Der chilenische Erfolgsautor Luis Sepúlveda war ein herausragender Vertreter der lateinamerikanischen 68er: undogmatisch links, ökologisch und kosmopolitisch
Von Gerhard Dilger
Foto: Casa América, CC BY-NC-ND 2.0
„Der Schriftsteller ist das Sprachrohr jener, die keine Stimme haben“, so hat Luis Sepúlveda einmal sein literarisches Credo zusammengefasst. Der vielseitige chilenische Journalist, Filmemacher und Bestsellerautor starb am vergangenen Donnerstag mit 70 Jahren. Vor allem in Europa und Amerika sorgte das für Trauer und Bestürzung – die sozialen Netzwerke zeugen davon. Ende Februar war er der erste gemeldete Covid-19-Kranke in Asturien gewesen, wo er seit 1997 wohnte. Seine Lebensgefährtin Carmen Yáñez, ebenfalls infiziert, wurde geheilt.
Luis Sepúlveda war ein chilenischer 68er: Er wurde aus der kommunistischen Jugend ausgeschlossen, sympathisierte mit der bolivianischen ELN-Guerilla, gehörte zu den jungen Leibwächtern des linken Präsidenten Salvador Allende und wurde nach dem Pinochet-Putsch 1973 zweimal verurteilt und inhaftiert, erlebte Hausarrest und Untergrund.
Nach dem Einsatz deutscher Amnesty-Aktivist:innen konnte er 1977 ausreisen und beteiligte sich nach einem längeren Aufenthalt in Ecuador am siegreichen sandinistischen Aufstand in Nicaragua. In den 1980er Jahren lebte er im Hamburger Exil, arbeitete als Korrespondent und Fernfahrer, engagierte sich auf Greenpeace-Schiffen und stellte schließlich seinen späteren Welterfolg fertig: „Der Alte, der Liebesromane las“.
Der kurze Roman, der dem brasilianischen Regenwaldaktivisten Chico Mendes gewidmet ist, spielt vor der beginnenden Kolonisierung des Amazonasgebiets in Ecuador durch US-amerikanische Erdölfirmen. Skrupellose Goldgräber und Holzfäller, ahnungslose Siedler und vor allem korrupte Provinzpolitiker ebnen dem Big Business den Weg. Der aus dem Andenhochland zugezogene Protagonist Bolívar Proaño hat von den Shuar-Indígenas den Respekt für den Regenwald gelernt, muss aber machtlos bei dessen unaufhaltsamer Zerstörung zusehen. Narrative Achse des Romans ist sein Duell mit einem Leopardenweibchen.
„Literatur muss das Wesentliche erzählen, ohne Verzierungen “, betonte Sepúlveda immer wieder, beim Überarbeiten seiner Manuskripte sei er „ein guter Holzfäller“. Und sich selbst sah er vor allem als Geschichtenerzähler.
So weist der „Der Alte“ bereits viele jener Elemente auf, die auch Sepúlvedas spätere Politthriller („Die Spur führt nach Feuerland“ oder „Der Schatten dessen, was wir waren“), Erzählungen („Wie man das Meer sehen kann“), Reisereportagen („Patagonia Express“), eine schnörkellose, sorgfältig kondensierte Prosa, autobiographische Elemente mit überwiegend männlichen Protagonisten, satirische Einsprengsel, ein ausgeprägtes ökologisches Bewusstsein, und immer wieder das Schildern solidarischer Verhaltensweisen.
Die Fronten zwischen Gut und Böse verlaufen ziemlich klar: „Meine großen Figuren sind Verlierer, aber illustre, denn sie wissen, dass sie verloren haben“. In seinen Krimis mit dem Alter Ego Juan Belmonte bleibt Sepúlveda der Chronist untergegangener Welten und verlorener Illusionen. Seine ebenfalls sehr erfolgreichen Kinder- und Jugendbücher („Wie der Kater und die Maus trotzdem Freunde wurden“), mit Blick auf seine Enkel verfasst, stehen hingegen unter dem von der Allende-Zeit inspirierten Motto: „Wenn die Freunde zusammenstehen, sind sie unbesiegbar“. Thesenliteratur sind aber auch sie nicht.
Parallel dazu wirkte Sepúlvelda bis zuletzt auch journalistisch, vor allem über seine zahlreichen Kolumnen in diversen Ausgaben von Le Monde diplomatique, in denen er überwiegend die chilenische Politik analysierte. Auch hier blieb er seinen Wurzeln treu: Sein Großvater war spanischer Anarchist, sein Vater KP-Mitglied, seine Mutter Mapuche.
Seine tiefe Enttäuschung über die lange neoliberale Vorherrschaft in Chile, die sein Land in den letzten Jahrzehnten völlig umgekrempelt hatte, wich zuletzt der Unterstützung der breiten Rebellion gegen die Oligarchie.
„Sie wollen eine neue Verfassung, die die ganze Nation in ihrer Vielfalt repräsentiert, sie wollen so grundlegende Dinge wie Wasser oder das Meer, das auch privatisiert ist“, schrieb Luis Sepúlveda in seiner letzten Kolumne im Dezember. „Es gibt keine Repression, so hart und kriminell sie auch sein mag, die in der Lage ist, ein Volk in Bewegung aufzuhalten“.