Es braucht immer politischen Druck

Erinnerungsorte und Erinnerungspolitik in Lateinamerika.
von Rainer Huhle | ila-web

Erinnerungskultur hat in Lateinamerika viele Facetten. Es gibt große Museen, in denen der Opfer von Diktaturen und Bürgerkriegen gedacht wird (selten werden auch die Täter genannt), es gibt kleine intime Erinnerungsorte, die von den Angehörigen der Ermordeten und Verschwundenen gestaltet und betreut werden. In den Ländern des Cono Sur sind die Phasen, in denen Menschen aus politischen Gründen verfolgt und ermordet wurden, Geschichte; in Kolumbien oder Mexiko werden bis heute Menschen Opfer von staatlicher und parastaatlicher Gewalt oder bewaffneter Gruppen. In Argentinien, Uruguay und mit Abstrichen auch in Chile werden die früheren Diktaturen heute von der großen Mehrheit der Bevölkerung verurteilt. In Peru werden die erste Amtszeit von Alan García (1985-90) und die Regierung von Alberto Fujimori (1990-2000), unter denen es zu schwersten Menschenrechtsverletzungen kam, dagegen bis heute von vielen – vor allem konservativen – BürgerInnen verteidigt und ihre Taten gerechtfertigt. Im folgenden Beitrag skizziert Rainer Huhle den Umgang mit der Erinnerung in verschiedenen Ländern und Regionen des Subkontinents.
 

Denkmäler sind in Lateinamerika Teil der urbanen und dörflichen Landschaft, so fest mit ihr verwachsen, dass sie kaum noch wahrgenommen werden – es sei denn, sie sind so hässlich, dass sie einfach nicht übersehen werden können. Carlos Monsivais und Néstor García Canclini haben einst eine eindrucksvolle Sammlung solcher Denkmäler in Mexiko zusammengetragen und sarkastisch kommentiert.1 Die beabsichtigte Verehrung nationaler Helden oder solcher Herrscher, die sich dafür halten, wird durch künstlerisches Unvermögen und Volkswitz oft genug ins skurrile Gegenteil gewendet, nicht nur in Mexiko. Unter den in Stein, Bronze oder schlicht Beton dem Volk präsentierten Heroen finden sich neben zahllosen Tätern auch Opfer von Gewalt. Aber die gefolterten und hingerichteten Befreiungskämpfer, ob Túpac Amaru und Micaela Bastidas in Peru, Cuauhtémoc oder Hidalgo in Mexiko oder Policarpa Salavarrieta La Pola in Kolumbien, werden in ihren Monumenten ausschließlich als Helden, nie als Opfer dargestellt. Kanonisiert, von Tauben bekleckert und verkehrsumtost gehen sie im Alltagsleben auf. Nur selten erinnert sich jemand, wer sie waren und wofür sie standen.

Aber neben den Sockelhelden hat Lateinamerika eine ganz andere Tradition öffentlicher Erinnerung, erd- und volksnah, die in die vorspanische und koloniale Zeit zurückreicht und in der Volksreligiosität verwurzelt ist. Vor allem in Chile und seinen Nachbarländern, aber auch in Mittelamerika und den nördlichen Andenländern findet man häufig am Straßenrand animitas, kleine Häuschen oder Höhlen unterschiedlicher Ausgestaltung, für gewöhnlich mit einer Kerze, Blumen und Bändern sowie schriftlichen Bitten davor.2 Meist erinnern sie an Verstorbene, die durch ein Unglück oder Verbrechen ums Leben gekommen sind. Während der Leichnam auf dem Friedhof bestattet ist, bleibt die animita, die Seele, am Ort des Unglücks und gilt oft als wunderkräftig. 
In dieser Tradition entstanden z.B. in Chile solche animitas auch für Opfer der Diktatur am Ort ihrer Ermordung. Die Studentin Marisol Vera Linares wurde am 4. September 1985 in Santiago de Chile während eines Straßenprotestes erschossen. Am Ort ihres Todes im Stadtteil Quinta Normal steht bis heute eine kleine animita, hinter einem großen Wandbild. Während dieses die damaligen Proteste mit roten Fahnen und kämpferischen Figuren in Erinnerung ruft, hängt an der animita ein Schild mit Dankesworten an „Marisol“ für die Erhörung einer Bitte. Volksfrömmigkeit und Volksprotest sind hier kein Gegensatz.3 Spuren dieser Verbindung finden sich selbst im großen, offiziösen Museo de la memoria y los derechos humanos (vgl. Beitrag in dieser ila) in Santiago, wenn dort vor der großen Wand mit Fotos von Opfern eine Reihe von elektrischen Kerzen aufgestellt ist.
In diesem Museum lässt sich auch erkennen, dass es eine erinnerungskulturelle Verbindungslinie zwischen diesen einfachsten volkstümlichen, oft sehr intimen Praktiken und den größeren, im öffentlichen Diskurs oder durch politische Entscheidungen zustande gekommenen Erinnerungsstätten gibt. In der Eingangshalle sind Fotografien von 190 lokalen Erinnerungsstätten an Opfer der Diktatur zu sehen, die unter oft schwierigen Umständen lange vor dem nationalen Erinnerungsort des Museums entstanden sind und gewissermaßen dessen soziale Basis bilden. Im Museum herrschen strenge Regeln, aber an einem anderen großen Gedenkort in Santiago, dem Memorial für die Verschwundenen auf dem Zentralfriedhof, erweist sich, dass auch dieses gewaltige kollektive Mahnmal Anziehungspunkt für ganz intime Beziehungen sein kann. Immer wieder finden sich vor der riesigen Namenstafel und den großen Steinplastiken Blumen und Zettel mit persönlichen Botschaften.
Sowohl das Museo de la memoria y los derechos humanos wie das Memorial auf dem Zentralfriedhof sind öffentliche und öffentlich finanzierte Gedenkorte, die aber nicht ohne langjährige und intensive Bemühungen von Opferorganisationen und zivilgesellschaftlichen Initiativen zustande gekommen wären. Auch wenn beide Orte als geglückte Beispiele für eine Kooperation zivilgesellschaftlicher Bemühungen und staatlicher Förderung gelten dürfen, gibt es doch auch hier immer wieder Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit und die Verfügung über diese Gedenkorte auf gewissermaßen neutralem Boden. Weitaus konfliktiver verlief fast überall das Bemühen, an den Täterorten selbst die Erinnerung an die Verbrechen wach zu halten. Folterzentren wie die Villa Grimaldi, das Haus Londres 38 und das Stadion in Santiago, die Marineschule ESMA in Buenos Aires und das Folterzentrum La Perla in Córdoba oder das Historische Archiv der Polizei in Guatemala mit seinem Projekt eines großen Memorials für die Eintracht in Guatemala (Kikotemal’ Rik K’aslem) sind erst nach langen Konflikten mit vielen Niederlagen zu Gedenkorten geworden.
Viele dieser Orte konnten nicht vor der Zerstörung bewahrt werden. Manche AktivistInnen sehen darin nur Niederlagen und verweisen staunend bis neidvoll auf die breite Landschaft von Gedächtnisorten an den Nationalsozialismus oder die SED-Herrschaft in Deutschland. Dass auch die Erhaltung und Ausgestaltung von KZ-Gedenkstätten wie Dachau, Flossenbürg, Bergen-Belsen, Buchenwald, Sachsenhausen oder Neuengamme, um nicht von den vielen kleineren KZs und Außenstellen zu reden, Ergebnis langer Jahre von Kämpfen der Überlebendenverbände und Aktivistenbündnisse waren, ist in Lateinamerika vielfach unbekannt, wie auch die Tatsache, dass der heutige Zustand dieser ehemaligen KZ ebenfalls Resultat jahrzehntelanger Zerstörungen und Veränderungen durch nachträgliche Nutzung ist, die von wenig Respekt für die Opfer der dort begangenen Verbrechen zeugen.
Wenn gerade in Argentinien und Chile zivilgesellschaftliche Initiativen für die Erhaltung von Erinnerungsorten und die Errichtung großer Gedenkstätten auf „neutralem“ Boden wie dem Museo de la Memoria y los Derechos Humanos in Santiago oder dem Parque de la Memoria mit seinem Monumento a las Víctimas del Terrorismo de Estado am Ufer des Rio de la Plata in Buenos Aires relativ große staatliche Unterstützung fanden, ist das kein Zufall. Denn es sind die beiden Länder, in denen auch der Kampf gegen die Straflosigkeit der Verbrechen der Diktatur den größten Erfolg hatte. Erinnerungspolitik ist zumindest teilweise, und nicht unumstritten, Teil des offiziellen Diskurses geworden. Die Errichtung des Museo de la Memoria y los Derechos Humanos in Chile und die Umwandlung der ESMA in Argentinien in einen Espacio para la Memoria spiegeln auch das Selbstverständnis der gegenwärtigen Regierungen, dass es sich bei den Diktaturen um eine abgeschlossene Periode handelt. Die Verurteilung der Diktaturen ist zur Staatsdoktrin und damit auch zur Selbstlegitimierung der heutigen Regierungen geworden.
Das ist nicht überall so. Das offizielle Brasilien grenzt sich zwar ebenfalls klar von den Zeiten der Militärdiktatur ab, einen vergleichbaren Prozess der Aufarbeitung der Vergangenheit und der strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen hat es jedoch bis heute nicht gegeben. Entsprechend schwach sind auch die Anstrengungen einer offiziellen Erinnerungspolitik, erst in jüngster Zeit gibt es Anzeichen für ein Umdenken, darunter die Einrichtung einer Wahrheitskommission mit beschränkten Befugnissen. (vgl. Beitrag in dieser ila) In Peru wurde zwar Ex-Präsident Fujimori zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, und auch einige seiner wichtigsten Mitarbeiter sind verurteilt. Eine vom Staat einberufene unabhängige Wahrheitskommission hat einen umfassenden Bericht über die Jahre des „schmutzigen Kriegs“ 1980-2000 vorgelegt. Aber die gesellschaftlichen und politischen Kräfte, die für die staatlichen Verbrechen in jenen Jahren verantwortlich waren, spielen nach wie vor eine bedeutende Rolle. Fujimoris Tochter verfehlte bei den letzten Wahlen nur knapp die Präsidentschaft, und Alan García, unter dessen Präsidentschaft 1985-1990 zahlreiche der schlimmsten Massaker durch Militär und Polizei verübt wurden, die auch im Bericht der Wahrheitskommission dokumentiert sind, wurde nie zur Rechenschaft gezogen und konnte sogar eine zweite Amtszeit als Präsident (2006-2011) vollenden. 
Das von der Wahrheitskommission initiierte Projekt eines Museums oder „Orts“ der Erinnerung wurde von Anfang an im politischen Interessenskonflikt zerrieben und ist bis heute nicht fertig gestellt. Um den Inhalt dieses Orts hat es, im Gegensatz zu Argentinien und Chile, keine transparente Diskussion gegeben. Währenddessen sind längst auch in Peru viele kleine Erinnerungsorte dort entstanden, wo der „schmutzige Krieg“ ausgetragen wurde. (vgl. Beitrag in dieser ila) Auch um die Errichtung und Orientierung dieser Orte, wie zum Beispiel in Ayacucho, gab und gibt es Konflikte, die die verschiedenen Sichtweisen auf Ursachen, Verlauf und Verantwortlichkeiten der politischen Gewalt in Peru spiegeln. Denn anders als in den Diktaturen des Cono Sur waren in Peru nicht nur der Staat, sondern auch die Aufständischen vor allem des Leuchtenden Pfads für zahlreiche Verbrechen verantwortlich. Von einem anerkannten Konsens über die Verantwortung der verschiedenen Akteure ist die peruanische Gesellschaft noch weit entfernt, und entsprechend schwierig sind alle Versuche, im öffentlichen Raum an diese Periode zu erinnern.
Während aber der Sturz des Fujimori/Montesinos-Regimes 2000 in Peru immerhin eine Zäsur setzte und mit dem Mandat der Wahrheitskommission die Jahre 1980-2000 als eine abgeschlossene vergangene Periode definiert wurden, gibt es in Ländern wie Kolumbien und Mexiko keine solche Vergangenheit. Die Museen, Monumente und sonstigen Erinnerungszeichen, die vor allem in Kolumbien dennoch in den letzten Jahren entstanden sind, erinnern an nichts, was nicht gleichzeitig fast täglich weiterhin geschieht: Mord, Folter und Vergewaltigung, gewaltsames Verschwindenlassen, Vertreibungen… Die politischen und sozialen Kontexte, in denen diese Verbrechen stattgefunden haben, sind ungebrochen durch irgendeine klare historische Zäsur, auch wenn die Politiken der Regierungen, die sich in Beachtung der Verfassungen regelmäßig abwechseln, graduelle Unterschiede aufweisen. 
Damit wird das Erinnern an vergangene Verbrechen zu einem scheinbar paradoxen Unternehmen. Im Zentrum Bogotás steht seit ein paar Jahren der mächtige Bau eines Centro de Memoria Paz y Reconciliación, ein von der Stadtverwaltung Bogotás auf Initiative des Friedensforschungsinstituts Instituto de Estudios para el Desarrollo y la Paz (Indepaz) errichtetes Museum. Neben seiner originell gemachten Ausstellung zur Geschichte der politischen Gewalt in Kolumbien seit den vierziger Jahren bis zu den derzeitigen Friedensverhandlungen ist es vor allem auch ein Gesprächs-, Lern- und Aktionsort, der von zahlreichen Initiativen genutzt wird. Zum Centro gehört außerdem eine umfassende Website (http://centromemoria.gov.co/), die unter anderem eine virtuelle Landkarte enthält, die zu zahlreichen Gedenkorten von Opfern politischer Gewalt in der Stadt führt, aber auch zu Orten des Kampfs für Demokratie und Frieden (http://centromemoria.gov.co/multimedia/cartografia/). Gedenkorte und unabhängige Dokumentationen über lokale und regionale Opfergruppen und Täterkomplexe gibt es in vielen Landesteilen, so z.B. die weit über 1000-seitige Dokumentation La verdad de las mujeres víctimas del conflicto armado 4 oder der von den Opfern selbst initiierte und getragene Salón del Nunca Más im Städtchen Granada (Antioquia).
In Medellín steht ein großes, architektonisch wie konzeptionell ähnlich anspruchsvolles Museum, die Casa de la Memoria, kurz vor der Vollendung (vgl. Beitrag in dieser ila). Beiden gemeinsam ist, dass sie nur möglich wurden, weil zivilgesellschaftliche Initiativen die Chance nutzten, mit fortschrittlichen Stadtregierungen diese Orte zu gestalten. Ihre dauerhafte Existenz ist damit durchaus nicht ungefährdet, denn es gibt nach wie vor in Kolumbien keine gemeinsame Lesart der bisherigen Geschichte der politischen Gewalt. Die zahlreichen akademischen und offiziösen Versuche, eine solche Geschichte zu schreiben, sind heterogen und umstritten, so wie auch der Begriff, mit dem man sie benennen soll.5 Ex-Präsident Uribe etwa hat einen unermüdlichen – letztlich vergeblichen – Kampf gegen die vor allem international gebräuchliche Bezeichnung „bewaffneter interner Konflikt“ geführt. Auch das große Forschungsprojekt des unter der Regierung Uribe eingesetzten Grupo de Memoria Histórica, in dessen Rahmen unabhängige Akademiker über 20 umfassende Fallstudien über exemplarische Fälle und Kontexte politischer Gewalt der letzten Jahrzehnte durchführten, konnte mit seinem eindrucksvollen Abschlussbericht ¡Basta Ya!6 noch keine konsensfähige Synthese präsentieren, auch wenn Präsident Santos den durchaus regierungskritischen Bericht offiziell entgegengenommen und gewürdigt hat. Auf seiner Basis wird derzeit von dem inzwischen als Centro de Memoria Histórica neu konstituierten Team an einem nationalen Museo de la Memoria gearbeitet. Die Forderung nach einer umfassenden Wahrheitskommission für Kolumbien ist jedoch nicht verstummt, sie ist sogar derzeit auf der Tagesordnung der Friedensgespräche der Regierung mit den FARC in La Habana, und vermutlich wird, falls die Gespräche zum Erfolg führen, eine der konkreten Vereinbarungen eine solche Wahrheitskommission sein. 
Die erinnerungspolitische Landschaft Deutschlands mit ihren zahlreichen NS-Erinnerungsorten, Museen und Gedenkfeiern gilt in Lateinamerika vielen als vorbildlich. Dabei ist in Deutschland seit Jahren eine intensive Diskussion darüber im Gange, wie diese Orte und diese Rituale vor dem Erstarren und vor politischer Funktionalisierung bewahrt werden können, wie ihre Relevanz für die Gegenwart bewahrt und immer wieder neu aktualisiert werden kann. Obwohl in Lateinamerika die erinnerten Diktaturen oder Gewaltperioden sehr viel zeitnäher und damit unmittelbarer erinnert sind, wirft die in den letzten Jahren rapide gewachsene offiziöse Politik des Erinnerns inzwischen ähnliche Fragen auf. Sind die großen Museen nicht auch ein Versuch, die Verbrechen eben zu musealisieren, sie der politischen Auseinandersetzung zu entziehen? Schreiben Wahrheitskommissionen nicht eine komplexe Geschichte zu einfachen offiziösen Wahrheiten um? Oder welchen Wert hat ein staatliches Denkmal für ein Opfer staatlicher Repression, wenn es halbherzig einer Entscheidung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission nachkommt, die solche Memoriale inzwischen häufig als Teil ihrer Maßnahmen zur Opferentschädigung dekretiert?
Keine dieser offiziösen Gedenkorte oder -veranstaltungen wären ohne Druck der Betroffenen oder bestimmter Gruppen der Zivilbevölkerung entstanden. Und es ist ein – legitimes – Ziel dieser Initiativen von unten, ihre Sicht der Repression und der Konflikte dadurch verbindlich zu machen, dass sie von Staat und Mehrheitsgesellschaft getragen wird. Eine solche Vergesellschaftung zunächst nur partikularer Erinnerung und Gedenkkulturen bedeutet aber zwangsläufig, dass auch andere Sichtweisen und die Anliegen anderer Opfergruppen einfließen. Im Museum von Bogotá wird an die Opfer staatlichen und parastaatlichen Terrors, aber auch an die der Guerilla erinnert. Verschiedene Gruppen finden dort Platz für ihre Aktivitäten – und für Austausch und Begegnungen. Hier wie anderswo sind solche Prozesse schwierig, weil es auch darum geht, legitime Anliegen von solchen zu unterscheiden, die auf Verleugnung und Verdrängung der Verbrechen zielen. Aber ohne solche Klärungsprozesse kann es zu keiner gesellschaftlich einigermaßen akzeptierten offiziellen Erinnerungskultur kommen. 
Wenn sich in diesem Prozess die offiziöse Erinnerungspolitik mal mehr, mal weniger weit von den Anliegen der sie initiierenden Gruppen entfernt, ist das gewissermaßen der Preis des Erfolgs. Die Basisinitiativen stehen damit vor einer doppelten Herausforderung. Zum einen wollen sie das Erreichte gegen Angriffe der Täterseite oder ihrer ApologetInnen verteidigen, wie es in den meisten Ländern, vor allem da, wo der gesellschaftliche Konsens noch sehr brüchig ist, immer wieder passiert. Das Stück offizieller Anerkennung, das die offiziösen Gedenkorte und -rituale bedeuten, soll nicht aufgegeben werden. Andererseits gilt es, die damit verbundene Gefahr der Selbstzufriedenheit der betreffenden Regierungen, der Vereinnahmung für ihre parteipolitischen oder partikularen gesellschaftlichen Interessen zu verhindern. 
Die offizielle Anerkennung des staatlichen und parastaatlichen Unrechts bedeutet für dessen Opfer daher nicht, dass sie ihr eigenes Erinnern und Gedenken einstellen. Mehr als in den Museen der Erinnerung wollen sie zum Beispiel Täter nennen und Gerechtigkeit fordern, wie es die escraches oder funas in Argentinien und Chile vor den Häusern von Folterern exemplarisch getan und damit erst wichtige Anstöße für die breite Wahrnehmung dieser Verbrechen gegeben haben. Lokale Initiativen werden durch Museen nicht überflüssig, erst recht nicht da, wo außerhalb der Museen die Strukturen weiter bestehen, die die gezeigten Verbrechen möglich gemacht haben und weiter produzieren. Erinnerungsarbeit inmitten von Menschenrechtsverletzungen und gewaltsamen Konflikten ist dort Teil des Widerstands. Sie ist Selbstvergewisserung, eigenes Sich-Erinnern ebenso wie demonstratives Erinnern der Gesellschaft an ihre Verantwortung. Solches Erinnern ist auf dem Weg zu seiner Vergesellschaftung immer gefährdet, Aggressionen ausgesetzt. Aber in Lateinamerika haben viele Menschen verstanden, dass gerade darin sein Sinn besteht. Der Kampf um die Vergangenheit ist ein Kampf um die Veränderung des Heute und die Gestaltung des Morgen.

1) Mexican Monuments – Strange Encounters, New York 1989, mit Beiträgen von Carlos Monsivais, Néstor García Canclini u.a.
2) s. Plath, Oreste: L’animita. Hagiografía folclórica, Edición revisada y corregida por Karen Platz Müller Turina, Santiago (Fondo de Cultura Económica) 2012
3) Weitere Beispiele bei Piper Shafir, Isabel / Evelyn Hevia Jordán: Espacio y recuerdo. Archipiélago de memorias en Santiago de Chile, Santiago 2012
4) Ruta Pacífica de las Mujeres (ed.): La verdad de las mujeres .Víctimas del conflicto armado en Colombia, Bogotá 2013, 2 tomos
5) Lesenswert dazu der Aufsatz von Camilo Gonzalo Posso, dem Initiator des Bogotaer Museums: „ Los nombres de la guerra en la memoria histórica”, auf http://centromemoria.gov.co/aportes-a-comisiones-de-la-verdad/ (14.4.14)
6) ¡Basta ya! Colombia: Memorias de guerra y dignidad. Informe General Grupo de Memoria Histórica, Bogotá 2013, auch als pdf auf http://www.centrodememoriahistorica.gov.co/micrositios/informeGeneral/
descargas.html

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