"Den Aufenthalt in Hannover zähle ich zu den schönsten und er­freulichsten Oasen in der Lebens­wüste"

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Klaus Meschkat bei der Veranstaltung zu seinem 80. Geburtstag

Laudatio von Urs Müller-Plantenberg bei der Veranstaltung anlässlich Klaus Meschkats 80. Geburtstag, organisiert von der Friedrich-Ebert-, der Heinrich-Böll- und der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin am 6. November
Lieber Klaus, liebe Freundinnen und Freunde von Klaus Meschkat, werte Festgäste,
eigentlich sollte ein langjähriger Funktionär der Friedrich-Ebert-Stiftung an dieser Stelle eine Würdigung von Klaus Meschkat vortragen. Er kann aber heute nicht hier sein, und so hat man mich gebeten, diese Aufgabe zu übernehmen, obwohl mich viel weniger mit der Stiftung verbindet.
Immerhin war ich einen Moment lang Stipendiat der Stiftung und er­hielt auch ein erstes Büchergeld von 40 Mark. Aber da ich im selben Mo­ment eine Hilfsassistentenstelle an der Freien Universität erhielt, wurde ich von da an, wie man mir erklärte, „ideell“ gefördert, und das nun schon 53 Jahre lang. Das heißt: Ich bekam immer wieder Einladungen zu öf­fentlichen Veranstaltungen der Stif­tung. Und in diesem Sinne fühle ich mich jetzt auch schon viele Jahre von der Heinrich-Böll-Stiftung und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung „ide­ell“ gefördert.
Nun aber zur Sache:
Liebe Freundinnen und Freunde von Klaus Meschkat. Damit bin ich schon beim Thema.
Denn wenn ich die acht Jahrzehnte von Klaus Meschkats Leben in viel­leicht acht Minuten ansprechen soll, worauf soll ich mich dann konzen­trieren, wenn nicht auf die Freund­schaften von Klaus?
Manche und mancher mögen sich erinnern, daß Klaus, als viele von uns noch ein donnerndes «Genossin­nen und Genossen» hören ließen, schon immer von den Freunden sprach. Die Freunde, the friends, los amigos, das war nicht nur eine Bezugsgruppe, die im Zweifel für gemeinsame Unternehmungen, ange­nehme Unterhaltungen und eine Un­terkunft bereit stand, das war viel­mehr eine weltweit wichtige Instanz, deren sachliche und politische Autorität von niemandem bezweifelt werden durfte.
Wenn Klaus den Freunden in Con­cepción, Hannover oder Berlin über die Analysen der Freunde in Me­dellín, La Paz oder New York be­richtet, dann wissen sie Bescheid, wie sie über die Situation in anderen Teilen der Welt zu denken haben.
So entstand gewissermaßen die In­ternationale der Freunde von Klaus Meschkat, eine Internationale, die zwar am Rande Überschneidungen mit der Zweiten, der Dritten, der Vierten und mancher anderen Inter­nationale aufweist, aber wirklich nur am Rande, weil ihre kritisch-demo­kratischen Grundüberzeugungen doch immer wieder mit den Dogmen und Bürokratismen der anderen In­ternationalen ins Gerangel kommen.
Einer, der es wissen muss, hat herausgefunden, dass eine dauerhafte Freundschaft schwerer ist als die erste Million. Wenn man auf dieser Basis weiterdenkt und sich allein die Zahl der hier versammelten dauer­haften Freunde vor Augen führt, muß Klaus ein verhinderter Multimillio­när sein.
Wenn Friedrich Schiller ein langes Leben vergönnt gewesen wäre, so dass er Klaus noch hätte kennen ler­nen können, dann hätte er sicher nicht gedichtet „Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein …“, sondern: „Wem der große Wurf gelungen, vieler Freunde Freund zu sein…“
Die Fortsetzung des Verses, in der dann auch wieder nur von einem „holden Weib“ die Rede ist, erinnert uns daran, dass diese Internationale der Freunde von Klaus natürlich im­mer die Freundinnen mit einschließt, denen er mit jener Feierlichkeit und Würde begegnet, die nie den Gedan­ken aufkommen lässt, er wolle allzu stürmisch und leidenschaftlich ihre Herzen brechen. Bis unsereiner dann feststellen muss, dass er es, kokettie­rend mit seiner existentiellen Hilflo­sigkeit, immer wieder schafft, wahre Organisationen von Frauen entstehen zu lassen, deren einziger Daseins­zweck zu sein scheint, ihm sein Le­ben zu erleichtern und sein Dasein zu verschönern.
Und hinterher haben alle das beru­higende Gefühl, daß sie mit der Wie­derherstellung seiner guten Laune et­was Wesentliches gegen der Menschheit ganzen Jammer voll­bracht hätten.
So löst sich denn auch das Rätsel, wie jemand es hat schaffen können, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung und die Rosa-Luxemburg-Stiftung dazu zu brin­gen, eine gemeinsame Veranstaltung durchzuführen: Svenja und Ingrid und Karin wollten sein Dasein ver­schönern!

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Urs Müller-Plantenberg

Uns Berlinerinnen und Berlinern wird es ewig ein Geheimnis bleiben, warum Klaus sich in Hannover so wohl hat fühlen können. Seine Ver­bindung zu Hannover wurde biswei­len so eng, daß er mir beispielsweise einmal ein Buch über den Totmacher Haarmann, den mit dem Hackebeil­chen, geschenkt hat, nur weil der aus Hannover war.
Ich gebe zu, es ist etwas unfair, die Sache so darzustellen; denn das Buch über Haarmann stammte von keinem anderen als Theodor Lessing, und es ist überaus lesenswert. Und wer weiß, wie sehr sich Klaus für den politisch verfolgten Peter Brück­ner engagiert hat, der kennt auch die Parallelen zu Theodor Lessing und dessen Schicksal vor mehr als sech­zig Jahren.
Wahrscheinlich waren es auch in Hannover die Freunde, die ihn für die Stadt eingenommen haben. Schließlich hat ja auch Karl Marx in einem Dankesbrief an seinen Freund Ludwig Kugelmann den an sich völ­lig unverständlichen Satz geschrie­ben: «Den Aufenthalt in Hannover zähle ich zu den schönsten und er­freulichsten Oasen in der Lebens­wüste.» (MEW 31, S. 550).
Ich will diese an sich sehr wichti­gen Betrachtungen heute nicht weiter vertiefen, sondern mich einem The­ma zuwenden, das nicht minder wichtig ist. Ich meine hier nicht, was auch ein wichtiges Thema wäre, das Lateinamerika-Jahrbuch, an dessen ersten 25 Bänden Klaus prägend mitgewirkt hat, ich meine sein Verhältnis zur Geschichte und zur Vergangenheit überhaupt.
Es gibt solche Leute, die nur noch vergessen wollen, was sie damals ge­dacht und getan haben, und dafür in Kauf nehmen, dass alle historischen Maßstäbe über Bord geworfen wer­den. Klaus Meschkat gehört nicht zu diesen Leuten. Er hat sich nie von seiner Vergangenheit distanziert; nicht nur weil es nichts gab, wovon er sich hätte distanzieren müssen, sondern auch, weil er es ablehnen würde, die Erkenntnisse, die sich aus seinem historischen Bewusstsein entwickelt haben, zu verleugnen.
Er hat immer mit äußerster Strenge auf den Prinzipien bestanden, die spätestens seit dem 19. Jahrhundert weltweite Geltung fordern können: echte Demokratie, Freiheit der sozialen Bewegungen, Bindung des Gewaltmonopols des Staates an von diesem Staat auch einzuhaltende rechtliche Normen, Gleichheit der Lebenschancen. Da leuchtet die Pari­ser Kommune, über deren Bild in der sowjetischen Historiographie er einstmals promoviert hat, herüber. Man könnte sagen, dass Klaus des­halb so fortschrittlich ist, weil er nicht verleugnet, dass seine Prinzipi­en in Wirklichkeit noch von der Ide­enwelt des 19., also des vorletzten Jahrhunderts geprägt wurden.
Das ist umso erstaunlicher, als der größte Teil des Lebens von Klaus Meschkat in das 20. Jahrhundert fiel, eine Ära, die mit Recht als das „Zeit­alter der Extreme“ gekennzeichnet worden ist, in dem das Risiko des Irrtums besonders groß war. Die Zeitumstände ließen ihn schon in sei­ner Kindheit und Jugend zu einem Grenzgänger zwischen den Systemen werden, der mit geradezu schlaf­wandlerischer Sicherheit die Chan­cen zu finden verstand, die man mit gutem Gewissen ergreifen konnte.
Klaus Meschkat wurde 1935 in Ber­lin-Horst-Wessel-Stadt geboren, wie der Stadtbezirk Friedrichshain in der NS-Zeit hieß. Der Vater hatte dort einen Lebensmittelladen. Als die Fa­milie ausgebombt wurde, zog sie zu den Großeltern nach Hohen Neuen­dorf vor den Toren Berlins. Dort er­lebte der neunjährige Klaus im Mai 1945 die sowjetische Besatzung vor allem als Befreiung von den schlagenden Nazi-Lehrern, an deren Stelle junge, rasch ausgebildete, kommunistische „Neulehrer“ traten, für ihn die besten Lehrer seines Le­bens.
Die „antifaschistisch-demokra­tische“ Frühphase der sowjetischen Besatzungszone bot ihm als Klassen­sprecher die Chance, an einer weit­gehenden Schülermitbestimmung mitzuwirken, wobei er seinen Wis­sensdurst auch aus Westzeitungen und den Hochglanzbroschüren des Westberliner Amerika-Hauses stillte. Seine Gesamtbeurteilung durch den Klassenlehrer begann mit dem Satz: „Klaus zeigt manchmal ein überstei­gertes Gerechtigkeitsgefühl.“
Nach dem Abschluss der achtjähri­gen Grundschule 1950 entschied sich Klaus Meschkat, zur Oberschule im Westberliner Ortsteil Hermsdorf zu wechseln. Erst dort begann er, in den Werken von Karl Marx und Franz Mehring zu lesen, um dem deutsch-nationalen Geschichtslehrer Paroli bieten zu können. Dank einer Erzie­hungsbeihilfe des Senats von Berlin konnte er in Hermsdorf ein Zimmer zum Übernachten mieten, behielt aber noch lange Jahre seinen Erst­wohnsitz in Hohen Neuendorf, also in der DDR.
Nach seinem mit der Note „sehr gut“ bestandenen Abitur wurde er für die Studienstiftung des deutschen Volkes vorgeschlagen und auch angenommen. Im Frühjahr 1954 immatrikulierte er sich an der Freien Universität Berlin für die Fä­cher Deutsch, Geschichte und Ang­listik, konzentrierte sich aber dann frühzeitig auf Soziologie und auf die Geschichte Osteuropas, wofür er in Kauf nahm, auch Altkirchenslawisch lernen zu müssen.
Fast gleichzeitig trat er in die dama­lige Studentenorganisation der SPD, den Sozialistischen Deutschen Stu­dentenbund (SDS) ein, ein Schritt, der sich in vielfacher Hinsicht für sein weiteres Leben als bestimmend erweisen sollte.
Erstens wurde er von dem schon äl­teren Soziologiestudenten und Mar­xisten Michael Mauke für die Mitar­beit in der Redaktion des „Stand­punkt“, der damaligen theoretischen Zeitschrift des SDS geworben. Wenn etwas in den späten fünfziger Jahren den Zorn der SPD-Führung auf die Unbotmäßigkeit der eigenen Studen­tenorganisation erregt hat, dann wa­ren das zu allererst bestimmte Artikel im „Standpunkt“, zu denen auch ein anonym publizierter Artikel von Klaus Meschkat über den einfältigen Antikommunismus des Ostbüros der SPD unter der Leitung von Stefan Thomas gehörte. Klaus Meschkat entwickelte hier in der Auseinander­setzung mit dem primitiven Ge­schichtsbild von Stefan Thomas eine differenziert-gründliche Kritik am sowjetischen Parteikommunismus, die für ihn immer maßgeblich geblie­ben ist.
Zweitens wurde er im SDS dazu aufgefordert, für den Konvent, das Studentenparlament an der FU zu kandidieren. Nach dem so genannten „Berliner Modell“ hatten die Studie­renden an der FU in dieser Zeit weitaus mehr mitzubestimmen als an anderen Universitäten. Als jemand, der die ihm übertragenen Aufgaben sehr ernst nimmt, erwarb er sich bald hohes Prestige und wurde schon 1958 zum Vorsitzenden des Allge­meinen Studentenausschusses ge­wählt. Kurz darauf ging der Aufstieg noch weiter: Klaus Meschkat wurde zum Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Studentenschaften (VDS) mit Sitz in Bonn und einem Stab von Referenten gewählt.
Schon vorher hatte er internationale Kontakte knüpfen können. So stu­dierte er ein Semester in Manchester, nahm am Austausch mit einer polni­schen Hochschule in Olsztyn (Allen­stein) teil und reiste als Mitglied der Deutsch-Israelischen Studiengruppe in einer der ersten bundesdeutschen Studentendelegationen nach Israel.
In Vertretung des VDS konnte und sollte er jetzt mehrere Auslandsrei­sen im Rahmen der, wie erst später bekannt wurde, CIA-finanzierten westlichen Studenteninternationale COSEC machen, die ihn unter ande­rem mit Vertretern der linksorientier­ten nationalen Studentenverbände von Frankreich, Jugoslawien und Al­gerien zusammenbrachten. Seine ers­te Lateinamerikareise führte ihn An­fang 1959 zu einer internationalen Studentenkonferenz in Lima, wo er auch den heute sehr prominenten Ökonomen Paul Singer als Vertreter Brasiliens kennen lernte.
Im Mittelpunkt seiner Tätigkeit als VDS-Vorsitzender stand aber das Bemühen um die Konsolidierung des Honnefer Modells der Studentenför­derung in Richtung auf allgemeine Jugendförderung.
Drittens war Klaus Meschkat maß­geblich an den Auseinandersetzun­gen beteiligt, die dazu führten, dass sich die SPD zu ihrem bleibenden Schaden vom SDS lossagte. Wegen des Prestiges als VDS-Vorsitzender hatte man ihn zwar 1958 aufgefor­dert, im Jugendpolitischen Aus­schuss beim Parteivorstand der SPD mitzuwirken. Als er sich dann aber weigerte, als Vertrauensmann der Parteiführung für den Vorsitz des SDS zu kandidieren, blieben die Einladungen zu dessen Sitzungen aus. In dem sich um 1960 zuspitzenden Konflikt mit der SPD, bei dem es unter anderem um die Haltung zur ungesühnten Nazijustiz, zum Algerienkrieg, zur Oder-Neiße-Grenze und zur Atombewaffnung ging, ließ er keinen Zweifel daran, dass er sich – wie die meisten SDS-Mitglieder – auch durch einen Unvereinbarkeitsbeschluss nicht von der als richtig erkannten politischen Linie würde abbringen lassen. Wo es um Krieg und Frieden oder um soziale Gerechtigkeit geht, hat er sich nicht selten als „notorisch unbelehrbar“ bezeichnet.
Nach der Rückkehr von Bonn nach Berlin widmete er sich jetzt wieder seinem Studium, vor allem am Ost­europa-Institut der FU. Nach Bi­bliotheksbesuchen in Paris und Lon­don promovierte er 1965 mit einer Dissertation zur Darstellung der Pari­ser Kommune in der sowjetischen Historiographie.
Nach der Promotion wurde er As­sistent bei Professor Lieber am Ost­europa-Institut und veranstaltete dort Seminare über Themen wie die per­manente Revolution, an denen auch Rudi Dutschke und andere promi­nente SDS-Genossen teilnahmen. Außerdem kam er erneut in Berüh­rung mit Lateinamerika, als die Ford-Stiftung beschloss, ein Programm zu finanzieren, mit dem junge latein­amerikanische Akademiker für den Kampf gegen den Marxismus gerüs­tet werden sollten. Zu diesen jungen Leuten gehörten unter anderen Gastón Salvatore und Estéban Tomic aus Chile, José María Pérez Gay aus Mexiko und Rubén Jaramillo aus Kolumbien. Mit Unterstützung von Klaus Meschkat entwickelten sie mehr – kritisches – Verständnis für den Marxismus, als den Initiatoren des Programms lieb gewesen sein kann.
Im April 1967 wurde der Republi­kanische Club gegründet und Klaus Meschkat zu seinem Vorsitzenden gewählt. Die Geschichte dieses Clubs wurde sehr bald turbulent, als während des Berlin-Besuchs des Schahs von Persien am 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg, ein demonstrieren­der Student, von einem Polizisten er­schossen wurde. Die Studentenbewe­gung, die sich jetzt von Berlin aus ausbreitete, hatte sicher in Rudi Dutschke ihren prominentesten Spre­cher und im SDS eine Art Vorhut. Aber der Republikanische Club, der sich von Anfang an bemühte, die Sa­che der rebellierenden Studenten der Öffentlichkeit nahe zu bringen, wur­de schnell zum Sprachrohr einer breiteren „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO). Und Klaus Meschkat wurde deren Sprecher. Da traf es sich gut, dass er mit Rudi Dutschke inzwischen sehr gut be­freundet war.
Als im April 1968 auf Rudi Dutsch­ke ein Attentat verübt wurde und Klaus Meschkat seinen Rechen­schaftsbericht als Vorsitzender des Republikanischen Clubs abgeliefert hatte, spürte er, dass das Funktio­närsdasein und die Festlegung auf die Rolle eines ständigen APO-Spre­chers seine Sache nicht waren, und er bewarb sich auf Empfehlung des US-amerikanischen Soziologen Norman Birnbaum auf eine Gastprofessur an der New York University und wurde angenommen. Dort engagierte er sich im Radical Caucus der Dozenten sowie bei den Students for a Democratic Society (auch SDS) und fuhr 1969 auch zu einer nationalen Konferenz des SDS nach Chicago.
Mit der Einladung auf eine Profes­sur für Soziologie an der Universi­dad de Antioquia in Medellín in Ko­lumbien 1969/70 fand er schließlich zu dem Gegenstand, der ihn für den Rest seines Berufslebens ausfüllen sollte: der Soziologie Lateinameri­kas. Mit der Hilfe eines Habilitati­onsstipendiums der Deutschen For­schungsgemeinschaft, für das ihn Professor Lieber nach seinem end­gültigen Ausscheiden aus dem Ost­europa-Institut empfohlen hatte, wur­de es ihm möglich, gute zwei Jahre in Kolumbien und Chile in aller Frei­heit zu forschen. Vor allem aber ge­lang es ihm in dieser Zeit, in diesen beiden Ländern, aber auch auf Rei­sen nach Bolivien, Argentinien, Uru­guay, Brasilien, Peru, Venezuela, Mexiko den Grundstein für den Auf­bau seines Netzwerks von befreunde­ten Fachkolleginnen und –kollegen zu schaffen, um das ihn viele benei­den.
1973 schließlich nahm er eine Pro­fessur für Soziologie an der Univer­sidad de Concepción in Chile an, wo zu der Zeit die linke Unidad Popular unter Präsident Salvador Allende an der Regierung war. Nach dem Mili­tärputsch vom 11. September 1973 wurde die Soziologie in Chile verbo­ten. Klaus Meschkat landete mit an­deren Kollegen als Gefangener auf der Insel Quiriquina. Wie sehr er sich in der kurzen Zeit in die Analyse der chilenischen Gesellschaft eingearbei­tet hatte, zeigt seine Analyse der neu­en Organisationsformen der chileni­schen Arbeiterklasse während der Unidad Popular. Nach der er­zwunge­nen Rückkehr nach Deutsch­land konnte er 1974 mit einem Vortrag zu diesem Thema die Auswahlkommis­sion für eine Soziologie-Professur in Hannover überzeugen.
Seither hat sich Klaus Meschkat von Hannover aus mit Disziplin und Energie in Forschung und Lehre für die Soziologie Lateinamerikas enga­giert. Von seinen ehemaligen Studie­renden wird stets die Ernsthaftigkeit und Originalität hervorgehoben, mit derer seine Übungen und Seminare zu leiten pflegte. In der Forschung erstaunen die – geographische und inhaltliche – Breite und Vielfalt sei­ner Interessen und häufig auch die Aktualität seiner Themen.
Neben individuell betriebenen For­schungsprojekten, etwa zur landwirt­schaftlichen Entwicklungspolitik in Kolumbien oder zu Umweltzerstö­rung und Widerstand im selben Land oder zur politischen Entwicklung in Bolivien hat er auch größere, meist von der Volkswagenstiftung geför­derte Forschungsprojekte geleitet, an denen auch lateinamerikanische For­scherinnen und Forscher teilgenom­men haben, so etwa von 1984 bis 1986 ein Projekt zum Autonomiepro­jekt an der Atlantikküste Nicaraguas, von 1989 bis 1992 ein Projekt über Krise, Wandel der Sozialstruktur und politischen Umbruch in Chile und Mexiko und von 1996 bis 1999 ein Projekt zur Gemeindeselbstverwal­tung und lokalen Demokratie in Kuba. Auf Grund teilweise divergie­render wissenschaftlicher und politi­scher Interessen war die Leitung die­ser Projekte eine nicht immer leichte Aufgabe, die aber von Klaus Mesch­kat mit Takt und Fairness gelöst wur­de.
Das Bild wäre nicht vollständig, wenn nicht auch seine editorischen Leistungen erwähnt würden. Über fast 25 Jahre hat er im Kreis der Her­ausgeberinnen und Herausgeber des Lateinamerika-Jahrbuchs „Analysen und Berichte“ mitgewirkt. Als Ältes­ter in diesem Kreise hat er vor allem durch Besonnenheit und hohe An­sprüche zur Qualitätssicherung der Jahrbuchreihe beigetragen. Die Prä­zision, die er von den Beiträgen zum Jahrbuch verlangte, wurde beispiels­weise deutlich an einem Beitrag, in dem er in sehr differenzierender Weise vorschlug, wie wir es denn mit dem venezolanischen Präsiden­ten Hugo Chávez halten sollten.
Während seiner häufigen und aus­gedehnten Reisen nach und in La­teinamerika verstand es Klaus Meschkat, das Netzwerk seiner gleichgesinnten Freundinnen und Freunde immer weiter auszudehnen. Im Spanischen nennt er diese übri­gens nur selten „amigos“, weil ihm das zu sehr nach Kumpanei klingt, sondern eher „compañeros“, wäh­rend im Deutschen die Freunde als „Genossen“ zu bezeichnen, ihm wohl nicht passend erscheint, weil es zu sehr nach Parteidisziplin riecht.
Seit den neunziger Jahren und be­sonders seit seiner Pensionierung um die Jahrtausendwende hat sich Klaus Meschkat auch wieder mehr mit Themen befasst, die ihn vor und bis 1968 beschäftigt hatten. Ein An­knüpfungspunkt ergab sich daraus, dass er in Kolumbien die Geschichte des Marxismus und der linken Par­teien besonders gründlich studiert hatte. Dabei war die Rolle der Kom­munistischen Internationale bei der Disziplinierung vieler linker Parteien in Lateinamerika deutlich geworden.
Diese Beschäftigung mit der Ge­schichte der Komintern war dann auch Anlass zu einem größeren rus­sisch-deutschen Forschungsprojekt zur Erarbeitung eines biographischen Handbuchs der Komintern, das er von 1999 bis 2007 – gefördert von der Volkswagenstiftung – zusammen mit Michael Buckmiller leitete und das mit der Veröffentlichung des Handbuchs abgeschlossen werden konnte. Ein weiteres großes Werk entstand in diesem Zusammenhang mit der Dokumentation der Ge­schichte der kolumbianischen Linken in den Archiven der Sowjetunion, 2009 herausgegeben zusammen mit José María Rojas.
Diese Stellungnahmen von Klaus Meschkat erweisen sich als fest ge­gründet in einem Internationalismus, der sich jeder bedingungslosen Iden­tifizierung mit den Forderungen einer Zentrale entzieht und die Sache der Entrechteten und Geschlagenen zur Richtschnur macht.
Als ich einmal jemandem erzählte, dass meinen Freund Klaus ein heili­ger Zorn ergreifen könne, da wurde ich dafür gelobt, dass ich auch kritisch über ihn sprechen könne. Ich war gründlich missverstanden wor­den. Ich hatte das als höchstes Lob gemeint, denn nur wer diesen heili­gen Zorn haben kann, ist auch zu wirklicher Freundschaft fähig.
Vielleicht ist solch ein Zorn eine Ei­genschaft, die Männer erst mit dem Alter so richtig fruchtbar werden las­sen. Dann, lieber Klaus, wäre das wieder ein Beweis dafür, dass Dir noch eine große Zukunft bevorsteht.
Die Freundinnen und „compañe­ras“, die Freunde und „compañeros“ wünschen Klaus Meschkat noch viele Jahre produktiven Schaffens.

Fotos: Ferdinand Muggenthaler