„Wenn unser Leben nichts wert ist, dann produziert doch ohne uns”

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Feministische Überlegungen zu ökonomischer Gewalt

Wie können wir den Zusammenhang zwischen Ökonomie und Gewalt denken und verstehen? Aus einer Perspektive von feministischen Strömungen des Globalen Südens ist Gewalt keine isolierte Tatsache, sondern ein globales Phänomen, das in einer Allianz zwischen Kapitalismus, Patriarchat und Kolonialismus verankert ist.

Eine Analyse, die im Kontext einer sozialen und gesundheitlichen Krise noch an Bedeutung gewinnt, in der die Konzentration des Reichtums, die Prekarität des Lebens sowie die digitale und militärische Kontrolle der Bevölkerung zugenommen hat. Im Zusammenhang mit der Pandemie und den darauf gerichteten Maßnahmen verschlimmerte sich die Gewalt in allen Bereichen – in Institutionen, im Arbeitsleben, der Politik, den Medien und im Netz – und in ihren verschiedenen Ausdrucksformen – physisch, ökonomisch, symbolisch, sexuell, psychologisch, patrimonial. Darunter haben vor allem Frauen, Kinder und LGTBIQ+ Menschen zu leiden.

In diesem Szenario lohnen sich theoretische und politische Beiträge wie dieser, um über eine Aufwertung von gemeinschaftlichen Bewältigungsstrategien der Krise zu sprechen und dem Potenzial von antikapitalistischen Feminismen, andere mögliche Welten aufzubauen.

 

Gewalt auseinandernehmen, um die Welt zu verändern

EIN VORWORT

Warum ist es immernoch notwendig, die Funktionsweise patriarchaler Gewalt zu analysieren? Die feministische Bewegung hat es mit ihrer wachsenden Stärke und inneren Kraft geschafft, den Alltag zu politisieren und aufzuzeigen, dass die Gewalt gegen LGBTQI+ (Lesben, Schwule, bi, trans, queere und intersex Menschen) nicht individuell ist, sondern auf den Ungleichheiten eines überlieferten Systems beruht. Darüber hinaus wird patriarchale Gewalt im Spanischen heute im Plural geschrieben, weil sie mehrere Formen hat: physische, psychologische, sexualisierte, ökonomische, am Arbeitsplatz, im eigenen Zuhause, auf der Straße. All diese Formen sind miteinander verwoben und schlagen sich in unseren Körpern, unserem Verstand und unseren Emotionen nieder.

Der globale feministische Offensive – mit ihrer besonderen Stärke in Lateinamerika – hat außerdem eine zentrale Idee vorangebracht: die patriarchale Gewalt hat einen materiellen Ursprung, der in der kapitalistischen Wirtschaftsweise liegt. Der Satz «Wenn unser Leben nichts wert ist, dann produziert doch ohne uns!» verweist auf die zentrale Rolle der Ausbeutung von Körpern und Zeit von FLINT als die unsichtbare Stütze der kapitalistischen Produktion. Und er verweist auf die Kehrseite, nämlich die Abwertung des Lebens derjenigen, die in der Dynamik des Kapitals als Körper erscheinen, die entsorgt werden können. Dies ist die Logik des Menschenhandels, der Femizide, der Überausbeutung der Arbeit, der Feminisierung der Armut und der sozialen Ausgrenzung.

Gleichzeitig haben feministische Bewegungen deutlich herausstellen können, dass das Leben und die Gemeinschaften durch jene nicht anerkannte, unsichtbare oder unterbewertete Arbeit von Frauen aufrechterhalten wird, die sie trotz aller Krisen und jenseits von Markt und Staat weiterhin leisten. Es ist eben diese Art der Arbeit, des Bewahrens und der Organisierung, die dazu geführt hat, dass FLINT an vorderster Front stehen, wenn es darum geht, ihre Gemeinden gegen extraktivistische Projekte und umweltverschmutzende Unternehmen zu verteidigen. Projekte, die die Reproduktion des Lebens an einem bestimmten Ort in Gefahr bringen. In diesen Fällen sehen wir, wie die hinter diesen Initiativen versammelten Mächte jene verfolgen, kriminalisieren und ermorden, die die Gemeinschaften ebenso wie die Natur verteidigen und sich dem kapitalistischen Vormarsch in diesen Gebieten widersetzen.

All diese Erkenntnisse verdichten sich in den internationalen feministischen Streiks am 8. März, die sich zunehmend in der Welt verbreitet haben und von massiven Mobilisierungen begleitet wurden. „Wir bewegen die Welt, jetzt stoppen wir sie“ als Slogan für einen Streik aller frauendominierten und feminisierten Berufe weist auf die ökonomische Bedeutung von Sorgearbeit hin und wird gleichzeitig zu einem Protest gegen die vielfältigen Formen von Gewalt, die wir erleiden.

Vor diesem Hintergrund laden wir zur Lektüre eines komplexen Textes ein, der einen Grundlagentext für das Verständnis der systemischen Wurzeln von Gewalt darstellt. Seine Autorinnen schreiben im Dialog mit und verankert in klassenpolitischen und feministischen Kämpfen in Argentinien, Ecuador und Peru. Durch die Verflechtung verschiedener Disziplinen, von Makroanalysen mit situierten Erfahrungen, von quantitativen und qualitativen Elementen geht der vorliegende Text entscheidenden Fragen nach:

Wie sind Gewalt und das Wirtschaftssystem miteinander verwoben? Welche Formen nimmt diese patriarchale Gewalt an? Wie wirkt sich die Pandemie auf die verschiedenen Aspekte von Gewalt aus? Welche Instrumente haben wir, um uns dem patriarchalen Kapitalismus zu widersetzen?

In der aktuellen Situation einer gesundheitlichen und sozialen Krise ist das Nachdenken über ökonomische Gewalt noch notwendiger als zuvor. Die Pandemie macht die bereits bestehenden Ungleichheiten sichtbarer, vertieft sie und erschwert das Überleben der Mehrheit der Menschen überall auf der Welt. In diesem Szenario ist es – jenseits der uneinheitlichen und unzureichenden öffentlichen Maßnahmen, die von den Regierungen ausprobiert werden – wieder einmal die unsichtbare oder wenig anerkannte Arbeit von FLINT, die die marginalisierten Sektoren unterstützt. Die Quarantäneauflagen haben Femizide und häusliche Gewalt vervielfacht und wieder waren es die feministischen Organisationen, die eine zentrale Rolle dabei spielten, die Betroffenen zu unterstützen und eine Reaktion des Staates einzufordern. Trotz der Isolation und mit großer Anstrengung wurden die Auseinandersetzungen in der ganzen Welt, die internationale Solidarität, die Forderungen und die Debatten fortgeschrieben. Mit anderen Worten, der Kampf hat nicht aufgehört. Vielmehr ist das Szenario komplexer geworden, was uns dazu veranlasst, auch unsere Anstrengungen um eine sehr genaue Analyse dessen, was wir zu bekämpfen haben, noch zu vervielfachen.

Der vorliegende Text ist Teil der Bemühungen, die feministischen Erkenntnisse aus unseren kollektiven Kämpfen und Reflexionen zu systematisieren. Wir möchten zu einer sorgfältigen Lektüre ermutigen, die feministische Praxen anreichern kann, bei der Veränderungen hin zu einer Gesellschaft, in der wir alle frei sind.

Juliana Díaz Lozano
Projektmanagerin im Programm Globaler Feminismus
Rosa-Luxemburg-Stiftung
April 2021

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