Die Durchlässigkeit des Staates

Feministische Forderungen und Geschlechterpolitik unter den Regierungen Kirchner und Macri in Argentinien


por Birte Keller und Caroline Kim

Die Durchlässigkeit des Staates

Das Recht auf Abtreibung und auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper – kaum eine andere Forderung hat es in Argentinien in den letzten Jahrzehnten geschafft, so viele Menschen zu mobilisieren und die öffentliche Debatte derart zu dominieren. Die als «grüne Flut» bekannt gewordenen Proteste für eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und die #NiUnaMenos-Bewegung gegen Femizide sind bis in die entlegensten Winkel des gesamten Landes vorgedrungen und haben nicht nur an den Fundamenten patriarchaler Fremdbestimmung gerüttelt. Mit ihrer überwältigenden Kraft haben sie vermocht, grundlegende Veränderungen in Politik und Gesellschaft zu erstreiten und damit Kämpfe und Köpfe weltweit zu inspirieren.

Die Stärke der feministischen und queerfeministischen Bewegung Argentiniens ist keineswegs neu. Bereits in den vergangenen Jahrzehnten hat sie es mehrfach geschafft, die öffentliche Debatte und politische Agenda zu beeinflussen und feministische und queere Forderungen zum Politikum zu machen. Dabei nahm sie den Staat zwar als zentralen Akteur für Veränderungen in die Pflicht, ließ sich trotz ihrer oftmals aktiven Rolle bei der Erarbeitung von Gesetzesentwürfen aber nicht von ihm einnehmen. Dank der kritisch-konstruktiven Bewegung, deren Mobilisierungskraft auf jahrzehntelanger Erfahrung in Prozessen der Selbstorganisation basiert, wurden in Argentinien Gesetze verabschiedet, die im internationalen Vergleich lange eine Vorreiterrolle einnahmen – wie die Gesetze gegen geschlechtsspezifische Gewalt, zur gleichgeschlechtlichen Ehe oder Geschlechteridentität.
Diese oftmals konfliktive Beziehung zwischen Staat und streitbarer feministischer Zivilgesellschaft ist einer der zentralen Untersuchungsgegenstände der vorliegenden Studie, die sich vergleichend mit den geschlechterpolitischen Agenden der Regierungen Kirchner und Macri auseinandersetzt. Fragen, die uns dabei insbesondere interessieren, sind, inwiefern der Staat auf normativer Ebene durchlässig für die geschlechterpolitischen Forderungen der Straße ist und wo seine Grenzen ganz offenbar werden.

Die feministische Mobilisierung bleibt auf allen Ebenen zentral – als kritische Hüterin gesetzlicher Garantien, als fordernde Stimme für weitere Maßnahmen und als treibende Kraft politischer und gesellschaftlicher Gegenstrategien, die den neoliberalen, autoritären und reaktionär-patriarchalen Kräften etwas Positives entgegensetzen.

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