Anmerkungen zur Außenpolitik der brasilianischen Regierung
Von Achim Wahl, amerika21
In einer Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung vom Januar 2011 wurde mit Blick auf die damalige Situation in Brasilien festgestellt, dass «die Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva nach einer Neupositionierung Brasiliens in der Weltpolitik strebte, verbunden mit der Transformation des Landes in einen ‘Global Player’, der, seiner Größe und Bedeutung entsprechend, definitiv seine strategische Position in Lateinamerika wahrnimmt und seine Stimme weltweit deutlich wahrnehmbar macht.» Und weiter: «Mit aktiverem Auftreten und offensiverer Außenpolitik hat Brasilien eine Veränderung seiner Politik vorgenommen. Beeinflussend auf die Veränderungen wirken äußere Faktoren wie die Krise der neoliberalen Ideologie und des konservativen Entwicklungsmodells in Lateinamerika, die Krise der US-amerikanischen Hegemonie und die Veränderungen der internationalen Beziehungen.» (1)
Die Diplomatie Lulas und seines Außenministers Celso Amorim rückte – unter Mithilfe des Ministers für Strategische Angelegenheiten, Samuel Pinheiro Guimarães, und des außenpolitischen Beraters Marco Aurélio Garcia – Brasilien unwiderruflich ins Zentrum der Weltpolitik. Das Land wurde nicht ohne Rückschläge führend bei der Integration Lateinamerikas, suchte Partnerschaften in Afrika, erweiterte seine Beziehungen mit anderen Schwellenländern, u. a. mit den BRICS (2), war Initiator multilateraler Initiativen im Rahmen der G20, unterstützte brasilianische Unternehmen auf internationaler Ebene und erweiterte seine Außenhandelsbeziehungen. Aus einer Position der «passiven Unterordnung Brasiliens unter die USA wurde eine Beziehung der konfliktiven Unterordnung «.
Im RLS-Artikel wird auf die Hintergründe dieser Entwicklung verwiesen und ausgeführt, dass diese Politik den Aufstieg der Fraktion der internen Bourgeoisie(3) absicherte, die wesentlicher Profiteur dieser Entwicklung war und sich bedeutende wirtschaftliche Gewinne sicherte. Diese Veränderungen hatten direkte Auswirkungen auf die Stärkung linksgerichteter Regierungen. Die mit dem internationalen Kapital verbundene Fraktion der brasilianischen Bourgeoisie war nicht mehr hegemonial, ihre Positionen waren vor allem durch die sozialen Auswirkungen der neoliberalen Politik zu diesem Zeitpunkt geschwächt. Starke politische Kräfte, unter anderem soziale Bewegungen, hatten diese Veränderungen bewirkt.
Die von Präsident Lula initiierte Außenpolitik hatte ihre soziale Basis in einer Allianz von Teilen der brasilianischen Arbeiterklasse, besonders den Gewerkschaften, Teilen der Mittelschichten und der internen Bourgeoisie. Die Veränderung der Rolle des Staates und seiner direkten Teilnahme am Wirtschaftsleben waren im Interesse dieser Fraktion der Bourgeoisie.
Der Beginn des 21. Jahrhunderts war in Lateinamerika gekennzeichnet von politischen und ökonomischen Transformationsprozessen. Es entwickelten sich unterschiedliche alternative Modelle zum bisher vorherrschenden neoliberalen Paradigma. Das Bild Lateinamerikas wurde von diesen politischen Ansätzen geprägt ‒ regional und international entstand ein neues Kräfteverhältnis ‒ gleichzeitig jedoch von Spannungen zwischen einzelnen Staatengruppen unterschiedlicher politischer und ökonomischer Orientierungen und den Beziehungen zu den USA.
Noam Chomsky, Luiz Alberto Moniz Bandeira (4) und andere wiesen darauf hin, dass die USA keine Macht im Süden des Kontinents, die über ein eigenes autonomes Projekt, zumal verbunden mit den Brics, zulassen würden. Die Ereignisse des Jahres 2016 mit dem Impeachment gegen Präsidentin Dilma Rousseff zeigten, dass mit verschiedensten Mitteln (u. a. mit der Politisierung der Justiz) und Instrumenten (u. a. Unterstützung rechter Kräfte durch die Koch-Gruppe, USA) die von Lula realisierte unabhängigere Politik beendet wurde. Mit der Regierung von De-facto-Präsident Michel Temer wird eine Phase der Unterordnung Brasiliens unter neoliberale Politik eingeleitet.
Brasilien, das in seiner Finanzpolitik mit neoliberalen Praktiken (u. a. hohe Wechselkurse) agierte, brach im Wesentlichen mit neoliberaler Politik durch Stärkung der Rolle des Staates und die Realisierung umfassender Sozialprogramme. Strategische Herausforderungen standen bevor, sie markierten eine Phase neuer Entwicklungen. Brasilien begann, in der Region eine Schlüsselrolle zu spielen.
Der uruguayische Journalist Raúl Zibechi schreibt 2009: «Lula, der Brasilien auf dem Wege zu einer Großmacht im 21. Jahrhundert sieht, strebt danach, dieser Macht die Fähigkeit zu schaffen, sich militärisch zu verteidigen»(5). Zibechi meint, dass Brasilien auf dem Wege war, seine periphere Position zu überwinden und zu einer Weltmacht heranzuwachsen. In seinem Buch heißt es, dass Brasilien sich als Subimperialismus in Lateinamerika entwickelt.(6)
Interessant ist die Antwort von Tatiana Berringer: «Die brasilianische Bourgeoisie in ihrer Gesamtheit hat weder die politische noch die wirtschaftliche Macht, autonom zu werden. Weder der desarrollismo der dreißiger Jahre noch der neo-desarrollismo haben die Fähigkeit, die Abhängigkeit zu überwinden. Die Überwindung der Abhängigkeit erfordert strukturelle Reformen.» (7)
Bei näherer Betrachtung dieser Aussage ist es möglich, in bestimmter Weise eine Erklärung für die Veränderungen, die seit 2013 in Brasilien vor sich gehen, zu finden: Strukturelle Veränderungen wie die Durchführung einer politischen Reform, einer demokratischen Agrarreform, Demokratisierung der Massenmedien und Einschränkung der Macht der eng mit dem Auslandskapital verbundenen Bourgeoisie blieben aus. Das erleichterte es konservativen Kräften, das Impeachment-Verfahren gegen Präsidentin Rousseff durchzusetzen.
Beginnend mit dem Jahr 2013 und der sich vertiefenden Wirtschaftskrise änderte sich die Haltung der internen Bourgeoisie. Sie war bereit, eine Politik der nationalen Unabhängigkeit aufzugeben und zu einer Position der passiven Unterordnung, wie sie die mit dem internationalen Kapital verbundenen Sektoren immer praktizierten, zurückzukehren. Zudem bewirkte die Offensive rückwärts gerichteter Kräfte, dass diese Fraktion mit Unterstützung externer Kräfte (auch unter dem Druck der Operation Lava Jato (8) ihre bisherige Position änderte und sowohl nach innen wie nach außen einer anderen Politik zustimmte .
In dem hier zitierten Artikel werden vier Faktoren hervorgehoben, die diese veränderte Position beeinflussten:
- Ab 2012 ging das Bruttoinlandsprodukt in Folge der Krise der Weltwirtschaft zurück (z. B. -3,8 Prozent 2015 und -3,6 Prozent 2016) bedingt sowohl durch den Rückgang der chinesischen Importe als auch durch die Krise der argentinischen Wirtschaft, was die Gewinne der Unternehmen schmälerte.
- Der Widerstand der Industrievereinigungen FIESP (Industrieföderation des Staates São Paulo) und CNI (Nationale Konföderation der Industrie) gegen die Suspendierung Paraguays nach dem Putsch gegen Fernando Lugo und die Aufnahme Venezuelas in das Wirtschaftsbündnis Gemeinsamer Markt des Südens (Mercosur), zeigt, dass sie keine zugespitzte Konfrontation mit den USA wollten.
- Die Fortschritte bei den Verhandlungen zum Abschluss der Verträge über die Transatlantische Partnerschaft (TTIP), den Vertrag über die Transpazifische Partnerschaft (TPP) und den Vertrag über Handel und Serviceleistungen (Tisa).
- Die neue Runde der Verhandlungen über einen Freihandelsvertrag des Mercosur mit der Europäischen Union (EU), der seitens der Regierung Lula nicht aktiv verfolgt wurde. In beiden Fällen befürchteten diese Wirtschaftskreise eine Isolierung Brasiliens.
Entscheidende Momente für die brüske Änderung der Position dieser Fraktion der Bourgeoisie sind ihre Einbindung in die kapitalistische Ordnung und ihr Streben nach Sicherung ihrer Gewinne. Das Ziel der brasilianischen Unternehmerklasse bestand nunmehr darin, den sozialen Pakt, der dem Kapital Gewinne und gleichzeitig die soziale Inklusion breiter Bevölkerungsschichten brachte, zu beenden. Die Vorgänge in Brasilien, aber auch in Argentinien oder Mexiko sind folglich nur zu verstehen, wenn «die globalen Probleme der Weltwirtschaft, die umfassende Krise des Kapitalismus und die innenpolitische Situation Brasiliens» als Ausgangspunkt genommen werden und diese Bestrebungen in Betracht gezogen werden, «die alte politische Ordnung wiederherzustellen.» Lateinamerika und besonders Brasilien stehen gegenwärtig im Zentrum der neokonservativen Offensive, die nun getragen wird von der Politik der Regierung von US-Präsident Donald Trump, von den Allianzen rechter Kräfte und den bestimmenden wirtschaftlichen Kräften dieser Länder.
Eine aufgeladene, komplizierte innenpolitische Situation
In einer innenpolitisch aufgeladenen Situation, in der die Machtkämpfe in Brasília um die Nachfolge Temers entbrannt sind und eine zutiefst verworrene Lage entstanden ist, scheinen außenpolitische und außenwirtschaftliche Probleme an den Rand der Auseinandersetzungen geraten zu sein. Es gelingt aber dem De-facto-Präsidenten Temer, sich weiter in seiner Position zu halten, solange er die Interessen der dominierenden Sektoren vertritt. Mit dem wachsenden Druck von unten, besonders durch die Mobilisierungen der Frente Brasil Popular, zeichnet sich eine verschärfte Auseinandersetzung zwischen linken, popularen und rechten Kräften ab.
Und Temer versucht, sich zu retten. Seine Entscheidungen, an allen internationalen Treffen (G20, Brics-Gipfel) teilzunehmen, kennzeichnet sein Bestreben, international anerkannt zu werden. Er entfaltete hektische Aktivitäten. Für diese Situation ist charakteristisch, dass kurz nach Bekanntwerden der Verurteilung Lulas die Bundespolizei das Ende der Operation Lava Jato erklärte. Damit hat sie ihren «Auftrag», eine mögliche Kandidatur Lulas zu erschweren oder gar zu verhindern, erfüllt.
Um aber die Hintergründe der von Temer betriebenen Politik aufzudecken, ist es erforderlich, die Position des gegenwärtigen Finanzministers Henrique Meirelles genauer zu analysieren. Mereilles durchlief eine steile Karriere in den USA, arbeitete in der Bank of Boston, wurde Präsident dieser Bank und gehörte zum Stab des damaligen Präsidenten Bill Clinton. Im Jahr 2000 kehrte er nach Brasilien zurück. 2002 wurde er im Bundesstaat Goiás zum Bundesabgeordneten gewählt. Mit Bildung der ersten Regierung der Arbeiterpartei (PT) 2003 nominierte Lula ihn zum Präsidenten der Zentralbank. Diese Funktion übte er bis zum zweiten Regierungsmandat Rousseffs 2012 aus. Nun ist Meirelles zurück und selbst nicht abgeneigt, sich als Präsidentschaftskandidat für 2018 nominieren zu lassen. Gegen ihn liegen im Rahmen der Korruptionsskandale keine Anzeigen vor.
Wenn sich auch die Auseinandersetzungen auf politischer Ebene verschärfen, so sind durch Personen wie Meirelles die Verbindungen zu den Finanzmärkten der USA stabil, womit wesentliche außenpolitische Entwicklungen und Tendenzen vorgezeichnet sind. Er realisiert in Brasilien als Finanzminister der Regierung Temer ein neoliberales Marktprogramm, das von Bankern, Rentiers, Großunternehmern, Großgrundbesitzern, Medienkonzernen und Superreichen gewünscht wird.
Seine Reformen sind Gegenreformen. Das Reformprogramm Mereilles’ und seiner Helfer, besonders im brasilianischen Abgeordnetenhaus und Senat, ist die Realisierung des Washington-Konsens in Brasilien. Das Finanzministerium mit ihm an der Spitze ist innenpolitisch der Initiator der Wirtschaftspolitik Temers und außenpolitisch der direkte Draht zur Wall Street und zum internationalen Kapitalmarkt. Dabei ist zu beachten, dass die Schwäche der Position des De-facto-Präsidenten keineswegs auch die Schwäche der Rechtskräfte ist. Denn diese sind, wie auch Meirelles persönlich äußerte, durchaus bereit, diese Regierung aufzugeben, wie er vor einem Kreis brasilianischer und ausländischer Unternehmer erklärte: «Der Fortgang der Reformen beschäftigt die Investoren mehr als das Schicksal Temers.»
Mit der offen neoliberalen Politik, die er als Finanzminister durchsetzt, ist die Absicht verbunden, die Form der Kontrolle des Staates durch das Kapital zu verändern. Sie muss den neuen Anforderungen der Kapitalakkumulation in Brasilien angepasst werden. «Die Transformation der brasilianischen Ökonomie in eine moderne Mega-Faktorei erfordert eine offen despotische Form der Dominanz durch das Kapital», sagt der renommierte brasilianische Ökonom Luiz Gonzaga Belluzzo. Eine Attacke gegen alle demokratischen Institutionen ist im Gang. Alle innen- und außenpolitischen Maßnahmen sind auf dieses Ziel ausgerichtet. Die reaktionäre Lösung der politischen Krise in Brasilien erfordert die direkte Kontrolle des Staates durch das internationale Kapital. Interne Entwicklungsfragen stehen im direkten Zusammenhang mit internationalen Vorgängen.
Samuel Pinheiro Guimarães, ehemaliger Minister für Strategische Angelegenheiten der Regierung Lula, benennt in aller Schärfe die Konsequenzen dieser Politik: Eine Finanzpolitik gegen die Interessen Brasiliens, die die industrielle Entwicklung behindert, den Export erschwert, den nationalen Markt mit Billigprodukten anderer Länder überschwemmt, die Privatisierung und Denationalisierung der brasilianischen Industrie befördert und als Königsweg zur Gesundung Brasiliens angepriesen wird.
Zwischen Temer und Meirelles tauchte nun der Ausblick auf die Wahlen 2018 auf. Gefolgsleute von Meirelles haben die Idee, ihn für 2018 als Nachfolger Temers auszurufen, was ihn als «natürlichen und einvernehmlichen Kandidaten konservativer Kräfte» in eine unangenehme Position brachte.
Kurswechsel der De-facto-Regierung Temer ‒ die «neue» brasilianische Außenpolitik
Mit der Übernahme der Präsidentschaft und der Ernennung José Serras (9) zum Außenminister im Herbst 2016 wurde der von Temer und den US-freundlichen Diplomaten des brasilianischen Außenamtes, die die Zeit der national orientierten Außenminister überlebt hatten, ersehnte politische Kurswechsel eingeleitet. Mit Serra als Minister wurde deutlich, dass die Regierung die bisherige Außenpolitik Lulas und Rousseffs als beendet betrachtet.
Kern dieser Politik ist die Rückkehr zum Bilateralismus der 1990er-Jahre, das heißt der engen Beziehungen USA‒Brasilien. Die Normalisierung sowohl der politischen als auch der wirtschaftlichen Beziehungen hat ab sofort Priorität. Gleichzeitig bedeutete das eine Abwendung von den Süd-Süd-Beziehungen, also die Relativierung der Beziehungen zu den Brics, zur Welthandelsorganisation (WTO) und zu afrikanischen Ländern. Verändern soll sich auch die Position Brasiliens zum Mercosur. Angestrebt werden seine Begrenzung auf Handelsliberalisierung und vor allem der Ausschluss Venezuelas. Der Schwerpunkt wird auf den Abschluss bilateraler Verträge gelegt, die auch von den USA als Liberalisierung des Außenhandels favorisiert werden. Auf die Tagesordnung wird der schnelle Abschluss von bilateralen Freihandelsverträgen mit den USA und der EU gesetzt.
Die in den Jahren der Präsidentschaft Lulas geschaffenen Fundamente einer eigenständigen und souveränen Außenpolitik werden aufgeweicht und zum Teil gänzlich beseitigt. Besonders Serra propagierte die Abwendung von der Außenpolitik der PT-Regierungen, die den Forderungen sozialer Bewegungen nachgekommen waren, diese transparenter zu gestalten und partizipative Elemente einführten.
Serra galt als absoluter Vertreter und Ideologe des US-freundlichen Teils dieser Regierung. In der Zeitung Estado de São Paulo erklärte er : «Ich gebe dieses Interview, um meinen Eindruck zu vermitteln, den ich durch das alltägliche Leben und in der Gesellschaft selbst von der amerikanischen Demokratie erleben konnte.» In seiner Antrittsrede sagte Serra, dass die zukünftige Außenpolitik nicht von ideologischer Zweckmäßigkeit und Bevorzugung» geleitet werde, was im gleichen Atemzug gegen Serra spricht, der er kein Karrierediplomat ist, sondern als Politiker hinlänglich eigene politisch-ideologische Auffassungen vertreten hat.
Offenbar wird die strategische Unfähigkeit dieser Regierung, die Bedeutung des Südkegels des Kontinents, des Südatlantik und Afrikas für Brasilien sowohl wirtschaftlich wie auch vom Standpunkt der Sicherheit her zu erkennen.
In den von Serra veröffentlichten Memoranden ist eine einseitige Behandlung der Beziehungen zu anderen Ländern Lateinamerikas, die nicht auf der Prioritätenliste stehen, erkennbar. Verwunderung riefen die Aufträge an alle Botschafter hervor, offensiv gegen die internationale Reaktion auf das Impeachment-Verfahren gegen Rousseff als parlamentarischen Staatsstreich vorzugehen und die Anweisung, die finanziellen Ausgaben für Botschaften Brasiliens in Afrika und in der Karibik zu beschränken .
Der mit der Übernahme der Präsidentschaft durch Temer vorgenommene Kurswechsel, von Serra als Außenminister initiiert, erfasst faktisch alle politischen Grundfragen. Dieser Kurswechsel wird, nachdem Serra «aus gesundheitlichen Gründen» aus dem Amt schied, im Wesentlichen von seinem konservativen Nachfolger Aloysio Nunes (bisher Senator der PSDB und Vorsitzender des Senatsausschusses Außenpolitik (10) mit bestimmten Variationen weitergeführt. Temer versucht, durch außenpolitische Aktivitäten seine innenpolitisch angeschlagene Position zu kaschieren. Er hebt seinerseits vor allem geopolitische Aspekte in der Außenpolitik hervor, ließ jedoch schnell von seinem Putschpartner Serra ab, zumal dieser in der Operation Lava Jato – wie auch Temer selbst – stark belastet wird.
Die aufgezeigten Linien lassen im Einzelnen erkennen, wie vorgegangen wird.
Temer/Serra betrieben den Ausschluss Venezuelas aus dem Mercosur
Im Juli 2016 erklärte Temer, dass es erforderlich ist, die Zielstellungen des Mercosur neu zu definieren, um «die gestellten außenpolitischen Ziele, die Beziehungen zu vielen Ländern auszubauen, zu erfüllen.» Denn der Mercosur erschwere Brasilien, solche Handelsbeziehungen aufzubauen (11).
Unter aktiver Mithilfe Serras formierte sich die Allianz Argentinien/Brasilien, die darauf abzielte, die Integrationsbestrebungen im Rahmen des Mercosur abzubauen, was eine direkte Konfrontation mit Venezuela einschloss. Serra persönlich versuchte, die Vertreter Uruguays zu überreden, sich gegen die Übernahme des Vorsitzes durch Venezuela auszusprechen. Diese Linie wurde auch nach dem Rücktritt Serras fortgesetzt.
Der Kampagne gegen Venezuela schlossen sich weitere Staaten Latein- und Nordamerikas (USA, Kanada) sowie der Europäischen Union (Spanien, Italien) an. Darunter waren Argentinien, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Mexiko, Panama und Peru. Besonders im Rahmen der US-dominierten Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) unternahmen sie Schritte zur Verurteilung der Regierung von Nicolás Maduro auf internationaler Ebene.
Mit der Entscheidung der Außenminister Brasiliens, Argentiniens, Uruguays und Paraguays vom 6. August 2017, die Mitgliedschaft Venezuelas im Mercosur zu suspendieren, ging ein monatelanges Ringen zu Ende. Die Regierung von Uruguay, die sich lange den Bestrebungen Brasiliens und Argentiniens widersetzt hatte, gab ihren Widerstand auf, sodass eine einstimmige Entscheidung herbeigeführt wurde, Venezuela aus «politischen Gründen» aus dem Mercosur auszuschließen. Diese Entscheidung hat solange Gültigkeit, bis die «demokratischen Institutionen» Venezuelas wiederhergestellt werden. Schon im Dezember 2016 beschlossen die Mitglieder des Wirtschaftsblocks eine «juristische Suspendierung» Venezuelas. Der politische Ausschluss wird mit der «Beseitigung der demokratischen Institutionen» nach der Wahl der verfassunggebenden Versammlung begründet . Dies war ein weiterer Schritt zur Isolierung des Landes in Lateinamerika und der angestrebten Gleichschaltung neoliberaler Politik zwischen der Pazifik-Allianz und dem Mercosur.
Abwendung von multilateralen Verträgen hin zu plurilateralen wie der Pazifik-Allianz und dem Vertrag über Handel mit Dienstleistungen (TISA)
Serra orientierte auf die Absage an multilaterale Verträge und den Beitritt zu plurilateralen zur Unterstützung von privaten Kapitalinvestitionen, verbunden mit der Reduzierung der Rolle des Staates. Diese Politik wird in einer Zeit realisiert, in der der sogenannte Washington-Konsens, das heißt die Realisierung neoliberaler Politik, sich überlebt und die internationale Situation der USA sich grundlegend verändert haben. Verträge wie TISA, die charakteristisch sind für die neoliberale Blockbildung im Sinne des Washington-Konsenses, schaffen transnationalen Unternehmen weitgehende Freiheiten. Serra agierte in diesem Sinne als Interessenvertreter der Industrieverbände.
Brasilien kommt damit in eine Situation, in der es mit Ländern konkurrieren muss, die sich nach der Krise von 2008/2009 durch protektionistische Maßnahmen und Subventionen absicherten. Diese anachronistische Strategie widerspricht der bisherigen Gestaltung multilateraler Beziehungen Brasiliens entsprechend den Grundsätzen der WTO.
Veränderung des Pre-Salt-Gesetzes von 2010 und die Schwächung der Position von Petrobras
Serra widersetzte sich noch als Senator dem von der Regierung Lula 2010 initiierten Gesetz zur Nutzung der Pre-Salt-Vorkommen (12). Durch Veröffentlichungen der Enthüllungsplattform Wikileaks wurde 2014 bekannt, dass er gegenüber dem amerikanischen Ölmulti Chevron versprach, sich für dessen Rücknahme einzusetzen. Das versuchte er schon mit dem Projekt 131/2015, das er als Senator des Staates São Paulo voranbrachte, um multinationalen Konzernen Zugriff auf diese Ölfelder zu ermöglichen. Gezielt richtete er seine Aktivitäten gegen die Petrobras zum Vorteil multinationaler Konzerne. Temer unterstützte diese Linie und erklärte anlässlich seiner Teilnahme an der UN-Vollversammlung 2016 in New York, dass in «allernächster Zeit die Gesetzgebung, Petrobras und Pre-Salt betreffend, zum Vorteil der multinationalen Konzerne geändert» werde.
Mit der Annahme des von seiner Regierung veranlassten Gesetzes 4567/16 (2016) wurden grundsätzlich die bisherigen Regelungen zu Pre-Salt beseitigt. Damit wurden Voraussetzungen für die internationalen Konzerne geschaffen, sich direkt an der Ausbeutung und Verarbeitung des Pre-Salt-Erdöls zu beteiligen. Die der Petrobras übertragenen Verantwortungen wurden zuungunsten Brasiliens abgeändert. Fakten belegen diese Veränderungen: Bisher wurden Aktien in Höhe von 13,6 Milliarden US-Dollar der Petrobras verkauft. Die Investitionen wurden von 48,8 Millionen (2015) auf 11,5 Millionen Dollar (2017) reduziert. An internationale Firmen wurden 74 Förder- und Produktionseinheiten verkauft und mit der Verkleinerung des Unternehmens sind circa 10.000 Arbeitsplätze bedroht.
Wiederaufnahme der Beziehungen der Rüstungsindustrien Brasiliens und der militärischen Zusammenarbeit mit den USA
Verhandlungen, die 2001 zur Übergabe der Raketentestbasis Alcantara zwischen Brasilien und den USA geführt wurden, wurden durch ein Referendum gestoppt. Das damals vorliegende Papier garantierte den USA eine ausschließliche Nutzung der Basis und schloss eine Mitnutzung durch Brasilien wegen Geheimhaltung der US-Technologie aus. Mit dem Regierungsantritt Lulas 2003 wurden laufende Verhandlungen mit den USA, die starkes Interesse an der Nutzung dieser Basis hatten, völlig auf Eis gelegt (13).
Am 30. September 2016, einen Monat nach dem parlamentarischen Putsch gegen Präsidentin Rousseff, meldete die Zeitung O Globo, dass «die brasilianische Regierung die USA einlädt, die Installationen in Alcantara als Abschussbasis für Satelliten zu nutzen.» Die Gespräche im Außenministerium wurden im Rahmen des «Dialoges der Verteidigungsindustrie Brasiliens und der USA geführt.» Daran schlossen sich umfassende Verhandlungen an, um «die Periode des sensiblen Patts in den Beziehungen zu beenden, nämlich der Anwendung ausländischer Technologie» auf brasilianischen Territorium. Das Abkommen Brasiliens mit der Ukraine, das 2003 abgeschlossen wurde und gemeinsame Raketentests auf der Basis vorsah, wurde definitiv durch die brasilianische Regierung beendet.
Der ehemalige Referent im brasilianischen Verteidigungsministerium, Ronaldo Carmona, warnte vor den Konsequenzen eines Vertrages über Alcantara mit den USA: «Sind die Bedingungen eines neuen Vertrages denen von 2001 ähnlich, ist dieser Vertrag nicht annehmbar.» Nach seiner Meinung besteht das Interesse der USA zuerst darin, Brasilien als kommende Macht nicht erstarken zu lassen. Im gleichen Sinne äußerte sich, besorgt über den möglichen Abschluss des Vertrages durch die Temer-Regierung noch im Oktober 2017, der Fliegeroberst der brasilianischen Luftwaffe Sued Castro Lima: «Es ist bedauerlich, dass die gegenwärtigen Machthaber wieder verhandeln und die Basis Alcantara einem abscheulichen Partner überlassen wollen.»
Im Rahmen des «Dialoges», durch den der Kurswechsel der De-facto-Regierung Temer in den militärischen Beziehungen zu den USA deutlich wird, vereinbarte das brasilianische Unternehmen Embraer (weltweit das viertgrößte in der Flugzeugindustrie) im April 2017 mit der US-Firma Rockwell Collins eine Zusammenarbeit im Bereich Raumfahrttechnik.
Kürzlich eröffnete das «Ingenieurkommando für Entwicklung und Forschung» der US-Streitkräfte ein Büro in São Paulo, das helfen soll, die Beziehungen in der Forschung und der technologischen Erneuerung zu vertiefen. Am 3. April 2017 erklärte der Verteidigungsminister Brasiliens, dass zwischen beiden Ländern der Abschluss eines «Verteidigungsprojektes» vereinbart wurde, dessen Charakter nicht näher beschrieben wurde.
Schließlich wurde bekannt, dass zwischen dem 6. und 13. November 2017 erstmalig seit Jahren gemeinsame Militärmanöver mit US-Truppen im Amazonasgebiet stattfinden. Sie wurden unter der Bezeichnung Amazonlog in der Gemeinde Tabatinga im Dreiländereck Peru, Kolumbien und Brasilien durchgeführt. Die offiziell erklärten Aufgaben des Manövers bestanden in der «verstärkten Kontrolle der illegalen Migration, in der Durchführung humanitärer Hilfsmaßnahmen bei Großveranstaltungen und von Friedensmissionen in entlegenen Gebieten, in Maßnahmen gegen den Drogenhandel und im Vorgehen gegen Umweltvergehen».
Durch Zufall erfuhr die brasilianische Öffentlichkeit, dass nicht nur Kolumbien ein Kooperationsabkommen mit der Nato hat und mit dem Militärbündnis zusammenarbeitet. Das logistische Kommando des brasilianischen Heeres erklärte, es habe das 2015 in Ungarn durchgeführte Nato-Manöver «Capable Logistician–2015» zum Vorbild für Amazonlog genommen und bestätigt nun auf Umwegen seine bisher unbekannte Teilnahme an Nato-Operationen.
Erstmalig – so schreibt der uruguayische Journalist Raúl Zibechi – nahmen US-amerikanische Truppen an einem Militärmanöver im brasilianischen Amazonasgebiet teil. Nach seiner Darstellung stellt dies eine grundsätzliche Veränderung der bisherigen Position Brasiliens dar.
Brasilianische Experten befürchten, dass dieses Manöver den US-Militärs die Tür zum Amazonasgebiet öffnen könnte. Nach Meinung von Sektoren nationalistisch eingestellter Militärs stellt die «Einladung US-amerikanischer Streitkräfte zu Manövern mit unseren Streitkräften im Amazonasgebiet ein Verbrechen» dar. Experten beurteilen die Übung in Übereinstimmung mit diesen Militärs als Einschränkung der Souveränität Brasiliens, denn bisher wurden niemals ausländische Militärkräfte im «Instruktionszentrum des Dschungelkampfes» der brasilianischen Armee akzeptiert. Mit Amazonlog ist zudem die Befürchtung verbunden, dass die zeitweilige Militärbasis in Tabatinga in eine permanente verwandelt werden wird und die Temer-Regierung die bisherige Position Brasiliens, sehr vorsichtig mit der nationalen Absicherung des Amazonasbeckens umzugehen, aufgeben wird.
Die Politik der PT-Regierungen, die im Hinblick auf die großen Wasservorräte und die einmalige Biodiversität des Amazonasbeckens bedacht waren, diese Ressourcen im nationalen Interesse zu nutzen, wird offensichtlich im Interesse der Annäherung an die Trump-Regierung verändert .
Die verstärkte militärische Zusammenarbeit Brasiliens mit den USA hatte schon zu einem früheren Zeitpunkt begonnen, unter anderem führte die Marine Brasiliens gemeinsam mit der US-Flotte Manöver vor der Küste Brasiliens vor den Olympischen Spielen (2014) in Rio de Janeiro durch. Im Juli 2017 wurden in Brasília zwischen den brasilianischen Streitkräften und einer Delegation des US-Südkommandos(14) 43 gemeinsame Operationen vereinbart, die Teil eines Aktionsplanes sind.
An Beratungen der Handelsabteilung der USA mit Repräsentanten der brasilianischen Rüstungsindustrie, der Regierung und des Sekretariats der Rüstungsindustrie Brasiliens nahmen 42 Vertreter teil. Für den Sekretär des Verteidigungsministerium Brasiliens, Flavio Basillo, war es ein weiterer Schritt der Annäherung an die USA zur verstärkten Partnerschaft auf dem Gebiet unserer Rüstungsindustrie.»
Gegenwärtig ist diese Annäherung, besonders auch seitens der USA, bedingt durch die Entwicklungen in Venezuela. Das brasilianische Militär wird als wichtiger Partner der USA in Lateinamerika gesehen, da damit auch der Einfluss auf andere lateinamerikanische Militärs gestärkt werden kann. «Eine mögliche Alternative einer südamerikanischen Partnerschaft gegen die USA kann verhindert werden. Denn Venezuela ist quasi eine Sache der Ehre für die USA.» Hinzu komme der Einfluss Chinas als Waffenlieferant. Wenn es den USA gelingt, «sich Brasiliens in seiner Einflusszone anzunähern, können negative Folgen verhindert werden.»
Temer folgt der Linie Trumps gegen Venezuela
Selbst im brasilianischen Außenministerium wird eingeschätzt, dass sich Brasilien als schärfster Gegner Venezuelas positionierte. Der aktuelle Chefdiplomat Aloysio Nunes Ferreira traf sich mit der in Venezuela abgesetzten ehemaligen Staatsanwältin Luisa Ortega. Temer verzichtete zwar auf ein Treffen mit ihr im Präsidentenpalast, tut aber alles, um «die Position gegenüber Venezuela zu verschärfen.»(15)
Im Zusammenhang mit dem Manöver im Amazonasgebiet mehrten sich kritische Stimmen, die befürchteten, dass es zu Aktionen gegen Venezuela ausgenutzt werden könnte. Der ehemalige Außen- und Verteidigungsminister der Regierung Lulas, Celso Amorim, forderte die Absetzung der Übung, denn es existiere «eine Verknüpfung von beunruhigenden Faktoren»: mögliche Aktionen von Söldnern, die durch das Manöver Kenntnisse des Terrains erlangen, Zusammenstöße von Chavisten mit oppositionellen Kräften und die Haltung der brasilianischen Regierung gegenüber Präsident Maduro.
Auch andere Fakten weisen darauf hin, dass die Regierung Temer ihren harten Kurs weiterverfolgt.
Während eines Abendessens, das Trump einigen US-treuen Präsidenten vor Beginn der 72. UN-Vollversammlung in New York offerierte, erklärte der US-Präsident , dass es erforderlich ist, «eine umfassende Wiederherstellung der Demokratie und der politischen Freiheiten in Venezuela zu erreichen.» Er meinte, dass die Situation in Venezuela «nicht mehr haltbar sei“ und forderte dazu auf, «eine Aktion der Länder der Region» gegen Venezuela zu starten.
Am Treffen nahmen neben Temer die Präsidenten von Kolumbien, Panama und Peru und die Vizepräsidentin Argentiniens teil. Trump ließ erkennen, dass die USA vorbereitet sind, «Aktionen zu unternehmen, wenn die Regierung Venezuelas weiterhin ihren Weg, ihre Autorität gegenüber den Menschen durchzusetzen, nicht aufgibt.»
Temer unterstrich die «absolute Übereinstimmung» mit den USA, bevorzugt aber die weitere Erhöhung des politischen Drucks auf Maduro. «Die Menschen wollen keine Intervention.» Auch der Präsident Kolumbiens meinte, dass eine «militärische Intervention in Venezuela in Lateinamerika keine Unterstützung finden wird.» Selbst wenn eine direkte militärische Aktion abgelehnt wird, sind alle Schritte auf den Sturz Maduros ausgerichtet.
Mit der vom Präsidenten Perus, Pedro Pablo Kuczynski, initiierten «Erklärung von Lima» vom 5. August(16) stimmten Kanada und zwölf Länder Lateinamerikas, unter ihnen Brasilien, für eine Politik der Isolation Venezuelas. Das bestätigte die von US-Außenminister Rex Tillerson zwei Tage zuvor abgegebene Meinung, dass Maduro die Macht abgeben solle. In diesem Sinne gestaltete sich ebenfalls die Reise von US-Vizepräsident Mike Pence nach Panama, Argentinien, Chile und Kolumbien im August. Pence unterstrich mit den Besuchen in Chile und Kolumbien die Unterstützung der USA für die Pazifik-Allianz und die Isolierung Venezuelas.
Mit Trump ist die Zeit der «soft power» vorbei, eine Konzeption des State Departments, die dazu beigetragen hat, den Einfluss der USA in Lateinamerika zu garantieren. Offensichtlich ersetzt Trump diese Diplomatie durch den «big stick». Möglich ist auch unter dem Slogan «America first» eine stärkere Ausprägung protektionistischer Politik, was unmittelbar mit einer wirtschaftlich aggressiveren Politik parallel laufen kann und Ausdruck der Unterstützung der USA für die Pazifik-Allianz ist. Die Temer-Regierung beteiligt sich auf ihre Weise an dieser Politik.
Allerdings hat die Position Brasiliens gegenüber Venezuela nach Nachforschungen des Portals Carta Capital finanzielle Auswirkungen. Venezuela verzögerte die Rückzahlung eines Kredites von 260 Millionen US-Dollar, der Teil eines Kredites von 1,2 Milliarden US-Dollar der Brasilianischen Entwicklungsbank (BNDES) ist. Nach Angaben des Portals liegen die Ursachen in den Schwierigkeiten, die mit den Sanktionen durch die Trump-Regierung gegen Venezuela zusammenhängen. Ausgeschlossen wird aber auch nicht, dass die Nichtzahlung mit der Verschärfung der politischen Position Brasiliens gegen Venezuela zusammenhängt. Das bringt den Außenminister Nunes Ferreira in eine schwierige Position, da der brasilianische Privatsektor starke Verluste hinnehmen müsste.
Die Zickzack–Politik der Regierung Temer
Der Brexit, die Wahl Donald Trumps in den USA, die Kriege im Nahen und Mittleren Osten und in der Ukraine sowie die konservative Offensive in Lateinamerika veränderten die politische Weltlage. Hatte die Welt vorerst damit zu tun, die neue Trump-Regierung zu dechiffrieren, verfolgten China, Russland und auch Indien eine Politik zur Festigung einer multipolaren Welt: Eine Alternative zur Weltordnung, die auf der Dominanz des Dollars beruht. Besonders China bietet zusammen mit Russland vielen Ländern eine Kooperation gegen die schwächelnde US-amerikanische militärische und wirtschaftliche Macht. Mehr und mehr erfolgt der Warenaustausch, besonders im Energie-Sektor, ohne den bisher üblichen Petrodollar auf der Basis des Yuan.
Das Projekt der Seidenstraße, das mit einem Investitionsvolumen von einer Billion Dollar für die nächsten zehn Jahre realisiert werden soll, wird die Zusammenarbeit zwischen Asien und dem Rest der Welt fördern. Das stellt einen bedeutenden Gegensatz zur «America-First-Strategie» Trumps im globalen Maßstab dar und wird seine Anziehungskraft trotz widersprüchlicher Probleme auch auf die Länder Lateinamerikas nicht verfehlen. «Die multipolare Welt zeichnet sich deutlich ab. Die USA sind nicht mehr länger die einzige Supermacht, sondern eher nur eine unter anderen Nuklearmächten.» «Bedeutende Veränderungen haben sich in Asien, forciert durch Russland, Indien und China, vollzogen, wogegen die USA auf Nationalismus und Lokalpatriotismus setzen.»
Brasilien und die BRICS
Bei kritischer Betrachtung ist nicht zu übersehen, dass die Beziehungen der BRICS-Staaten untereinander problematisch sind und Widersprüche existieren, die einer weiteren Festigung dieses Staatenbundes entgegenstehen können. Da ist die umfassende Korruption in Brasilien, sind die religiösen Probleme in Indien, aber auch Probleme zwischen China und Russland. Für alle steht jedoch im Vordergrund, wie sie sich gegenüber der Trump-Regierung platzieren. China befürchtet die Aufgabe der «Ein-China-Politik» durch den neuen US-Präsidenten. Dessen Absage an internationale Verträge und seine Rede vor der 72. UN-Vollversammlung zeigen die Fragmentierung und Widersprüche, in denen die Welt sich heute befindet. Trump wird die aggressive Außenpolitik der USA fortsetzen und könnte in unheilvoller Weise neue Konflikte provozieren. Ein mögliches strategisches Ziel seiner Regierung besteht im Versuch, einen Keil zwischen die BRICS-Länder zu treiben. Vor dem Hintergrund systemimmanenter Widersprüche zwischen den USA und den aufkommenden Schwellenländern ist die Rolle, die Brasilien in dieser Auseinandersetzung spielen wird, von großem Interesse.
Die Temer-Regierung und die internationale Zusammenarbeit
Nach dem Impeachment gegen Präsidentin Rousseff standen sofortige Entscheidungen für die Regierung Temer auf internationaler Ebene an.
Am Rande der UN-Vollversammlung 2016 hatte Außenamtschef Serra während des Treffens der Brics-Außenminister die «neue» außenpolitische Linie, die sein Land verfolgen werde, vorgegeben: Brasilien habe Interesse an der «Kooperation im Rahmen der BRICS», sodass der Staatenbund weiter mit der «Unterstützung Brasiliens» rechnen könne. Wörtlich: «Für den zweiten Zyklus der BRICS-Treffen streben wir eine ausgewogene Balance zwischen Absichten und Realismus an», das heißt, die Regierung Temer will diese Zusammenarbeit vor allem zum Vorteil des brasilianischen Kapitals nutzen. Serra zählte auf, was von Interesse ist: eine vorteilhafte Beteiligung Brasiliens an der Neuen Entwicklungsbank, Aufnahme weiterer Staaten in diese (welche Staaten das sein sollen, blieb unausgesprochen), das gemeinsame Interesse an einer Reform der internationalen Finanzinstitutionen (unter anderem des IWF) wie auch der Errichtung eines internationalen Finanzsystems zur langfristigen nachhaltigen Entwicklung.
Temer entschloss sich, sowohl am Treffen der G-20 im chinesischen Hangzhou im September 2016 wie auch am 8. Treffen der BRICS-Staaten Mitte Oktober 2016 im indischen Goa teilzunehmen.
Er nutzte die Zusammenkunft, um zu zeigen, dass seine Regierung Maßnahmen zur Sanierung der brasilianischen Wirtschaft eingeleitet habe und sich die ersten Erfolge zeigten. Er rief Unternehmen der BRICS-Staaten dazu auf, verstärkt in Brasilien zu investieren. Seine Regierung habe ein «Partnerprogramm für Investitionen» aufgelegt, mit dem die Rezession überwunden werde und damit die besten Voraussetzungen für Geschäfte gegeben wären.
Nach Angaben der brasilianischen Presse kam es während des Treffens in Goa zu keinem Treffen Temers mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Grund dafür sei die «scharfe Wende» Brasiliens nach dem Impeachment gegen Präsidentin Rousseff. Sowohl Russland wie auch alle anderen Teilnehmer am Treffen beobachteten mit erhöhter Aufmerksamkeit, welchen politischen Kurs diese Regierung nach der Ablösung Rousseffs einschlagen werde.
Temer behauptete, dass Russland großes Interesse an Wirtschaftsbeziehungen mit Brasilien habe, ohne jedoch ein direktes Treffen mit Putin gehabt zu haben. Zur Atmosphäre während des Treffens meinte er, dass er von den anderen Partnern gut aufgenommen worden sei. Besonders China wollte «aus geopolitischen Gründen verstehen, wie sich die Temer-Regierung in Bezug auf die USA verhalten wird. Und ob das die chinesischen Interessen berühren werde», bemerkte der Professor für internationales Recht, Menezes de Carvalho von der Getúlio-Vargas-Stiftung in Rio de Janeiro, der ein ausgewiesener Kenner Chinas ist.
Schließlich wurde Temer deutlicher und erklärte, dass «wir unsere Beziehungen umfassend entwickeln. Wir werden sie nicht nach einem Schubkastendenken gestalten. Auch Japan wird für uns ein wichtiger Partner sein.» (Das sagte er im Hinblick auf das bevorstehende Treffen mit dem japanischen Kaiser Akihito und Ministerpräsident Shinzo Abe.)
Der De-facto-Präsident nutzte die Konferenz, um sich und seine Regierung im Rahmen der Brics nicht zu isolieren und, ausgehend von der prekären politischen und wirtschaftlichen Lage, in der sich Brasilien befindet, für die Weiterführung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu werben. Dafür spricht auch, dass er das vom Gipfel erarbeitete Abschlussdokument unterzeichnete.
Kommentare zur Teilnahme der Regierung Temer am Treffen in Hangzhou unterstreichen, dass sein Aufenthalt in China vor allem bilateralen Charakter hatte. Der Direktor des Zentrums für brasilianische Studien der Akademie der Wissenschaften Chinas schätzte ein, dass die Erklärungen Brasiliens das unmittelbare Ziel verfolgten, Druck auf seine westlichen Partner auszuüben, die «illegitime Regierung Brasiliens anzuerkennen und eine bestimmte Distanz zu den Brics-Staaten aufzuzeigen.»
Es sind rationale, pragmatische Gründe, die, obwohl eine politische Umorientierung in Richtung USA erfolgte, die Temer-Regierung zwangen, die Verbindungen zu den Brics nicht abreißen zu lassen. Valter Pomar, Professor an der ABC-Bundesuniversität bei São Paulo, meint, dass die USA bestrebt sind, Brasiliens Beziehungen zu Drittstaaten zu schwächen, was ein Ziel der konservativen Offensive in Lateinamerika ist. Aber die internationale Situation zwingt die Temer-Regierungdazu, pragmatisch zu handeln. So sind nach Einschätzung Pomars die Zick-Zack-Politik Temers und dessen pathetischen Worte zu den BRICS zu werten. «Allerdings sind das neg tive Folgen einer Unterordnung unter die Interessen der USA ohne die positiven Effekte einer realen Integration, wie sie von den BRICS angestrebt wird.»
Beziehungen Brasilien‒China
Nach den Ereignissen 2016 in Brasilien herrschte sowohl auf chinesischer wie auch auf brasilianischer Seite eine bestimmte Verunsicherung. China war interessiert zu wissen, ob die zur Zeit des Präsidenten Lula entstandenen Beziehungen fortgesetzt werden. Die Volksrepublik betreibt eine pragmatische Politik, bei der politisch-ideologische Fragen ausgeklammert werden und hat ein Interesse – ohne Vorbehalte zur Legitimität der interimistischen Regierung – die Beziehungen zu Brasilien fortzusetzen.
China ist an der seit 2004 existierenden «hohen chinesisch-brasilianischen Kommission für Abstimmung und Kooperation» im Rahmen der vereinbarten strategischen Partnerschaft sehr interessiert.
Seit 2009 ist das asiatische Land der größte Handelspartner Brasiliens und hat die USA auf den zweiten Platz verdrängt. Es importiert im besonderen Rohstoffe (Eisenerz, Erdöl) und landwirtschaftliche Erzeugnisse (Soja), die es zum Teil im Austausch für Industriewaren bezieht. Brasilien exportierte 2015 im Wert von 35,9 Milliarden US-Dollar nach China (24,5 in die USA) und importierte 30 Milliarden aus China (26,4 aus den USA) (17).
Damit vollzog sich im brasilianischen Außenhandel eine grundsätzliche Veränderung. Gleichzeitig erhöht China seine Kapitalinvestitionen beträchtlich, wobei der Fokus auf dem Energie- und Rohstoffsektor liegt(18). In den letzten 30 Monaten investierte China 60 Milliarden Reais (ca. 32 Milliarden Dollar) und ist der größte ausländische Investor bei Firmenübernahmen und Fusionen in dem südamerikanischen Land (2016 für 23,96 Milliarden Reais, US-Unternehmen dagegen nur 13,4). Nach diesen Angaben wurden im ersten Semester 2017 97 Prozent im Energiesektor investiert. In der Presse wurde getitelt: «China verwandelt sich in den größten Bankier für Brasilien.»
China investiert in Brasilien, um sich Marktanteile für Exporte und, aus geopolitischen Erwägungen, strategische Ressourcen zu sichern. Seine Strategie zielt auf die Schaffung eines Exportmarktes, das heißt der Lieferung chinesischer Ausrüstungen für brasilianische Unternehmen, feste Bindungen zur entsprechenden politischen Klasse und der lokalen Technokratie, es sollen sichere Kanäle zu den Regierenden, egal welcher Ausrichtung, geschaffen werden. Temers Reise im September 2017 nach China verlief im Sinne dieser Politik.
Mit der Aufkündigung des Handelsabkommens Transpazifische Partnerschaft (TTP) durch die Trump-Regierung wird es China ermöglicht, verstärkt wirtschaftlich Einfluss zu nehmen und seinen Außenhandel mit Südamerika, besonders mit Brasilien zu erhöhen.
Brasilianische Ökonomen warnen deshalb, dass die Volksrepublik die Beziehungen auf Grund ihres effizienten Vorgehens nutzt und Brasilien seine nationalen Interessen nicht sichert: «China zwingt uns, mehr Soja anzubauen und Eisenerz zu fördern. Denn China hat seine Industrie aufgebaut, hohe Wechselkurse gehalten und niedrige Zinsen durchgesetzt und wir taten genau das Gegenteil: Hohe Zinsen und niedrige Wechselkurse behinderten die Entwicklung der brasilianischen Schwer- und Maschinenindustrie.» Die Temer-Regierung folge naiv und einfältig einer Politik zu Lasten nationaler Interessen. Besonders die chinesische Beteiligung am Energiesektor und der bedeutenden Beteiligung am Erdölsektor im Konsortium Pre-Salt zeigten das.
Diese kritische Einschätzung geht davon aus, dass Brasilien mehr und mehr von Rohstoffexporten abhängig ist. Betrug der Anteil dieser Exporte am Gesamtaußenhandel 2001 noch 63 Prozent, so lag er 2016 bei 84 Prozent (Eisenerz 46,1, Erdöl 24,9 Prozent).
Zu vermerken ist, dass diese «strategische Partnerschaft» noch von Präsidentin Rousseff im Jahr 2015 eingeleitet wurde. Beabsichtigt war, eine «Brücke» zwischen dem Atlantik und dem Pazifik als neue geopolitische Achse im Rahmen der BRICS zu schaffen. Mit dem chinesischen Premierminister wurden Verträge in Höhe von 53 Milliarden US-Dollar abgeschlossen, darunter das Projekt einer transozeanischen Eisenbahnlinie und der Bau einer modernen Hochspannungsleitung vom Wasserkraftwerk Belo Monte bis in die Industrieregion des Staates São Paulo.
Mit dem Staatsbesuch Temers im September 2017 (vor dem BRICS-Gipfel) wurde diese strategische Zielstellung durch die interimistische Regierung komplett verändert: Im Zuge der Privatisierungspolitik bot Temer chinesischen Partnern ein umfassendes Paket von Privatisierungen und Konzessionen an. «Wir hoben die Eletrobras und weitere 57 neue Projekte hervor, die der privaten Initiative zur Disposition gestellt werden. Die Chinesen wollen immer mehr im Energie-, im Elektro- und Bergbausektor investieren und haben ein außerordentliches Vertrauen in uns. Es ist eine äußerst fruchtbare Zusammenarbeit.» Und er betonte , dass er sich mit Xi Jinping zum fünften Mal traf.
Präsident Xi unterstrich seinerseits, dass China und Brasilien wichtige aufkommende Märkte (emerging markets) in ihrer Hemisphäre seien. Charakteristisch für die Beziehungen seien ihre «Reife und Qualität». Wichtige Schritte würden zur Vertiefung des Handels, der Investitionen und Finanzierung von Projekten realisiert. Die Volksrepublik bedanke sich bei Brasilien für die Beibehaltung der «Ein-China-Politik». Das brasilianisch-chinesische „Komitee für Koordinierung und Kooperation“ unterstütze Projekte in verschiedensten Sektoren, die auch im Rahmen der «Neuen Seidenstraße» vorgesehen sind. Die strategische Partnerschaft finde auch ihren Niederschlag in der Zusammenarbeit im Rahmen der G20, der WTO und anderen internationalen Gremien. Temer sprach von «echter Freundschaft» und der Bedeutung der Zusammenarbeit. Während des Treffens wurden zehn Abkommen für Kooperationen im Produktionsbereich, dem Energiesektor, dem Tourismus, der Landwirtschaft und anderen abgeschlossen .
Das neunte Treffen der BRICS in Xiamen
Im September 2017 fand in Xiamen (China) das neunte Treffen der BRICS-Staaten statt. Chinas Präsident Xi Jinping betonte Anfang 2017 in einem Brief an die Präsidenten der Mitgliedsländer, dass die globale Wirtschaft sehr von der Stärkung der Zusammenarbeit unter den BRICS-Staaten abhängen wird. Xiamen solle zum Symbol der Kooperation werden. Er erklärte, dass China eine «Win-Win-Kooperation» anstrebt, die dem Süd-Süd-Austausch neue Impulse verleihen kann und im Rahmen des Staatenbundes neue Projekte ermöglichen wird. Das Treffen in Xiamen stand unter der Losung: «BRICS: Eine feste Partnerschaft für eine glänzende Zukunft.»
Wenn die Teilnahme der Regierung Temer am Goa-Treffen 2016 von pragmatischen Erwägungen geprägt war, so musste sie sich entscheiden, welche Rolle sie in Xiamen spielen wollte. Es ist bemerkenswert, dass brasilianische Vertreter an allen wichtigen vorbereitenden Xiamen-Treffen teilnahmen.
Es fanden in Vorbereitung des Gipfeltreffens ein Treffen der Finanzminister in Baden-Baden im März 2017, eines der Außenminister im Juni vor G20-Treffen in Hamburg, mehrere in China und eines der Präsidenten während des G20-Treffens in Hamburg statt. Bedeutsam war die siebente Zusammenkunft «Hoher Vertreter für Sicherheitsfragen» im Juli 2017 in Peking, bei dem Maßnahmen des Antiterrorkampfes, der Energiesicherheit und der nationalen Sicherheit besprochen wurden. Von brasilianischer Seite wurde der Vorschlag unterbreitet, ein «Forum der Sicherheitsdienste» der BRICS einzuberufen(19).
In einem gemeinsamen Kommuniqué wurde im April 2017 erklärt, dass die BRICS Maßnahmen zur humanitären Hilfe für Syrien verstärken werden. Im Statement der Außenminister des Junitreffens erklärten diese wiederholt ihre Unterstützung für Brasilien, Indien und Südafrika bei ihren Bemühungen, «eine größere Rolle in der UNO zu spielen».
Zehn Jahre nach dem ersten Treffen stellt der Staatenbund in seiner Abschlusserklärung fest, dass das Hauptanliegen der Brics weiter das Streben nach Frieden, Sicherheit, Entwicklung und Zusammenarbeit ist. Mit Genugtuung verzeichneten sie die Tätigkeit der Entwicklungsbank und des Reservefonds. Auch werden konkrete Ziele für die wirtschaftliche Zusammenarbeit formuliert. Ausgehend von den profunden Veränderungen in der Welt und den Sicherheitsherausforderungen wollen sie den Informationsaustausch und die internationale Zusammenarbeit auf der Basis der Charta der UNO verstärken. Anerkannt werden die Fortschritte in der Zusammenarbeit, die auf vielen Gebieten (Bildung, Landwirtschaft, Tourismus u.a.) gemacht wurden. Einzelne Gremien wurden beauftragt, weitere Schritte zur institutionellen Ausformung der Brics vorzuschlagen. Auf wesentlichen Gebieten wie der politischen und Sicherheitszusammenarbeit wurden weitere Dokumente verabschiedet. Die brasilianische Delegation stimmte der Gemeinsamen Erklärung von Xiamen zu.
Einige Schlussbemerkungen zur Einordnung Brasiliens in die neue Weltordnung
Mit der Stärkung des Dreiecks China-Russland-Indien ist weltweit ein bedeutendes Zentrum wirtschaftlicher Entwicklung im Kommen, das im Wesentlichen durch China getragen wird. Für Brasilien – das zeigen die oben zitierten Erklärungen – sind die Beziehungen zu China von erstrangiger Bedeutung. Zum Ausdruck kommen konkrete Interessen des brasilianischen Großkapitals, das vom Finanzminister Henrique Meirelles vertreten, seinen Platz in der Finanzwelt sichern will.
Gleichzeitig will Brasilien die exklusive Rolle, die es in Südamerika und Lateinamerika im Rahmen der BRICS spielt, nicht aufgeben. Zu beachten ist, wie chinesische Kommentatoren meinen, dass Brasilien eine abgestufte Erweiterung der BRICS-Gruppe empfiehlt, die vorerst unterhalb der Schwelle einer Vollmitgliedschaft laufen kann.
Ob Brasilien einem möglichen Ziel der USA, die BRICS zu schwächen, folgt, ist im gegenwärtigen Moment nicht zu erkennen. Denn dazu ist das Land – auch auf Grund seiner inneren Probleme – zu sehr Außenseiter und insbesondere von den Beziehungen zu China abhängig. Wie auch die Vergangenheit zeigt, verfolgen die brasilianischen Eliten weder vor dem Impeachment noch danach ein eigenes nationales Projekt, sondern agieren als Teil der internationalen Finanzkreise im Interesse ihrer Gewinne.
Mit dem Aufkommen der BRICS und anderer Schwellenländer (emerging markets) müssen auch die USA Sorge tragen, sowohl zu ihren Verbündeten als auch zu anderen aufsteigenden Zentren reale Beziehungen zu unterhalten, das heißt zu China, Indien und Russland aber auch zu Brasilien, zu Südafrika, Indonesien und anderen, denn «Macht in einer unter einander verbundenen Welt ist nicht länger ein Nullsummenspiel.» Die US-Politik wird aber weiter darauf ausgerichtet sein, Brasilien im Sinne ihrer geopolitischen Ziele zu nutzen.
In gewisser Weise befindet sich Brasilien im Mittelpunkt der geopolitischen Konfrontation zwischen den USA und China in Lateinamerika, wobei beide Seiten der Logik dieser Konfrontation folgen.
Fußnoten
(1) Erhard Crome, Wolfgang Grabowski, Achim Wahl, «Das Ende der Geschichte ist nicht zu Ende – Geostrategische und politische Veränderungen am Beginn des XXI. Jahrhunderts», Papers der RLS, Seiten 67 und 70
(2) Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika
(3) Interne oder innere Bourgeoisie: Der griechisch-französische Staatstheoretiker Nicos Poulantzas führte in den 1970er Jahren den Begriff der inneren Bourgeoisie ein. Poulantzas unterscheidet die innere Bourgeoisie von der nationalen und Kompradorenbourgeoisie. Diese Klasse ist nach Poulantzas mit Kapital aus dem Ausland verbunden, hat ihre Reproduktionsbasis zugleich aber im Inneren des Staates selbst
(4) Brasilianischer Historiker, Veröffentlichungen wie «Der zweite Kalte Krieg – Geopolitik und strategische Dimension der USA», 2013
(5) Dedefensa, «Rafale en Brasil, una declaración de guerra», 8.9.2009
(6) «Brasil potencia – entre la integración regional y un nuevo imperialismo», Raúl Zibechi, Primera Edición. Ediciones desde abajo, Bogotá, D.C. – Colombia, marzo de 2012
(7) Revista Critica Marxista Nr. 36, «A tese do imperialismo brasileiro em questão», Seite 117
(8) Als «Lava Jato» (auf deutsch etwa: Operation Hochdruckreiniger) werden die Ermittlungen genannt, mit denen seit März 2014 Geldwäsche, Untreue, Kartellbildung und Korruption in Milliardenhöhe beim halbstaatlichen brasilianischen Ölkonzern Petrobras untersucht werden. Petrobras ist der größte und wichtigste Konzern Brasiliens und bringt zehn Prozent der Gesamtsteuereinnahmen des Landes ein
(9) José Serra war Außenminister von Mai 2016 bis Februar 2017. Rücktritt auf Grund gesundheitlicher Probleme. Er wurde im Rahmen der Operation Lava Jato von ehemaligen Mitarbeitern des Unternehmens Odebrecht beschuldigt, Gelder für seine Wahlkampagnen in Millionenhöhe angenommen zu haben. Serra kandidierte erfolglos bei den Präsidentschaftswahlen 2002 (gegen Lula) und 2010 (gegen Rousseff) für die PSDB (Sozialdemokratische Partei Brasiliens) und ist Senator für den Bundesstaat São Paulo
(10) Aus Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern des Unternehmens Odebrecht im Rahmen der Operation Lava Jato soll Nunes 2010 Gelder in Höhe von 500.000 Reais angenommen haben
(11) Mitgliedern des Mercosur ist es untersagt, mit Drittstaaten bilaterale Freihandelsabkommen abzuschließen
(12) Vor der Küste von Rio de Janeiro liegen in einer Tiefe von bis zu 7.000 Metern unter der Wasseroberfläche und einer kilometerdicken Salzkruste die als Pré-Sal oder Pre-Salt bezeichnet wird, auf 100 Milliarden Barrel geschätzte Ölvorkommen
(13) Beim Test einer brasilianischen Rakete 2003 explodierte diese. 21 Menschen starben
(14) Das Kommandozentrum Süd der US-Streitkräfte (Southcom) ist für die Koordination und Führung aller militärischen Operationen der USA in Lateinamerika zuständig
(15) Carta Capital, 18.9.2017
(16) Siehe Amerika21: Umgang mit Venezuela spaltet Lateinamerika
(17) «La Alianza estratégica entre Brasil y China y sus relaciones económicas bilaterales», Studie zur Präsentation auf dem 9. Lateinamerikanischen Kongress der Politikwissenschaften, organisiert von der Assoziation der Politikwissenschaften, Montevideo,Juni 2017, Seite 18, Autorin Virginia Busilli
(18) CEPAL, Documento Informativo, 2017, «La Inversión Extranjera Directa en América Latina y el Caribe», S. 43
(19) In der Abschlusserklärung wird dieser Vorschlag von allen BRICS-Staaten unterstützt.Siehe dazu: https://timesofindia.indiatimes.com/india/brics-leaders-xiamen-declarati..