Alertas feministas – Feministische Warnungen

Sprachen und Ästhetiken eines Feminismus aus dem Süden

Von Victoria Furtado und Valeria Grabino

 

Alertas feministas (Feministische Warnungen) heißen die Mobilisierungen, zu denen die Coordinadora de Feminismos del Uruguay (Koordinationsgruppe der feministischen Bewegungen Uruguays) jedes Mal aufruft, wenn ein Feminizid[1] bekannt wird. Die erste alerta fand 2014 in Montevideo statt; seitdem wurde diese Praxis beibehalten und auch in anderen Städten Uruguays aufgegriffen. Die Aktionen sind der sichtbarste öffentliche Ausdruck des Auflebens des Feminismus in Uruguay, und sie sind Teil einer wachsenden Frauenbewegung auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Im vorliegenden Beitrag analysieren wir die alertas als neuartige Ausdrucksform des feministischen Kampfes, methodisch bedienen wir uns dafür der teilnehmenden Beobachtung und der Quellenanalyse. Diese situierte Übung ermöglicht es uns, den drei Dimensionen Rechnung zu tragen, die für die hiesigen feministischen Aktionen im öffentlichen Raum charakteristisch sind: die verschiedenen Einsätze des Körpers, die aktive Präsenz und die Auflösung des Spannungsverhältnisses von Einheit und Unterschiedlichkeit. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Aspekte eine neue Art Politik zu machen hervorbringen, indem Handlungsweisen, die sonst das Miteinander innerhalb von Frauenräumen kennzeichnen, in den öffentlichen Raum getragen werden.

Einführung

Wir Frauen spielen die Hauptrollen in einer neuen Zeit der Rebellion. Überzeugt davon, dass die Straßen uns gehören, haben unsere Körper und unsere Stimmen überall auf der Welt wieder den öffentlichen Raum eingenommen. In Lateinamerika ist der Kern der Kampf gegen Gewalt, insbesondere gegen Feminizide, der uns gemeinsam auf die Straße treibt. Das Thema engt dabei die Flut an Kämpfen – «torrente de lucha» (Gutiérrez, 2014) – nicht ein, sondern ermöglicht uns vielmehr, weitere Dimensionen unserer Unterdrückung zu beleuchten. Es hat unsere Empörung in den Wunsch verwandelt, alles zu verändern. Wie Mariana Menéndez (2018) vom feministischen Kollektiv Minervas feststellt, zeugt diese Devise von einem kollektiven Bestreben, das sich nicht in Forderungen übersetzen lässt, die auf einzelne Bereiche der Gesellschaft oder ausschließlich an den Staat gerichtet sind. Denn die Frauen werden sich immer mehr bewusst, dass es für ihre Probleme keine Teillösungen gibt. Die mexikanische Philosophin Raquel Gutiérrez (2018) macht zwei Strömungen aus, die dem aktuellen Moment der Rebellion Antrieb gaben: die verschiedenen Kämpfe von Frauen zur Verteidigung eines immer stärker vom Kapital bedrohten Lebens (gegen Staudammprojekte, den Bergbau, den Einsatz von Pestiziden oder zur Verteidigung von Wasser als Allgemeingut, von gemeinschaftlichen Räumen etc.) und das Wiedererstarken der feminismos populares – der Feminismen „von unten“ – die die Grenzen der institutionalisierten Agenda überschreiten. So haben wir »in den letzten Jahren beobachtet, wie sich eine Vielzahl von Kämpfen für das Leben entfaltete, in deren Mittelpunkt – und teils auch an deren Spitze – tausende von Frauen standen und wie sich gleichzeitig hunderte Gruppen von jungen Frauen gebildet haben, die immer wieder zusammenkamen, um ihre gemeinsamen Sorgen zu benennen und ‹Frauenräume› jeglicher Art zu schaffen.» Gutiérrez (2018:44)

Auch in der Region um den Río de la Plata war in den letzten Jahren ein Wiederaufleben des feminismo popular zu verzeichnen, der sich neben diesen allgemeinen Merkmalen, dadurch auszeichnet, dass er die soziale und symbolische Reproduktion des kollektiven Zusammenlebens in den Mittelpunkt rückt, und dass er durch die wachsende Wertschätzung und Politisierung der Beziehungen von Frauen untereinander geprägt ist (Menéndez, 2018). In Uruguay kann als erster Meilenstein und Initialzündung für diesen Prozess des Wiederauflebens der feministischen Bewegungen das erste Encuentro de Feminismos (Treffen der feministischen Bewegungen) im November 2014 gesehen werden. Dort entstanden drei für das Verständnis des aktuellen Kontextes zentrale Elemente, die zudem für die Analyse in diesem Artikel relevant sind. Erstens, die Devise «Die Bewegung in Bewegung bringen», die sowohl eine kritische Lektüre des vorherigen Zustandes liefert – einem institutionalisierten Feminismus[2], der so gut wie gar keinen Widerhall mehr in den Straßen findet – und auch dem gemeinsamen Ziel Ausdruck verleiht, den Feminismus zu einer aktiven sozialen Bewegung zu machen. Zweitens, das Bedürfnis, «etwas zu tun» angesichts der Feminizide, indem die alertas feministas als unmittelbare Reaktion auf der Straße organisiert werden. Und schließlich die Gründung der Coordinadora de Feminismos als Ort der politischen Artikulation der Bewegung, von der unter anderem der Impuls für die oben genannten Übereinkünfte ausgeht.

Wenige Tage nach diesem ersten Treffen der Feministischen Bewegungen, als unter den Frauen noch immer die Begeisterung zusammen auf dem Treffen gewesen zu sein, spürbar war, wurde die patriarchale Gewalt wieder manifest. Am 13. November 2014 löste ein Feminizid die erste alerta feminista aus, die als Aktionsform erst kurz vorher vereinbart worden war. Dieser Protest durch das Zentrum von Montevideo war stark von Improvisation, aber noch viel mehr von Empörung geprägt. Seitdem ruft bei jedem Feminizid die Coordinadora de Feminismos zu einer solchen Demonstration auf, deren hauptsächliches Ziel es ist, machistische Gewalt gegen Frauen öffentlich anzuklagen.

Nach Angaben des Observatorio de Igualdad de Género de América Latina y el Caribe (Beobachtungsstelle für Geschlechtergleichheit in Lateinamerika und der Karibik) steht Uruguay hinsichtlich der Mordrate an Frauen durch die Gewalt ihrer Partner oder Ex-Partner an sechster Stelle[3]. Aus der Erhebung der Coordinadora de Feminismos geht hervor, dass im Jahr 2015 39 Frauen ermordet wurden, 2016 waren es 21 und 2017 gab es 35 Feminizide. Im Jahr 2018 wurden bereits am 10. September 29 Morde an Frauen gezählt. In Uruguay ist der gefährlichste Ort für Frauen das eigene Zuhause, denn die Personen, die ihnen am häufigsten zur Gefahr werden, sind Partner und Ex-Partner (Calce u. a., 2015)[4]. Die alertas feministas richten sich jedoch gegen das gesamte Kontinuum der privaten und öffentlichen Gewalt, egal welcher Stufe, denn Feminizide sind nichts anderes als die extremste Ausprägung dieser Gewalt (Sagot, 2017). Angesichts einer Gewalt, die von der Gesellschaft als privat[5] betrachtet wird, wollen die Demonstrationen die Dichotomie öffentlich/privat überwinden, indem sie nicht nur Anprangern, sondern in den öffentlichen Raum intervenieren und die Stimmen und Körper auf die Straße bringen.

Zum besseren Verständnis der Art von Gewalt gegenüber Frauen, die ihnen überwiegend im lokalen Kontext, also in der häuslichen Sphäre begegnet, wo die Opfer dem Personenkreis angehören, mit dem die Täter in engerer Beziehung stehen, greifen wir auf die Darstellung von der argentinischen Anthropologin Rita Segato (2013) zurück: «[I]m Schutz des häuslichen Umfeldes missbraucht der Mann die von ihm abhängigen Frauen, weil er es kann, das heißt, weil sie ein Teil des Bereiches sind, den er beherrscht», so die Autorin. Für sie unterscheidet sich diese Art der Gewalt von derjenigen, bei der die Aggressoren sich im öffentlichen Raum weiblicher Körper bemächtigen: «[B]ei ersterer handelt es sich um das Bestätigen einer bestehenden Herrschaft, bei letzterer um das Zurschaustellen der Fähigkeit zur Herrschaftsausübung, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit erneut erfolgen muss und mit rituellen Gesten der Herstellung von Männlichkeit assoziiert ist» (Segato, 2013: 29)[6].

Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass Gewalt gegen Frauen in die Allianz von Kapitalismus, Kolonialität und Patriarchat eingeschrieben ist, die Frauen zu verfügbaren und wegwerfbaren Objekten macht, während sie «Männer zum bedingungslosen Gehorsam gegenüber ihresgleichen – ebenso Unterdrücker – bringt; und in [den Frauen] die passenden Opfer findet, um die beispielhafte Kette von Herrschaft und Enteignung zu ermöglichen» (Segato, 2018: 13). Und so «wird der Mann im indigen-kleinbäuerlichen Haushalt nach innen zum Repräsentanten einer kolonisierenden und plündernden Unterdrückung, und der zur Menge der Arbeiter oder prekär Beschäftigten gehörende Mann wird zum Komplizen eines auf Produktivität und Konkurrenz basierenden Zwangs, der den Ausschluss in den eigenen Reihen vorantreibt» (Segato, 2018: 14). In dieser Logik weist die costa-ricanische Soziologin Montserrat Sagot (2017) darauf hin, dass der Femizid[7] nicht nur ein Werkzeug des Patriarchats ist, sondern darüber hinaus auch ein «Werkzeug des Rassismus, der wirtschaftlichen Unterdrückung, des Adultismus[8], der Xenophobie, Heteronormativität und sogar als Relikt des Kolonialismus und seiner Vernichtungspraktiken angesehen werden kann. Der Femizid ist also eine – endgültige – distinktive Markierung der Körper, die vielfache Formen von Ausbeutung und Ungerechtigkeit erlebt haben» (S.65).

In Bezug auf diese Konzeptualisierungen finden wir es naheliegend, die alertas feministas als Raum für eine neuartige Aussage im feministischen Kampf zu analysieren, die sich als Ausdruck einer Sprache und Ästhetik[9] denken lässt, die typisch für das Miteinander unter Frauen ist. Mit diesem Konzept von Gutiérrez (2018), beziehen wir uns auf die «alltägliche und zielgerichtete Praxis, vertrauensvolle Beziehungen zwischen verschiedenen Frauen zu schaffen, um uns gegenseitig Kraft und Klarheit zu geben, um gegen die vielfältigen Formen von Gewalt und Verachtung vorzugehen, durch die Tag für Tag patriarchale Herrschaft im öffentlichen wie im privaten Raum ausgeübt wird». Diese Praxis «bestätigt uns in den unterschiedlichen Wegen, wie wir alltägliche soziale Ereignisse wahrnehmen und ihnen dadurch Bedeutung beimessen», während sie es uns zugleich ermöglicht, eine andere Denkweise zu etablieren (Gutiérrez, 2018:45). Uns ist daran gelegen, zu zeigen, wie die Erfahrung derer, die sich als Frauen sehen, politisiert und organisiert wird. Dazu befassen wir uns mit einem Aspekt, der für diesen Prozess charakteristisch ist, nämlich die Art und Weise, sich auf der Straße zu bewegen. Wobei wir sehen, dass es eine Kontinuität zwischen dem gibt, was im öffentlichen Raum gemacht wird und den Formen des politischen Handelns, die in der Sicherheit und Vertrautheit der von Frauen genutzten Räume ausgehandelt werden.

Für die Betrachtung dieser Praktiken von bzw. zwischen Frauen muss die Kategorie «Erfahrung» hinterfragt werden. Diese Kategorie war für die feministische Bewegung bei der Suche nach Möglichkeiten zentral gewesen, «den unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen der physischen und sozialen Kräfte, die das ‹Weibliche› der ‹Frau› konstituieren, eine kollektive Stimme zu geben» (Brah, 2004: 120-121). Eine umfassende Untersuchung der verschiedenen Formen, mit denen die feministische Theorie und Praxis mit dem Begriff der Erfahrung gearbeitet hat, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Dennoch ist es notwendig, die Ansätze in die Reflexion mit einzubeziehen, die auf der einen Seite versuchen, über eine essentialistische Vorstellung der Erfahrung von Frauen (als homogen, universell, als Basis für den Widerstand oder Identitätspolitik) hinauszugehen, dabei aber nicht deren Nutzen für die Theorie und die Bewegung aus historisch verorteter Perspektive außer Acht lassen.

Nach der ugandisch-britischen Soziologin Avtar Brah können wir Erfahrung einerseits als kulturelle Konstrukte verstehen, als sinnstiftender Prozess und Ort der Subjektwerdung. Das heißt, «als sowohl symbolische wie auch narrative bedeutungsgebende Praxis; als Kampf um die Bedeutungen und die materiellen Bedingungen» (Brah, 2004: 121). Dieser Sichtweise zufolge impliziert Erfahrung einen Ort des Hinterfragens, «einen diskursiven Raum, in den Subjektpositionen sowie unterschiedliche und differenzierte Subjektivitäten eingeschrieben, bestätigt oder abgewiesen werden» (Brah, 2004: 122). In Übereinstimmung mit dieser kritischen Sichtweise und mit dem Anliegen, die Produktivität des Begriffs der Erfahrung aufrecht zu erhalten, beziehen wir uns auf Autorinnen wie die US-amerikanische Historikerin Joan Scott, die vorschlägt, das Konzept Erfahrung «explodieren zu lassen, die ideologischen Projekte, die es diskursiv nutzen, zu dekonstruieren, um von dort aus neue Ausgestaltungen des Subjekts zu denken und zu produzieren» (Elizalde, 2008:11). Scott (2001) übt scharfe Kritik an der Benutzung der Kategorie der Erfahrung als unbestreitbare Evidenz, da dies bedeute, diejenigen als evidente Identitäten anzunehmen, deren Erfahrung belegt werde. Für die Autorin wird bei dieser Herangehensweise der Widerstand außerhalb seiner diskursiven Konstruktion verortet, indem Handlungsfähigkeit als eine den Individuen inhärente Eigenschaft betrachtet wird. Als methodische Alternative schlägt die Autorin vor, die historischen Prozesse zu berücksichtigen, die die Subjekte diskursiv positionieren und deren Erfahrungen erzeugen, folglich «sind es nicht die Individuen, die die Erfahrung machen, sondern die Subjekte werden durch die Erfahrung konstituiert. Nach dieser Definition wird die Erfahrung nicht zum Ursprung unserer Erklärung […], sondern vielmehr zu dem, was wir zu erklären suchen» (Scott, 2001: 47-49).

Beachten wir Scotts Hinweis, lassen sich Perspektiven wie die von der panamaischen Philosophin Linda Alcoff (in Elizalde, 2008: 12-13) ergänzen, die auf die Notwendigkeit aufmerksam macht, der körperlichen Erfahrung einen Wert beizumessen. Damit ist die Sprache nicht länger der einzige Raum zur Erzeugung von Bedeutungen, und sowohl die konkreten, belebten Körper als auch ihre Praktiken können als kognitive Räume und Ausgangspunkt für politische Praxis aufgefasst werden. Ein Beispiel für diese Erfahrung, wie sie in Alcoffs Analyse wieder aufgegriffen wird, ist diejenige, die im Zusammenhang mit Unterdrückung und Gewalt gegenüber Frauen gemacht wird. Die Autorin macht sich für eine Analyse stark, die von «Beschreibungen spezifischer Körper» ausgeht, «mit ihren eigenen spezifischen und individuellen Geschichten und Einschreibungen, anstatt von einem abstrakten Körperbegriff oder einem Körper, der nur in einer textuellen Repräsentation existiert« (in Elizalde, 2008: 13). Auf diese Weise lässt sich der Körper als Quelle der Subjektivität denken, als «Ort, in dessen Oberfläche eine bestimmte sozialräumliche Ordnung ihre Anforderungen einschreibt und ihre Diskurse materialisiert.» (Delgado in Marrero-Guillamón, 2012: 316)

Diese Überlegungen unterfüttern unsere Untersuchungen der alertas, sie laden uns ein, zwischen dem, was wir Erfahrungen und was wir Praktiken von Frauen innerhalb des Feminismus nennen, zu unterscheiden, und uns zu fragen, durch wen das politische Subjekt dieser Mobilisierungen entsteht, welche Diskurse es sind, die sie als Bewegung begründen, welche Bedeutungen zur Debatte stehen, und welche geteilten körperlichen Erfahrungen es gibt, aus denen heraus Widerstände gegen die patriarchale Ordnung aufgebaut werden können.

Aus einer epistemologischen feministischen Perspektive und als Teilnehmer*innen der Protestmärsche lauten die Fragen, die uns bei dieser situierten Praxis (Haraway, 1995) leiten: Wie wird dieses Territorium – der Körper der Frau und der öffentliche Raum – das Segato zufolge bereits erobert ist, umkämpft? Und weiter: Welche Sinne bestimmen die Sprache und Ästhetik, die bei den alertas feministas präsent sind? Methodisch stützen wir uns zum einen auf teilnehmende Beobachtung bei den Demonstrationen, zum anderen auf die Analyse verschiedener Quellen (u.a. Statements, Aufrufe, Pressetexte, Fotos von Kollektiven, die über die alertas berichten). Unser Fokus liegt zwar auf den alertas, da jedoch ihre Charakteristika auch bei anderen Frauendemonstrationen angewendet werden, können wir sie nicht isoliert betrachten. Daher schließt unsere Analyse einige Reflexionen zu den Protestmärschen zum 8. März und zum 3. Juni[10] mit ein. Es handelt sich um erkundende Reflexionen, die bei unserer ersten Annäherung an das Forschungsfeld aufkommen und einige Leitlinien für eine Analyse aufwerfen, die unseres Erachtens zu vertiefen wäre[11].

Körper in Alarmzustand (sp.: Alerta), Körper auf den Straßen

Die Aufrufe der alertas feministas können wir uns als Einladung vorstellen, die Straßen zu bewohnen, mehr noch, sie einzunehmen, und damit eine Daseinsform zu definieren. Es sind nicht einfach Frauen, die daran teilnehmen, sondern es sind ihre Körper, die im Zentrum stehen; Frauen aller Altersstufen, mit den unterschiedlichsten Biografien, manche mit Kindern, andere mit Freund*innen, mit ihren Genoss*innen oder allein, demonstrieren gemeinsam.

Die Mobilisierung bringt den Körper dieser Frauen in den öffentlichen Raum. Wir verstehen ihn als «Ausgangs- und Endpunkt der Interaktion mit der Umwelt, als Körper in der Welt, gelebter Körper, der Erfahrungen macht, als Raum, in dem sich die Fleisch gewordenen Praktiken und Normativitäten darstellen, der Körper als Träger der Erfahrung unseres gesamten Lebens, in ihm werden Sinn und Bedeutungen verkörpert» (Huacuz und Barragán, 2017: 103-104). Folglich konstituieren miteinander geteilte körperliche Erfahrungen – von Leiden aber auch von Begehren – Elemente der Identität und finden Ausdruck in Ansichten über die Welt (Huacuz und Barragán, 2017). Die Straße, so Segato (in Ogas, 2017), ist für Frauen ein Ort, an dem sie sich nicht vollkommen frei bewegen können, was eine Erfahrung von Zwang ausmacht, die seit jeher impliziert, erlernte Abwägungen vorzunehmen, um auf der Straße keine unangenehmen Situationen erleben zu müssen. Heute sind diese Abwägungen wichtig, um nicht zu sterben. Aus diesem Grund ist die körperliche Erfahrung der Frauen im öffentlichen Raum etwas, was der Mobilisierung so viel Bedeutung verleiht. Bei den alertas gehen die Körper über die abstrakte Idee von Protest oder vom feministischen Aktivismus hinaus, um ihre Materialität offensichtlich zu machen. Sie zeigen sich als Körper, die vibrieren, die leiden, die bluten, die begehren. Auf diese Weise «denunzieren [die Körper] eine ganze Bandbreite an Situationen der Unterdrückung und Ungleichheit, und stehen gleichzeitig für eine Vielzahl an Forderungen […]. Die Körper der Frauen, die feministischen Körper, treten in Erscheinung, werden sichtbar, sie zeigen Präsenz und indem sie sich selbst und den Räumen, die sie besetzen, Bedeutung neu zuschreiben, schreiben sie gleichzeitig auch der Welt Bedeutung neu zu.» (Esteban, 2011: 76).

Die italienische Philosophin Silvia Federici (2016) wiederum sagt, der Kampf der Frauen müsse «mit der Wiederaneignung unseres Körpers, einer neuen Wertschätzung und Wiederentdeckung seiner Widerstandsfähigkeit und mit einem Erweitern und Zelebrieren seiner vormals vorhandenen individuellen wie kollektiven Kräfte beginnen» (S. 109). Indem die Frauen bei den alertas feministas die Straßen einnehmen, schaffen sie eine Atmosphäre, in der der weibliche Körper tatsächlich seine Bedeutung ändert, er wird von einem Objekt der Gewalt zu einem Körper, der kämpft, der nicht länger schweigt, der spricht. Die Atmosphäre der alertas kennzeichnet, dass eine kollektive Kraft entfaltet wird, die versucht, der machistischen Gewalt eine Grenze zu setzen – und sei diese auch nur symbolisch. Ähnlich dem, was die argentinische Sozialwissenschaftlerin Karina Bidaseca (2015) über Ni una menos (dt. Nicht eine weniger) in Argentinien sagt, handelt es sich um «eine Vielzahl von Körpern. Im öffentlichen Raum versammelte Körper, die sich gegen die Gewalttaten erheben. Körper, die in der Unsicherheit der patriarchalen Herrschaft überleben. Körper, die Rechenschaft verlangen.»

Beim Versuch zu analysieren, inwiefern bei den alertas feministas die körperliche Macht der Frauen zelebriert und, wie Federici sagt, zurückgewonnen wird, identifizieren wir einige charakteristische Elemente dieser Mobilisierungen, die sich als Körperpolitiken (Esteban, 2012)[12] begreifen lassen: die Demonstrationsroute, die nicht wie üblich durch die wichtigste Straße der Hauptstadt führt; das Singen; die Umarmung als Element und Zeichen kollektiver Kraft; das Zeichnen von Umrissen von Menschen auf die Pflastersteine zur zahlenmäßigen Darstellung der Körper der ermordeten Frauen; die künstlerischen Performances; auch das Schweigen als Merkmal des zum Schweigen gebrachten Körpers. Zwei von diesen Elementen, die bezeichnend sind für die Sprache und Ästhetik der alertas, sollen hier genauer betrachtet werden.

An erster Stelle gehen wir auf die abrazo caracol (wörtlich: Schneckenhaus-Umarmung) ein, eine sich zur kollektiven Umarmung aufrollenden Menschenkette, die so die Form einese Schneckenhauss bildet und den Abschluss jeder alerta feminista darstellt. In informellen Gesprächen berichteten uns Frauen der Coordinadora de Feminismos, dass dieser abrazo caracol bei einer der ersten Protestmärsche spontan entstand, fast wie aus einem körperlichen Bedürfnis heraus. Es ist eine Art Tanz, der bei den folgenden alertas als Teil der Performance erhalten blieb. Bei der abrazo caracol bilden die Frauen, die an der Demonstration teilgenommen haben und denen der Sinn danach steht, einen Kreis und geben sich gegenseitig die Hände, bis eine von ihnen eine Hand löst und beginnt, sich in die Innenseite hineinzudrehen. Dadurch wird der Kreis eine Spirale, die sich zur Mitte hin immer weiter schließt, bis sie sich nicht mehr weiter eindrehen kann. Wenn dann das „Schneckenhaus“ gebildet ist, gehen die gehaltenen Hände in die Höhe und gemeinsam wird gerufen:

 

Somos las nietas de todas las brujas que nunca pudieron quemar

Somos las nietas de todas las brujas que nunca pudieron quemar

Somos las nietas de todas las brujas que nunca pudieron quemar

(wird wiederholt)[13]

(deutsch: Wir sind die Enkelinnen all jener Hexen, die ihr nicht verbrennen konntet)

Anschließend:

Todas juntas, todas libres

Todas juntas, todas libres

(wird wiederholt)

(deutsch: Alle (Frauen) vereint, alle (Frauen) frei)

 

Federici sieht im Tanz ein zentrales Element dafür, dass die Frauen sich die Fähigkeiten des Körpers wieder neu aneignen:

Der Akt zu tanzen, ist ein Untersuchen und Erfinden dessen, was der Körper kann: seiner Fähigkeiten, seiner Sprachen, der Ausdruck der Anstrengungen unseres Seins. Inzwischen denke ich, dass im Tanz eine Philosophie steckt, dass der Tanz die Prozesse nachahmt, durch die wir mit der Welt in Beziehung treten, uns mit anderen Organismen verbinden, uns verändern und den Raum, der uns umgibt, verwandeln. (Federici, 2016: 109)

Bei der abrazo caracol lässt sich ein besonderer Ablauf feststellen: Es wird getanzt, der Gesang kommt hinzu, zum Schluss gibt es die kollektive Umarmung und Raum für einen Moment tiefer Stille. Dieser Ablauf macht die abrazo caracol zu einem sehr wirkmächtigen Moment hinsichtlich einer Art Mystik der Mobilisierungen, sie schafft eine Atmosphäre der Schwesternschaft und macht gleichzeitig die alerta zu etwas Heiligem — wie ein kollektiver Pakt, den die Teilnehmenden miteinander schließen. In diesem Pakt wird symbolisch an die diversen historischen weiblichen Überlieferungen angeknüpft, die die Mobilisierung begleiten und die im Gesang »Wir sind die Enkelinnen all jener Hexen, die ihr nicht verbrennen konntet« wieder gegenwärtig werden.

Die abrazo caracol macht deutlich, dass die Präsenz der Frauen bei den alertas eine aktive Präsenz ist. Einerseits waren es Frauen der Coordinadora de Feminismos, die während einer der ersten Demonstrationen angefangen haben zu tanzen, also Frauen, die die Demonstration organisiert hatten. Mittlerweile sind es jedoch sehr viel mehr Frauen aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, die sich spontan diesem Tanz anschließen, was sich als Effekt der Wiederaneignung des Körpers und seiner Politisierung betrachten lässt. Andererseits läuft die aktive Präsenz bei der abrazo auf verschiedenen Ebenen ab, grafisch darstellbar als konzentrische Kreise im Raum der Demonstration: Zunächst die Frauen, die die Initiative ergreifen, den Tanz zu beginnen, dann die Frauen, die sich den ersten anschließen, und diejenigen, die, auch wenn sie nicht Teil der sich spiralförmig bewegenden Menschenkette sind, deren Rhythmus aufgreifen und singend um die Performance herum stehen, wobei sie das kollektiv Entstehende schützen und eine intime Atmosphäre schaffen. Auch in diesem letzten Kreis gibt es feine Unterschiede in Bezug auf die Teilnahme: Da gibt es Frauen, aber auch Männer, Kinder – Jungen wie Mädchen –, die mitdemonstriert haben, und außerdem Passant*innen – Frauen und Männer –, die zuschauen. Daher ist bei den alertas die Grenze zwischen Organisator*innen und Teilnehmer*innen besonders verschwommen, die konzentrischen Kreise ermöglichen unterschiedliche Arten, sich körperlich in die Demonstration einzubringen, sind allesamt jedoch Formen, aktiv die Straße einzunehmen.

Eine zweite Art, den Körper einzusetzen, besteht in den künstlerischen Performances, die Teil jeder Demonstration sind. Das sind zum einen feste Gruppen, die sie als Beitrag ihres künstlerisch-politischen Aktivismus[14] einbringen, und zum anderen Interventionen, Lieder oder Trommelstücke, die die Coordinadora de Feminismos in einem offenen Aufruf vorgeschlagen und vorbereitet hat. In beiden Fällen zeigen diese künstlerischen Darbietungen ein Bedürfnis, auch andere Sinne anzusprechen. Danach, nicht nur auf einer rationalen Ebene die Unterdrückung zu benennen und zum Kampf aufzurufen, sondern das auch affektiv und mit allen Sinnen erfahrbar zu tun, ausgehend von unseren gewalterfahrenen, aber ebenso begehrenden Körpern, von den Emotionen her, die in unseren Erfahrungen als Frauen begründet sind.

Die Hierarchie zwischen Emotion und rationalem Denken, die für die moderne westliche Kultur kennzeichnend ist und die letzterem den Vorzug gibt, ist Erbin des darwinistischen Evolutionsdenkens und folgt der Annahme, Unterscheidungen zwischen Psychologischem, Sozialem, Individuellem und Kollektivem seien etwas Objektives (Ahmed, 2015). Außerdem wird im 17. Jahrhundert der Dualismus Geist/Körper von Descartes begründet, der in seinem Werk «Von der Methode» eine «hierarchische Unterscheidung zwischen Körper und Vernunft und die Notwendigkeit einer pyramidalen Ontologie von Materie und Transzendenz» etabliert (Magnone und Grabino, 2018: 25). Gleichwohl hat der Feminismus dafür gesorgt zu zeigen, dass «Emotionen politisch ‹wichtig› sind; Emotionen zeigen uns, wie die Macht auf die Oberfläche von Körpern und von Welten formend einwirkt.» (Ahmed, 2015: 38). Wir beobachten dementsprechend, dass es bei den alertas feministas einen Bruch mit der klassischeren Form der Politik gibt, die hauptsächlich von der Warte einer modernen Rationalität aus spricht, sowie mit einer militanten Tradition, die diese Ausdrucksform üblicherweise bei Demonstrationen ausschließt. Es geht um eine neue Form, Körper zu sein und den Körper auf der Straße einzusetzen, bei der Frauen, die sich bereits vorher künstlerisch ausgedrückt haben, mit anderen zusammen kommen, die gerade erst anfangen, ein Bedürfnis nach neuen Ausdrucksformen zu entwickeln, um über ihre Unterdrückung zu sprechen. So zeigt die Politikwissenschaftlerin Celina Vacca (2015) im Fall von Argentinien: «Dass es Massen waren, die zusammenkamen, trug dazu bei, dass die Formen kreativen Ausdrucks viel mehr geworden sind: Sind womöglich Worte allein gar nicht ausreichend, um zu vermitteln, wie stark das Patriarchat uns durchdringt? Sind wir womöglich dabei, eine neue Sprache zu entwickeln, die es uns ermöglicht, die Sinne, die in die Gewalt gegen Frauen verstrickt sind, neu zu thematisieren?» (S. 40).

Wir sind der Schrei derer, die keine Stimme mehr haben

Im vorigen Abschnitt haben wir einige Charakteristika der Frauendemonstrationen in Uruguay genannt, die die Suche nach neuen Sprachen und Ästhetiken deutlich machen. Dies findet in der besonderen Art, in der der Körper auf der Straße zum Einsatz kommt, seinen Ausdruck ebenso wie in der Einbeziehung künstlerischer Ausdrucksformen als zentrales Element der feministischen politischen Aktion. Es ist angebracht zu fragen, wie es um andere, insbesondere traditionellere Äußerungsformen steht. Auch hier lassen sich einige innovative Merkmale ausmachen, die sich ebenso auf andere Protest-Aufrufe, wie die zum 8. März, zum 3. Juni und zum 25. November (Día contra la violencia contra las mujeres, dt.: Internationaler Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen) ausbreiten. Zum einen fällt zunächst ein pluralistischer Diskursaufbau auf, sowohl im Ethos des feministischen Diskurses als auch in seinen Ausdrucksformen. Zum anderen äußert sich die Idee der aktiven Präsenz auch in der den alertas feministas eigenen Sprechweise.

Der aus der antiken Rhetorik stammende und von der Diskursanalyse wieder aufgegriffene Begriff Ethos bezieht sich auf das Bild von sich selbst, das der Sprechende in seinem Diskurs herstellt und ergibt sich sowohl aus dem, was der Redner sagt, als auch aus der Art, wie er es tut (Charaudeau und Maingueneau, 2005). Die Statements, die jedes Mal am Ende der feministischen Mobilisierungen verlesen werden, konstruieren ein besonderes diskursives Ethos, das sich durch die sehr explizite Selbstdefinition des sich äußernden Subjekts und durch seinen pluralen Charakter auszeichnet. Es ist interessant, die Statements vom 8. März und 3. Juni in diese Analyse mit einzubeziehen, weil sich in ihnen die Facetten des (Selbst)verständnisses zusammenfassen lassen, das sich bei den alertas entwickelt hat. Darin wird besonders stark ersichtlich, dass von einem «nosotras» (spanisch für das weibliche «Wir»), aus gesprochen wird, explizit im Plural, was die Diversität der Erfahrungen und Lebensläufe betont:

Wir streiken. Wir, Frauen, Gefährtinnen, Arbeiterinnen. Wir, vom Mädchen bis zur alten Frau. Wir, die wir studieren, arbeiten – zuhause und außer Haus. Wir, das sind die Freien, die Gefangenen und die Verrückten. Wir, die wir unterschiedliche Hautfarben haben und Wurzeln in verschiedenen Völkern. Wir, die wir außerhalb der heteronormativen Regeln begehren. Wir trans Frauen, wir Frauen, die Kinder zur Welt gebracht haben oder wir, die das nicht wollen, wir streiken und kommen zusammen, alarmbereit, gehen einmal mehr gemeinsam auf die Straße! (Statement 8. März 2017)

Die diskursive Bedeutung, die vom «nosotras» aus konstruiert wird, kombiniert ein Sprechen in der ersten Person mit einem Sprechen im Plural, indem sie die politische Praxis des Feminismus, aus der eigenen Erfahrung der Frauen[15] heraus zu sprechen, wieder aufgreift. Wobei dies eine Wahl ist, die sich nicht allein in grammatikalischen Begriffen wie Person und Anzahl interpretieren lässt. Es gibt ein Bedürfnis, sich selbst zu benennen, aus der eigenen aber auch aus der Vielfalt der Erfahrungen heraus zu sprechen, die vereint sind in einem Kampf, der Verbindungen schafft und der die Frauen gemeinsam auf die Straße bringt. Zur Erzeugung der pluralen Bedeutung trägt die Bestimmung des «nosotras» bei, die nach und nach durch eine nicht ausgrenzende Bezugnahme auf verschiedene Ethnien, Beschäftigungen, Altersgruppen, Lebensläufe und Reproduktionsentscheidungen Gestalt annimmt.

Es geht außerdem um eine Stimme, die ihre Genealogie (aner)kennt, die das Erbe des Kampfes der vorangegangenen Frauen antritt, um es erneut in Bewegung zu bringen:

Sie sind bei uns, die verschiedenen Frauen, die sich im Laufe der Geschichte lautstark Gehör verschafften, die uns ihren aufblühenden und liebevollen Kampf geschenkt haben und ihre revolutionäre Kraft mit uns teilen. (Statement, 8. März 2016).

Die Anerkennung der Diversität und der unterschiedlichen weiblichen Traditionen und Herkunftslinien in Verbindung mit der Konkretisierung hinsichtlich derer, die das spezifische «nosotras» bilden, von dem aus gesprochen wird, lässt sich als Versuch interpretieren, die vielfältigen Erfahrungen der Frauen nicht unter die abstrakte Kategorie «Frau» zu subsumieren. Dadurch verbindet sich dieser Feminismus mit den Strömungen, die eine kritische Distanz zu den universalistischen Diskursen des weißen Feminismus der „ersten Welt“ einnehmen (Mohanty, 2011a und b; Hernández, 2011; Crenshaw, 2012; u. a.). Wie die Anthropologin Aída Hernández (2011) anführt, versäumt es jener weiße Feminismus durch seine universalistische Haltung, dass die gemeinsame Erfahrung des Patriarchats uns eint, und er übersieht die Verschiedenheit der Realitäten, in denen Frauen leben. In diesem Sinne finden wir es interessant, die Forderung der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler (2020) aufzugreifen, nicht auf die Kohärenz und Einheitlichkeit der Kategorie «Frauen» zu bestehen. Ganz im Gegenteil ruft die Autorin dazu auf, den Feminismus durch eine Politik zu erneuern, die nicht von einem ontologischen Genderbegriff ausgeht: «[Es ist] möglicherweise an der Zeit, eine radikale Kritik zu entfalten, die die feministische Theorie von dem Zwang befreit, einen einzigen, unvergänglichen Grund zu konstruieren, der unweigerlich von jenen Identitäts- oder Anti-Identitätspositionen angefochten wird, die er zwangsläufig ausschließt» (Butler, 2020: 21).

Der enunziative Gegenpart dieser pluralen diskursiven Konstruktion ist die performative Dimension beim Verlesen des Statements. Das von der Coordinadora de Feminismos erstellte Manifest wird am Ende jeder alerta oder anderen Mobilisierungen von allen teilnehmenden Frauen, die mitmachen wollen, kollektiv gelesen.

Es stellt somit eines der innovativsten Merkmale der Mobilisierungen dar. Der gedruckte Text wird verteilt und im Kreis auf der Straße stehend gemeinsam im Chor laut gelesen. Diese Choralität verwandelt die Individualitäten in eine sich gemeinsam äußernde Kollektivität. Wir beziehen uns hier auf den Begriff des Chores von Tolja und Speciani (2006), wonach «der Sinn der Choralität eng verknüpft ist mit dem Gleichgewicht der Beziehung von persönlichem und kollektivem Raum. Die Praxis und die Tradition der Choralität besteht im Gelingen, das eigene Bedürfnis nach einem persönlichen Raum mit dem der anderen zu kombinieren.» (S. 142).

Dieses Vortragen wurde erstmalig bei der Demonstration «Ni una menos» am 3. Juni 2016 in Montevideo in die Praxis umgesetzt. In einem Interview wenige Tage vorher äußerten sich die Organisatorinnen der Coordinadora de Feminismos zu ihren Beweggründen dafür:

Eine Sache, die wir uns als etwas Innovatives vorstellen konnten, war das Statement. An die Personen, die zur Demonstration gekommen sind, werden Kopien verteilt und wir lesen alle zusammen. Wir wollen das teilen, es ist eine Art, es zugänglich zu machen und teilnehmen zu können, weil es uns gehört. Wir wollen, dass alle, die kommen, wie aus einem Mund das Statement zu «Ni una menos» lesen, denn das hat mit uns allen zu tun. (Zeitschrift Zur, 31. Mai 2016)

Das Lesen des Abschluss-Statements im Kollektiv wurde danach zum festen Bestandteil der alertas feministas und wird bis heute bei allen Mobilisierungen so beibehalten. Mit der Zeit verstärkte sich die Bedeutung dieser Praxis, soweit, dass das, was einst eher einer Probe glich, heute bei den Vorbereitungen für den 8. März 2018 als eines der zentralen Elemente der Demonstration gilt:

Wir lesen das Statement gemeinsam im Kreis und ohne Podium, denn das, was wir in erster Linie wollen, ist, zu uns selbst zu sprechen, wir wollen uns erkennen, uns als Frauen im Kampf gegenseitig spiegeln. (Flugblatt der Coordinadora de Feminismos, mit dem Aufruf zur Demonstration am 8. März 2018)

Wir sind der Auffassung, dass dies eines der innovativsten Merkmale der Demonstrationen von Frauen in Uruguay ist, und zwar aus zwei Gründen: Erstens, weil es eine Dezentralisierung der Sprecherinnen gibt. Die Frauen sprechen in erster Linie zueinander. Sie legen Wert auf eine Runde, in der sie sich gegenseitig aus der Nähe zuhören können. Es gibt weder bei den alertas noch bei den größeren Mobilisierungen ein Podium mit Mikrofon, von dem aus die Abschlussrede traditionellerweise gehalten wird. Ja, es gibt eine Botschaft, es wird etwas gesagt, und es gibt eine spezifische Form, in der es gesagt wird, aber die ersten, wenn auch nicht die einzigen Adressatinnen sind die Frauen selbst. Dies erklärt sich unseres Erachtens daraus, dass sich das – so wie wir bereits eingangs dargelegt haben –, was der Feminismus in diesem berauschenden Moment des Kampfes zum Ausdruck bringt, nicht oder zumindest nicht vollständig in Forderungen an andere, wie zum Beispiel an den Staat, übersetzten lässt. In diesem Sinne ist es verständlich, dass Frauen eine Politik entwerfen, die nicht staatszentriert ist (Gutiérrez, 2015). Eine Politik, die die Existenz des Staates nicht leugnet, aber die ihren Horizont jenseits davon verortet.

Zweitens ergibt sich die politische Neuheit daraus, dass das Verlesen eines Manifests mit allen gemeinsam und ohne Podium die traditionellen Formen, eine kollektive Stimme zu übermitteln, in Frage stellt. Die Frauen schlagen eine andere Art vor, das Gleichgewicht zwischen «individuell» und «kollektiv» zu finden. Sie wählen keine Sprecherin und keine Repräsentantin. Sie distanzieren sich von der repräsentativen Politik, die jemandem Befugnisse erteilt, und erproben eine neue Art, die Dinge gemeinsam zu tun. Und weil an der gemeinsamen Lesung sowohl die Frauen, die in der Organisation der alertas feministas aktiv sind, als auch die Frauen, die einfach an der Demonstration teilnehmen, gleichermaßen beteiligt sind, erwächst auch hieraus die Idee der aktiven Präsenz. Diejenigen, die sich unter anderen Umständen aufs Zuhören beschränkt hätten, tragen mit ihrer Stimme zum Gesagten bei.

Ein letztes interessantes Phänomen hinsichtlich der auf den alertas angewendeten Sprechformen, die wir als aktive Präsenz bezeichnet haben, ist die Tatsache, dass viele der Frauen, die zu den alertas kommen, insbesondere die jüngeren, mit selbst gemachten Plakaten erscheinen. Dadurch entsteht eine Konstellation von Stimmen, die verschiedene Sprüche in Textform ausdrückt. So entsteht eine neue Form, auf die Straße zu gehen und Teil des Kampfes zu sein: Die Frauen fühlen sich zur Teilnahme an der Mobilisierung aufgerufen, als aktiver Teil. Auch wenn wir diese Sprüche hier nicht analysieren – was eine für ein solches Vorhaben spezifische methodische Herangehensweise implizieren würde –, meinen wir, dass die Erwähnung dieses Aspektes an sich wichtig ist, da die Bereitschaft zur Teilnahme mit eigenen Botschaften davon zeugt, dass die alertas feministas als offener Raum der Meinungsäußerung, zu verstehen sind, in dem allen das Wort zusteht. Ein weiteres Charakteristikum, das zur Verwischung der Grenze zwischen Organisatorinnen und Teilnehmerinnen beiträgt.

Im Zusammenhang mit dem zuvor Gesagten ist es wichtig zu erwähnen, dass oft Frauen zu den Demonstrationen kommen, um davon zu berichten, dass sie selbst unter Gewalt – zumeist häuslicher Gewalt – gelitten haben oder leiden. Das macht deutlich, dass die alertas feministas nicht nur als ein Ort für die Äußerung von Botschaften wahrgenommen werden, sondern auch als Raum, um Gehör zu finden. Das Berichten solcher Situationen, das Teilnehmen, das Sich-Äußern durch Schreie, Lieder oder Plakate kann mit denselben Begriffen umrissen werden, die argentinische Fotografin Mirtha Mestre (2015) bezüglich der Mobilisierung Ni una menos verwendet: «es war spürbar, dass die Atmosphäre der Demonstration die Wort ermöglichte» (S. 43).

Abschließende Gedanken

In dieser Arbeit haben wir die alertas feministas als neuartige Ausdrucksform für unseren Kontext verstanden, als Ausdruck einer Sprache und Ästhetik, die typisch unter Frauen sind. Wir haben uns gefragt, auf welche Art diese Mobilisierungen den Sinn der patriarchalen Ordnung infrage stellen, indem sie den öffentlichen Raum und den gewalterfahrenen Körper der Frauen zurückerobern. Wir haben eine besondere Art der Vereinnahmung der Straße identifiziert, wobei wir drei Größen unterscheiden, die für die Analyse zentral sind: der Einsatz des Körpers, die aktive Präsenz und die Auflösung der Spannung Einheit/Heterogenität.

Der Aspekt des Körpereinsatzes bei den alertas zeigt neue Formen der Aneignung der Straße auf, bei denen der weibliche Körper neu definiert wird als Körper, der kämpft, wobei die Affektivität, das Emotive und das Sensorische aufgewertet werden. Sowohl im Tanzen der abrazo caracol, als auch in den künstlerischen Performances sehen wir, wie die Teilnehmer*innen der alertas körperliche Fähigkeiten für sich selbst wiederentdecken und kollektiv das Politische emotiv aufladen und in diesem Prozess die Codes von Protest und Aktivismus in unserem Land neu erschaffen. So wird der Körper zur Quelle des Wissens und der kollektiven Subjektivität.

Hinsichtlich der Form der Teilnahme an den alertas stellen wir den Begriff der aktiven Präsenz der Frauen heraus, die die Grenze zwischen Organisatorinnen und Teilnehmerinnen verwischt, was in – mindestens – drei Elementen der Mobilisierung deutlich wird. Durch die unterschiedliche Formen, an der Herstellung des kollektiven Körper teilzunehmen, zeigt uns die abrazo caracol die Möglichkeit, die aktive Präsenz auf unterschiedlichen Ebenen zu denken. Die aktive Präsenz findet sich auch in Form der Slogans auf den selbstgemachten Plakaten der teilnehmenden Frauen, die von den Möglichkeiten zeugen, sich verschiedener Formen zu bedienen, von den eigenen Erfahrungen ausgehend etwas zu sagen. Und schließlich haben wir die aktive Präsenz beim kollektiven Lesen des Statements erklärt.

Darüber hinaus haben wir gezeigt, dass bei den alertas eine eigene Form des Umgangs mit dem Spannungsverhältnis von Einheit/Heterogenität zur Anwendung kommt, die durch kollektives statt delegierendes Handeln aufgelöst wird. Bei dem Statement wird diskursiv das Plurale hergestellt und die Vielfältigkeit der biografischen Erfahrungen derer, die an der Demonstration teilnehmen, wiedergewonnen.

Auf diese Weise wird ein Dialog mit den feministischen Bewegungen des Südens und dessen Anliegen, sowohl sich selbst als auch sich gegenseitig als verschieden anzuerkennen, hergestellt. Als Gegengewicht dazu stellt das Verlesen des Statements durch seine Choralität performativ das Kollektive her und etabliert zugleich einen Horizont für den Kampf, der über das Stellen von Forderungen an andere hinausgeht und zur autonomen Organisation der Frauen aufruft.

So stellen die alertas feministas eine eigene, nicht-männliche Logik auf und fordern die politische Kultur Uruguays heraus – sowohl hinsichtlich ihrer parteipolitischen als auch gesellschaftlichen Äußerungsformen. Bei den alertas erproben die Frauen eine neue Form des gemeinsamen Handelns, die Politik über andere hinter sich lässt und das Miteinander unter Frauen als politische Kraft zurückgewinnt. Vom eben Gesagten ausgehend, sind wir der Auffassung, dass die alertas feministas – das, was dort gesagt und getan wird, aber auch die Art und Weise wie es gesagt und getan wird – für ein alternatives Kommunikationssystem stehen: Angesichts der Gewalt als Ausdruck, als kommunikativer Akt, mehr in seiner expressiven denn in seiner instrumentellen Dimension (Segato, 2018), zeugen diese Mobilisierungen vom Widerstand der Frauen und unterminieren die männlichen Stempel dessen, was Segato (2013) als hierarchische Sprache und pyramidale Organisation der Bruderschaft beschreibt.

Die Charakteristika der alertas feministas und anderer Mobilisierungen der feministischen Bewegung Uruguays – wie zum Beispiel die Tatsache, dass die Körper im Mittelpunkt stehen oder die Einbeziehung künstlerischer Ausdrucksformen, die Berücksichtigung von Begehren und Emotionen, die horizontale und kollektive Auslegung von Momenten, in denen üblicherweise nur einige wenige Protagonist*innen agieren, das Einfordern von Diversität als Schutz bietende Kraft der Bewegung etc. – zeugen wiederum von einer neuen Form, Politik zu machen, die unter anderem einige typische Merkmale der Intimität von Frauenräumen in den öffentlichen Raum bringt. Gelegentlich ist eben genau diese Eigenschaft – die Intimität – das Element, das für eine Identifikation der Frauen mit der Mobilisierung und dem, was sich dort kollektiv entwickelt, ausschlaggebend ist. Zugleich wird immer deutlicher, dass die weiblichen Herkunftslinien, die sich über Generationen hinweg durch uns hindurch durchziehen, in der Mystik der alertas präsent sind, was man ganz deutlich beispielsweise in dem Spruch zum abrazo caracol und auch im Text der Statements sehen kann. Dazu berichtete uns eine Teilnehmerin: «In der Demonstration der Frauen finde ich mich wieder. Ich finde darin mich und meine Tochter. Ich kann mich darin widerspiegeln».

All das bestätigt uns, dass die alertas feministas die der Gewalt gegen Frauen implizite männliche Logik herausfordern. Zugleich definieren sie die Aktionsmöglichkeiten und die Formen des Körper- und Stimmeinsatzes neu. Dadurch bricht sie mit einer Art, Politik zu machen, mit der wir uns nicht identifizieren können. Sie will zwar dem Anspruch nach emanzipatorisch sein, aber reproduziert patriarchale Logiken, die uns ausgrenzen. Die alertas entwickeln zudem eine Form, die Straße einzunehmen, zu demonstrieren und sich zu äußern, die bei anderen Mobilisierungen, wie der zum 8. März, aufgegriffen wurde. So macht die Abmachung, nach jedem Feminizid auf die Straße zu gehen, die Besetzung des öffentlichen Raumes zu einer alltägliche Angelegenheit – und stärkt kollektiv die Idee, dass es für Frauen möglich ist, ihn zu bewohnen. Gleichzeitig bietet sie einen Raum, in dem neue Aktionsweisen und eigene Formen erprobt werden können, uns selbst und alles zu verändern.

 

[Übersetzung von Lea Hübner & Susanne Munz für Gegensatz Translation Collective; Überarbeitung Ulrike Geier]

 

Erstmals veröffentlicht in Observatorio Latinoamericano y Caribeño, Dossier Feminismos latinoamericanos en acción: instituciones, academia y activismos, Nr. 2, 2018. Wir danken der Zeitschrift und dem Instituto de Estudios de América Latina y el Caribe der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universidad de Buenos Aires für die Abdruckgenehmigung in «Momento de paro, tiempo de rebelión», Minervas Ediciones.

 

 

Bibliografische Angaben

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Quellenangaben

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Proclamas

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Foto- und Videoreportagen

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Zur, pueblo de voces: www.zur.org.uy

 

Endnoten

[1] Zur Begriffsklärung siehe Fußnote 8, in der die Diskussion dazu innerhalb der Bewegung erläutert wird. (A. d. Ü.)

[2] In den neunziger Jahren beginnt weltweit ein Prozess der Institutionalisierung des Feminismus (Álvarez, 1998; Federici, 2014), der auch in Uruguay festzustellen ist (Sapriza, 2014) und seinen Niederschlag in der Herausbildung wenigstens zweier frauenpolitischer Bereiche fand: den Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und der Frauenbewegung (Álvarez, 1998). Im selben Jahrzehnt begannen die Regierungsorganisationen, Themen der feministischen Agenda in ihre öffentliche Politik aufzunehmen, was zu einem wachsenden Bedarf an Organisationen (wie NGOs) für die Entwicklung und Umsetzung fokussierter Maßnahmen führte (Álvarez, 1998). In diesem Kontext beschleunigte die UN-Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 die stattfindenden Veränderungen. Álvarez zufolge begünstigten der Vor- und Nachbereitungsprozess den Einzug des Feminismus in die nationale und supranationale Politik, sorgte jedoch gleichzeitig innerhalb der Bewegung für Spannungen. Nach Sapriza entschied sich ein Teil der Bewegung im Hinblick auf die Institutionalisierung dafür, ein autonomes Handeln beizubehalten, da eine gegenteilige Strategie einer Weiterführung des Patriarchats entspräche und keine bedeutende Änderungen mit sich brächte. Die Mehrheit entschied sich währenddessen, auf die politische Ausgestaltung Einfluss zu nehmen, da sie es als notwendig erachtete, Zugang zu entscheidenden Positionen zu erhalten, um eine breitere Teilhabe zu erwirken. Federici hingegen vertritt die Meinung, die Intervention der Vereinten Nationen habe, insbesondere nach Peking, «die Frauenbewegungen entpolitisiert, ihre zuvor mühsam errungene Autonomie geschwächt und dazu beigetragen, die Frauen angesichts der Expansion der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse zu spalten.» (2014: 87).

[3] Den Indikator bilden Frauen ab 15 Jahren, die Todesopfer ihrer Partner oder Ex-Partner wurden, sowie die Mordopferrate pro 100.000 Frauen. In absoluten Zahlen führen Argentinien, Kolumbien und die Dominikanische Republik mit den höchsten Fallzahlen die Liste der Länder der Weltregion Lateinamerika und Karibik an. Was die Mordopferrate betrifft, sind es die Länder Surinam, Granada, Dominikanische Republik, Jamaika und Barbados, gefolgt von Uruguay an sechster Stelle – gemeinsam mit Honduras – mit einer Rate von 0,9 auf 100.000 Frauen im Jahr 2016 laut den jüngsten verfügbaren Zahlen zu Uruguay. Quelle: Observatorio de Igualdad de Género de América Latina y el Caribe (CEPAL), https://oig.cepal.org/es, abgerufen im Februar 2018.

[4] In Lateinamerika und der Karibik durchgeführte Studien belegen, dass in Ländern mit niedriger Kriminalitätsrate für Frauen das eigene Zuhause der gefährlichste Ort ist und die Familie die gewalttätigste gesellschaftliche Gruppe (Sagot 2017: 70).

[5] Anders ausgedrückt: Sie wird von der Gesellschaft als persönlich und häuslich aufgefasst. Gewalt gegen Frauen durch Partner oder Ex-Partner ist jedoch «kein zwischenmenschliches Problem, sondern bringt Macht- und Gewaltstrukturen zur Anwendung, die in der Gesellschaft verankert und aufgrund ihrer Normalisierung durch Geschlechterhierarchien unsichtbar sind. Da solche Fälle von Gewalt als zwischenmenschliche Probleme gesehen werden, gelingt es nicht, den Fokus auf ihre soziale und kulturelle Dimension zu lenken, was dazu führt, dass das Problem auf Schwierigkeiten in der Paarbeziehung oder auf individuelle psychologische Probleme reduziert wird. Anzuerkennen, dass es sich nicht um eine persönliche Angelegenheit handelt, bedeutet nicht, Aspekte hinsichtlich der Beziehung und der Subjektivität der jeweiligen Personen zu ignorieren, jedoch wird den Gesellschaftsstrukturen, die solche Formen der subjektiven Äußerungen ermöglichen, ein größeres Gewicht beigemessen.» (Calce u. a., 2015:78).

[6] In diese Analyse fließt der Beitrag von Sagot (2013) ein, die für die zentralamerikanische Realität verschiedene Szenarien von Feminiziden konzeptualisiert, unter anderem die Paarbeziehung. Obwohl die Autorin darauf hinweist, dass viele dieser Szenarien miteinander verflochten sind, wobei die Trennlinie verwischt zwischen dem, was intim und was nicht intim, was öffentlich und was privat ist, schlägt sie vor, sie getrennt zu betrachten, da die in den jeweiligen Szenarien bestehenden Beziehungen meist »einer Reihe von Mustern folgen, die das Terrain für eine differenzierte Konfiguration dieser Gewaltverbrechen abstecken« (Sagot, 2013:16).

[7] Obwohl wir hier den Begriff Femizid (femicidio) benutzen, da es der von Sagot (2017) verwendete Terminus ist, haben wir uns in dieser Arbeit sonst entschieden, Feminizid (feminicidio) zu sagen. Wir folgen damit einerseits dem Vorschlag von Saville-Troike (2003), von Kategorien ausgehend zu arbeiten, wie sie innerhalb der Community verwendet werden. In diesem Sinne ist «Feminizid» die Bezeichnung für Morde an Frauen allein aufgrund ihres Geschlechts, wie sie die lokale feministische Bewegung benutzt, um diese zu denunzieren. Anderseits stimmen wir dem Begriff als Kategorie zu, die dem strukturellen Charakter der Gewalt gegen Frauen Rechnung zu tragen versucht. Zur Vertiefung dieser Diskussion, siehe Caputi und Russell (1990) und Lagarde (2008).

[8] Adultismus bezeichnet die Machtungleichheit zwischen Kindern und Erwachsenen und infolge dessen die Diskriminierung jüngerer Menschen aufgrund ihres Alters. Dies geschieht zumeist in der Konstellation Erwachsener – Kind, kann jedoch ebenso zwischen älteren und jüngeren Kindern auftreten (Anm.d.Übers.)

[9] In diesem Beitrag verstehen wir unter dem Begriff Ästhetik eine Summe an Ausdrucksformen und ihrer mit den Sinnen wahrnehmbaren Wirkung; uns ist dabei bewusst, dass es in künftigen Arbeiten einer weiteren Ausarbeitung dieser Definition bedarf.

[10] Datum des ersten Protests von Ni una menos in Argentinien im Jahr 2015, Anm.d.Übers.

[11] Die von den Autorinnen verfolgten Thesen stehen in direkter Verbindung mit diesem analytischen Feld, was theoretisch und methodisch impliziert, die Kenntnisse der Erfahrungen zu vertiefen, die folgende Arbeit diskutiert: Victoria Furtado, Juntas en las calles. Mujeres uruguayas transformando el silencio en lenguaje y acción, Projekt für die Magisterarbeit (FHCE-UDELAR); Valeria Grabino, Cuerpos en movimiento: experiencias, politicidad y transformaciones al género en el feminismo uruguayo contemporáneo, Projekt für die Doktorarbeit (UNGS-IDES).

[12] In der Geschichte des Feminismus stand der Körper im Mittelpunkt. Esteban (2012) weist jedoch darauf hin, dass innerhalb des Feminismus eine Sicht auf den Körper dominierte, die diesen als Symbol, als Metapher, als Repräsentation begriff. Esteban bestätigt, dass der andere Körper, den wir Feministinnen auf weniger bewusste Weise gebrauchen, der gelebte Körper ist, der Körper, der mit der Erfahrung des Aktivismus entsteht. So bemerkt die Autorin: »wir leben den Feminismus, […] [aber] wir haben uns dieser Dimension des Erlebens der Phänomenologie des Körpers bisher in der Theorie noch nicht ausreichend gewidmet«. In diesem Sinne definiert sie Körperpolitiken als feministische Aktionen und Theorien, in welchen den Körpern eine besondere Eignung als Element der Anklage, der Forderung, Umwertung und Aktion zukommt. Esteban ist der Auffassung, dass es möglich ist, alle feministischen Politiken als Körperpolitiken zu sehen, da sie einen direkten Einfluss auf die Körperlichkeit haben und der Körper dabei aktives Subjekt dieser Politik ist, selbst wenn dies von der Bewegung bisher nicht thematisiert worden ist.

[13] Video der abrazo caracol bei der Demonstration zum 8. März 2016 unter: https://www.youtube.com/watch?v=Ep_Q4odS67I

[14] Einige der Kollektive, die sich mit Auftritten an den alertas feministas und anderen Mobilisierungen von Frauen beteiligen, sind La caída de las campanas und Decidoras desobedientes (künstlerisch-politische Performances), Magdalenas (Theater der Unterdrückten), La Melaza (Trommeln) und andere.

[15] Die Genderstudies und die eigene Erinnerung der Bewegung zeigen, dass die Feministinnen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeitpunkten, vor allem aber im Rahmen dessen, was als die zweite Welle des Feminismus bezeichnet wurde, eigene Räume, mitunter zur sogenannten Selbsterfahrung, geschaffen haben, Orte, wo sich die Basis einer kollektiven Organisation entwickelt, die bald den Kampf auf die Straßen trägt und wo der Austausch mittels des Wortes das wichtigste Werkzeug für die Politisierung der Erfahrung ist, Frau zu sein (Rivolta Femminile, 2017 [1972]; Forer, 1978; Sarachild, 1978; Hill Collins, 2000).

 

 

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