Die Travas in der Pandemie

Claudia Korol im Gespräch mit Alma Fernández

(Der Begriff „Travas“ wurde im Deutschen übernommen, da er im Gespräch als eine Art Überbegriff für trans und travesti Personen verwendet wird, für die es im Deutschen keine Entsprechung gibt, Anm. d. Ü.)

 

Wie hast du die Pandemie erlebt? Welche Auswirkung hat sie für dein Leben und das der Travas?

Was die Pandemie für mich bedeutet? Ich hätte nie dran gedacht, dass mir so etwas wie eine Pandemie passieren könnte, und ich habe gelernt, dass ich sparen kann. Die Pandemie hat uns Travas beigebracht, dass wir sparen müssen. Gleichzeitig denke ich jedoch: Wie sollst du was sparen, wenn du tagein, tagaus von der Prostitution lebst? Und ich sag das aus der Perspektive meines Alters heraus, mit 36 Jahren.

In meinem Alter war es sehr schwer, während der Pandemie von der Prostitution zu leben, vor dem Hintergrund, dass Prostitution eine Fleischbeschau ist, bei der eine mit dem Körper einer 36-Jährigen natürlich nicht mit einer 18-Jährigen mithalten kann. Daher denke ich, dass zu all den vielen Dingen, die wir lernen müssen, auch die Fähigkeit zum Sparen, zur Absicherung gehört. Die Pandemie hat mich auch gelehrt, mich zu organisieren, Hilfe zu organisieren und diese Hilfe zur Diskussion zu stellen. Das hat auch damit zu tun, dass ich die üblichen sechs Produkte satt hatte, die dir der Staat oder die Parteien zur Verfügung stellen und die am Ende immer Linsen, Bohnen, Nudeln, Reis, Zucker und Mate sind.

Aus meiner Armutssituation heraus frage ich mich: Wie sollen die neuen Generationen in den Vierteln, die Jungs und Mädels in den Armenvierteln, mit dieser Nahrung aufwachsen? Welche geistigen Fähigkeiten können sie damit entwickeln?

Die Pandemie hat mir auch geholfen, das in Frage zu stellen. Darüber zu diskutieren und allen, die uns dazu aufforderten, mitzumachen und Produkte und Lebensmittel in die Armenviertel zu bringen, zu sagen: „Gut, aber ich will, dass du mir das gibst, was du auch isst.“ Sie hat mir geholfen, die Pandemie selbst besser zu organisieren. Und gleichzeitig hat sie alles Affektive und alles Persönliche getötet. Ich habe wegen Covid-19 fünf Familienangehörige verloren. Die Pandemie hat mich gelehrt, vielmehr Sorge zu übernehmen, Sorge um mich selbst und zu begreifen, dass auch ich allein bin.

Inwiefern hat die Pandemie die Travas anders beeinträchtigt, im Unterschied zu anderen Gruppen verarmter Frauen und Queers?

Die Pandemie hat für die Trava-Community dazu geführt, nicht mehr das Dach überm Kopf bezahlen zu können, und dasselbe lässt sich auch für verarmte Frauen sagen, die zur Miete wohnen. Die Pandemie erwies sich als grausam und hart, denn als viele ihre Miete nicht mehr zahlen konnten, wurden sie zwangsgeräumt. Eine Auswirkung der Pandemie war, dass unsere trans und travesti Mitstreiter*innen in die Barriadas zogen, in die Armenviertel wie Villa 31. Viele wollten an den Orten, an denen sie lebten, nicht noch mehr Schulden anhäufen, gingen daher in die Villa 31 und begannen dort ein neues Leben, erlebten neue Räume, denen sie zuvor vielleicht aus Vorurteilen entflohen waren oder sie gemieden hatten.

Beim Recherchieren stieß ich darauf, dass sieben von zehn heterosexuellen Personen in der Stadt ihre Miete in der Pandemie nicht weiter bezahlen können. Würden wir das auf die Travestis übertragen, wären es zehn von zehn. Das und zu sehen, wie meine Mitstreiter*innen um zu fliehen oder in der Pandemie zu überleben, in die Armenviertel gingen, machte mich sehr betroffen. Heute und wie schon je zuvor sind die Körper von Travestis, die diese Räume bewohnen, immer alleine.

Wie war es möglich, dass sie in den Armenviertel Wohnraum fanden? Wie wurden sie von der Bevölkerung aufgenommen?

Beispielsweise hat es sich bereits herumgesprochen, dass Villa 31 ein Trava-freundliches Viertel ist, also ein Armenviertel, das den Travas gegenüber aufgeschlossen ist. Ich glaube, dass das, was den Zuzug der Travas aus der Stadt erleichtert hat, genau damit zu tun hatte, dass dort weniger Miete gezahlt wird und es eine Menge Leute gibt, die dich als alleinstehend erkennen und dir dann was vermieten, weil Travas keine Kinder haben, weil sie niemanden haben, und damit ist das eine praktische Angelegenheit für diejenigen, die das Zimmer vermieten. Und es gibt auch ein sehr weitläufiges Netz von Frauen, die die Travas sehr mögen und sie unterstützen.

Es ist also ein offenes Viertel und wir haben alle eine Freundin, die bereits dort lebt, was die Ankunft umso leichter macht. Und es steht immer ein Zimmer zur Verfügung. Und auch die alleinstehenden Frauen – in diesem Moment als die Welt plötzlich stillstand – Frauen, Lesben, alleinstehende Travas, die den Ort an dem sie wohnten nicht mehr bezahlen konnten, fanden einen Platz im Viertel. Und jetzt siehst du sie alle hier am selben Ort leben und sich mit der Situation auseinandersetzen.

Was brachte die veränderte Organisierung der Travas mit sich?

Ja, da gab es Veränderungen. Beispielsweise gründeten wir „La Casa de Diana y Lohana“ im Viertel. Mitstreiter*innen der trans und queer Community im Armenviertel kamen, um sich zu uns zu gesellen, um dieses Netzwerk zu schaffen, damit wir uns gegenseitig unterstützen können. Ich glaube, die wichtigste Organisierung, die stattfand war vielleicht weil wir Latinxs sind, dieses Anders-Sein. Wie als die Spanier auf dem Kontinent vordrangen. Da gibt es das Beispiel der indigenen Gemeinschaften, etwa der Inka, die nicht Gold sammelten, sondern Nahrung. Wir Travas haben uns also versammelt, aber nicht um politische Reden zu schwingen, sondern um Küchen für alle zu organisieren, um gemeinsam essen zu können. Auch das ist eine Form der Organisierung. Und es war das Schönste, was in dieser Hinsicht passiert ist, zu sehen, dass unsere Mitstreiter*innen es verstehen und wissen, dass sie sich organisieren müssen, damit sie und auch andere essen können. Das war gut. Und dann gilt es auch zu bedenken, dass unser Kollektiv sehr individualistisch ist. Aber das passierte dieses Mal im Armenviertel nicht. Dasselbe auch in La Matanza, wo sich die Betroffenen zusammentaten und beschlossen, vor die Stadtverwaltung zu ziehen und Lebensmittel einzufordern, so wie es eben jede heterosexuelle cis Person auch fordert.

Wie haben sich in diesem Kontext die Liebe, die Freundschaft und die Gefühle miteinander verflochten?

In diesen Kontext wurde Liebe zur Erkenntnis, dass wenn du eine Kartoffel über hast, du sie an die nächste Person weiterreichst. Und das ging sehr häufig weit über den Trans oder den LGBT-Kreis hinaus. Denn auch wir Travas haben eine Gabe bzw. ein Herz, jenseits der ganzen Unterdrückung, die wir erfahren. Was also passierte, war die Erkenntnis, dass wir in einer Lage waren, in der es allen schlecht ging, in der wir alle überleben mussten und nur gemeinsam überleben konnten.

Was änderte sich für diejenigen, die von der Prostitution leben?

Als es mit den anfänglich sehr strikten Ausgangssperren etwas gelockert wurden, begannen viele Travas ihre eigenen Hygiene-Protokolle zu erarbeiten, und plötzlich sahst du Travas im Rotlichtbezirk bepackt mit Plastiktüten, wie sie da in Reizwäsche an der Straße standen und lernten mit Mundschutz und alkoholhaltigen Gels umzugehen und aus welcher Position heraus sie ihre Sexarbeit anbieten mussten. Gleichzeitig haderten sie damit, unter diesen Umständen dort stehen zu müssen und sich zu prostituieren. Mir schien, dass es auch eine Chance war zu begreifen, dass es an der Zeit war, sich etwas anderes zu suchen, voranzukommen, andere Formen des Überlebens zu schaffen.

Hatten sie Probleme mit der Polizei?

Ja, in der Tat. Als die Travas, in den ersten Tagen in den Rotlichtbezirken am Stadtpark in Palermo auftauchten (Bosques de Parlemo, ein Park in Buenos Aires, Anm. d. Ü.), sagte ihnen die Polizei, dass sie weggehen müssten, dass sie dort nicht stehen dürften. An vielen Orten gab es diese Probleme mit der Ignoranz und des Ausnutzens, denn sie dachten, die Travas wüssten nicht, dass sie nicht raus dürfen, und viele Polizisten wollten das ausnutzen und abkassieren. Die Pandemie war eine hervorragende Ausrede, Polizeikräfte einzusetzen, um die Travas von vielen Ecken zu verscheuchen, sie zu verdrängen oder einzugrenzen, wo und wann sie ihre Sexarbeit anbieten konnten. So etwas wie: zu dieser Uhrzeit ja, sonst aber nicht. Das war ziemlich traurig, aber nach dem Tod von Maradona war das auch alles passé. Vorher waren die Rotlichtbezirke leer gefegt, es waren auch keine Klienten da. Sie gingen nicht hin, weil sie Angst hatten.

Du meintest vorhin, dass du über Alternativen zur Prostitution nachgedacht hast. Hast du auch darüber nachgedacht, was die Prostitution in Momenten wie diesem bedeutet?

Definitiv, ich denke ständig darüber nach, was dieser Kontext der Pandemie bedeutet und wie er sich auf die Prostitution auswirkt. Und ich bin davon überzeugt, dass dieses Social Distancing ein Klassenprivileg ist, denn wenn wir von den Travas reden, dann ist es einfach so, dass Prostitution für die meisten die einzige Option ist. Jetzt haben wir zwar diese Quote für trans Personen in staatlichen Institutionen, worin festgehalten ist, dass sie für den Job geeignet sein müssen. Wer aber definiert eine derartige Eignung? Solch eine Eignung ist heterosexuell bestimmt. Es kann nicht sein, dass der Staat jetzt so viele Jahre der Misshandlung und Ausgrenzung dadurch wegwischt, dass er definiert, dass Kandidat*innen für öffentliche Ämter geeignet sein müssen. Welche Chancen hat man trans Personen in diesem Land gegeben, damit sie für solche Stellen geeignet sein könnten? Mir scheint, dass dieses Social Distancing in der Pandemie ein Klassenprivileg ist, und mir scheint auch, dass die Travas angesichts so vieler Hindernisse, so vieler Anforderungen, so vieler Dinge, am Ende doch wieder bei der Prostitution als Option landen.

Wie hat sich die Pandemie bei dir und für die Trava-Community im Hinblick auf Gesundheitsfragen ausgewirkt?

Ich glaube, dass die trans Community vor der Pandemie eher einen Bogen um Krankenhäuser gemacht hat, und mit der Pandemie erst recht. Sie haben Angst, sich untersuchen zu lassen. Denn Gesundheit und wirtschaftliches Auskommen gehen Hand in Hand. Was, wenn du einen Test machen lässt und du dann 14 Tage in Quarantäne musst? Wie überlebst du das finanziell? Die Krankenhäuser, die Gesundheitszentren, die Kliniken, das sind Orte, die wir meiden. Und das ist nicht die Ausnahme. Wir hatten viele Fälle, wo eine Betroffene aus dem Armenviertel verstorben ist, die erst in letzter Minute ins Krankenhaus gegangen war. Sie wollten nicht ins Krankenhaus, weil sie nicht daran glaubten, aufgenommen zu werden. Und am Ende starben sie im Krankenhaus, weil bereits alles zu spät war.

Die Polizei kriminalisiert die travesti und trans Community, bezichtigt sie des Drogenhandels, des Dealens kleiner Mengen. Damit stigmatisieren die Sicherheitskräfte die gesamte trans Community. Wie wirkte sich das in der Pandemie aus?

Im Pandemiekontext hat sich die Polizeirepression weiter verschärft. Dasselbe gilt für konstruierte Fälle. Mit oder ohne Pandemie würden weiterhin Mitstreiter*innen wegen des Dealens mit kleinen Drogenmengen verhaftet. Die Staatsanwält*innen und Richter*innen beschlagnahmen dein Handy und wollen darauf die Daten der letzten 75 Stunden einsehen. Und das geht auch in der Pandemie weiter. Alles andere wurde auf Eis gelegt, aber das führen sie fort. Und natürlich sind unsere Freund*innen weiter der Prostitution nachgegangen, um ihre Miete zu zahlen. Mir geht es nicht darum, das zu rechtfertigen oder zu entschuldigen, ich möchte nur verdeutlichen, wo die strukturellen Probleme liegen.

Als du während der Pandemie in Tucumán warst, was war dort anders im Vergleich zu Buenos Aires oder dem Großraum Buenos Aires?

Das stimmt, um unsere Mitstreiter*innen dort steht es schlimmer. Wir leben in der reichsten Stadt des Landes. Unsere Freund*innen dort hatten nichts, sie achteten nicht auf sich, sie hielten keine Kontaktbeschränkungen ein, sie mussten arbeiten gehen und am Ende mussten sie sogar betteln gehen, um etwas zu essen zu haben. Vergessen, verlassen – unsere Mitstreiter*innen bekamen keinerlei Unterstützung von sozialen Organisationen. Es erreichten sie auch keine Gelder aus Sozialprogrammen. Hinzu kommt, dass Covid-19 den Norden des Landes erst später erreichte, da waren alle schon drei Monate im Lockdown und entsprechend sehr viel müder. Unsere Freund*innen waren verzweifelt. Ich bekam Anrufe von vielen, Bitten, sie irgendwo unterzubringen. Aber natürlich lief das dann so: travesti und trans Freund*innen rufen verzweifelt an, aber so schnell lässt sich das nicht lösen. Also arbeiten sie wieder als Prostituierte, passen nicht auf sich auf, und am Ende hatten sich viele angesteckt.

Ihr habt in eurem Armenviertel „La Casa de Diana y Lohana“ geschaffen. Worum geht es bei diesen Projekt?

„La Casa de Diana y Lohana“ ist ein Ort, an dem wir Menschen begleiten, nachbarschaftliche Hilfe organisieren und bei Suchtproblemen helfen möchten. Die grundsätzliche Idee ist, damit im Viertel anzukommen und auch bei der Lebensmittelversorgung zu helfen. Aktuell machen wir jedoch vor allem Workshops und Kurse, um unseren trans und travesti Freund*innen, Lesben und Frauen einen Raum zur Verfügung zu stellen, wo wir uns im Armenviertel organisieren und etwas aufbauen können. In den kommenden Tagen wird uns ein Haus zur Verfügung gestellt, und damit wollen wir unser Projekt vom Viertel aus denken. Unser Ziel ist es auch, die trans Mitstreiter*innen auf diese Weise ins soziale und gemeinschaftliche Gefüge des Viertels zu integrieren, denn trans Menschen beteiligen sich aktuell nicht an den politischen Entscheidungen des Viertels.

Es war gut, uns diese Chance gegeben zu haben und diese Räume zu erkämpfen, diese Räume zu besetzen. Ich bin sehr glücklich damit. Es ging um eine Aktion, um einen gemeinschaftlichen Raum und jetzt sind wir eine Familie geworden, weil wir viele Menschen getroffen haben, die sich alleine fühlten und die allein Widerstand leisteten. Das war gut. Das war das Beste, das passiert ist – mich bei diesem Projekt eingebracht zu haben.

Just in 2020 haben verschiedene trans Menschen Posten bei der Regierung bekommen. Hat das euer Leben beeinflusst?

Ich begrüße es, dass viele trans und travesti Mitstreiter*innen nun in verschiedenen Räumen der Macht in Regierungspositionen gelangt sind, aber die Travas in unserer Frente de Todos (dt. etwa: Front für alle) sind weiter außen vor. Wir haben keine Menschen aus dem Viertel, die Posten übernommen hätten. Wir haben dort keine Ramona, keine Alma gesehen. (Ja, da beziehe ich mich auch selbst ein!) Wir haben akademische Menschen gesehen, die weit weg von der Community sind. Wir haben die Freund*innen der Funktionär*innen gesehen, die Teil der Teams werden. Aber diejenigen, die wirklich Widerstand leisten […] denen es geht es immer noch wie zuvor. Wenn sie also sagen, dass es um alle ginge, glaube ich ihnen nicht. Es geht nicht um alle. Wir sind nicht alle dort.

Und wie ist es dir mit dem Schreiben während der Pandemie ergangen?

Mein Schreiben wurde sensibler, es wurde fröhlicher, aber zuweilen auch krisenhafter, aber es hatte immer dieses Glitzern, es hörte nie auf, mich zu begeistern. Ich habe noch viele Dinge in meinen Herzen, die ich erst umwälzen muss, um sie dann aufzuschreiben. Mir ist ein Computer mit vielen Texten abgebrannt. Jetzt bin ich gerade dabei, alles neu zu schreiben, weil ich es noch im Kopf habe. Ich muss mich jedoch organisieren, anderen beim Organisieren helfen und vielleicht einen Platz finden, wo ich wieder schreiben und all diese Dinge aufs Papier bringen kann, die uns beim Versuch, die Pandemie zu überleben, widerfahren sind.

Welche Träume hast du zurzeit?

Meine Träume sind, dass wir alle glücklich sind, dass es gelingt, dass meine Community, mein Kollektiv, glücklich ist. Und was mich persönlich angeht, mein Zuhause zu haben, die Lebenserwartung zu erreichen (die durchschnittliche Lebenserwartung von trans Personen liegt bei ca. 35 Jahren, Anm. d. Übers.) und den bislang ungehörten Stimmen dabei zu helfen, gehört zu werden. Allen, die keine Stimmen haben, soll Gehör verschafft werden.

 

Übersetzung Sebastian Landsberger, Bettina Hoyer und Kristina Vesper vom Übersetzer*innenkollektiv lingua transfair

 

 

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