und Menschenhandel und Medien.

Dabei bilden die Workshops das Herz der Treffen und den Raum, in dem sich gegenseitig zugehört wird, um zu verstehen, wie das patriarchale, kapitalistische, rassistische und fundamentalistische Unterdrückungssystem die verschiedenen Körper und Subjektivitäten betrifft. Es ist auch der Ort, an dem der Funken entfacht wird, sich mit anderen verbunden und so der Satz „das Private ist politisch“ in kollektive Praxis umsetzt wird.

Am Sonntagnachmittag findet dann die große alljährliche Demonstration des Treffens statt. Hier zeigen sich alle Forderungen in Aktion und Fahne und durchziehen die Straßen der Stadt zu durchziehen. Sie rufen dazu auf, sich dem feministischen Aktivismus anzuschließen: „Frau, höre zu, schließ dich dem Kampf an – mujer, escucha, únete a la lucha”. Die Demonstration besucht dafür auch verschiedene Gebäude der patriarchalen Macht: von Landesgerichten, Gesundheitsministerien, lokalen Abgeordneten zu Banken und Kirchen. Die feministische Bewegung will damit ein klares Zeichen setzen: die Macht des Unumkehrbaren, die Erkämpfung ihrer Rechte, ist nicht mehr zu bremsen.

Am Montag, den 14. Oktober werden beim Abschluss des 34. Treffens dann die Ergebnisse der Workshops verlesen und Vorschläge für den nächsten Veranstaltungsort gehört. Es wird der Ort sein, an dem sie sich wiedertreffen und zeigen werden, das sie weiterkämpfen, bis alle frei sind und alle ihre Rechte haben.

Übersetzung: Tomke Behrmann

Fotos: Analía Cid  

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