Vortrag in Moskau, Mai 2015
Von Florian Horn, RLS Brüssel
Seit 2013 verhandeln die Europäische Union (EU) und die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) ein umfangreiches „Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen“ (TTIP). Das Abkommen, welches einen Wirtschaftsraum verbinden soll, der nahezu die Hälfte des weltweiten Handelsvolumens umfasst, hat beiderseits des Atlantiks eine heftige Diskussion ausgelöst und insbesondere in Teilen Westeuropas eine nahezu beispiellose Widerstandsbewegung entfacht.
Handelspolitik, für viele Jahre ein Thema, dem sich ausschließlich Spezialisten gewidmet haben, füllt mit TTIP in Deutschland Titelseiten großer Zeitungen, Bestsellerlisten, Hauptnachrichten und Talkshows im Fernsehen. Das große Interesse an TTIP in Westeuropa spiegelt ein Unbehagen in großen Teilen der Bevölkerung wider, gegenüber einer zunehmend postdemokratischen Gesellschaft, in der sich politische Akteure dem Willen transnationaler Konzerne unterwerfen.
Die breite Mobilisierung gegen TTIP ist daher vor dem Hintergrund der aktuellen kapitalistischen Kris, auch Ausdruck der Glaubwürdigkeitskrise der EU. Hinzu kommt, dass ein umfassendes Handelsabkommen mit den Vereinigten Staaten im Lichte des NSA-Überwachungsskandals in Europa äußerst misstrauisch beäugt wird. Schließlich wurde im Zuge der Enthüllungen von Edward Snowden öffentlich, dass der US-amerikanische Geheimdienst NSA über Jahre hinweg nicht nur die Telefone von Staats- und Regierungschefs in Europa abgehört hatte, sondern auch zahlreiche Telefonanschlüsse in Wirtschafts- und Handelsministerien. Dies ist verständlicherweise in den Augen vieler keine Vertrauensgrundlage für den Abschluss eines so weitreichenden Abkommens zwischen der EU und den USA.
Mit TTIP soll die europäische Handels- und Investitionsagenda der vergangenen zwei Jahrzehnte weitergeführt und vertieft werden, die zuletzt unter dem Begriff „Global Europe“ geprägt wurde. Der Griff des europäischen Kapitals nach den Weltmärkten soll, durch einen gemeinsam mit den USA gesetzten „Goldstandard“ weltweiter Handels- und Investitionspolitik, gesichert werden. Das zeigt sich auch daran, dass sich die Debatte um TTIP zunehmend auf den ideologischen Kern des Abkommens konzentriert. Der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel warnte zuletzt vor einem „Abstieg Europas“, falls TTIP scheitern würde. In Anlehnung an ein Zitat von Angela Merkel drohen europäische Eliten: Scheitert TTIP, dann scheitert Europa.
Die handels- und wirtschaftspolitische Agenda der Europäischen Union
Die politischen Leitlinien der Europäischen Union zu verstehen ist nicht leicht. Das gilt für einfache Bürger ebenso wie für Politiker und Funktionäre, z. B. von Institutionen, Verbänden und Gewerkschaften. Die Prozeduren und Prozesse der Agendafindung sind meist sehr komplex und stets intransparent. Das hat zunächst strukturelle Gründe, handelt es sich doch um einen Prozess auf vielen verschiedenen Ebenen, mit vielen verschiedenen Akteuren: die Regierungschefs, der Ministerrat, die Kommission, das (schwache) Europäische Parlament sowie die nationalen Parlamente, und nicht zuletzt die mächtigen Lobbyorganisationen. Nahezu jede EU-Entscheidung oder Gesetzgebung wird unter Einbeziehung der meisten dieser Akteure gefällt. Dies findet zu unterschiedlichen Zeitpunkten und auf verschiedenen Prozesseben statt, was die Sache zusätzlich verkompliziert.
So komplex die politischen Entscheidungsprozesse der EU auch sein mögen, in der Handelspolitik lässt sich seit jeher eine ideologische Kontinuität feststellen. Von Beginn an ist das handelspolitische Leitmotiv der EU die Liberalisierung. Von den GATT-Verhandlungen (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) 1947 bis zu den TTIP-Verhandlungen steht die Handelspolitik unter dem Einfluss der Ideologie des Freihandels. Dabei vollzog sich jedoch in den vergangen Jahren eine Radikalisierung, von einer erst moderaten bis zu einer stark offensiven Liberalisierung. Die heutige aggressive Liberalisierungspolitik, deren zerstörerische Agenda ins Herz dessen trifft, was wir „Bürgerlichen Rechtsstaat“ nennen, ist zweifelsohne weit davon entfernt, was David Ricardo oder Adam Smith unter Freihandel verstanden, und dennoch dessen Konsequenz.
Die zunehmende Komplexität der internationalen Handelsbeziehungen im 20. Jahrhundert führte zunächst zu einer Ausweitung der Zollsenkungen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts richtete sich der Blick zunehmend auf so genannte „nicht-tarifäre Handelsbeschränkungen“. Der Begriff des Freihandels wurde vertieft und ausgeweitet. Vor dem Hintergrund der Krise des Post-Fordismus und des Zusammenbruchs der Sowjetunion vollzog sich Ende des vorherigen Jahrhunderts ein neoliberaler Paradigmenwechsel in der Handelspolitik der Europäischen Union. Die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes folgte einer klar neoliberaler Ausrichtung, im Zentrum der neoliberalen Agenda standen freier Kapitalverkehr, Liberalisierung des Dienstleistungssektors, eine umfassende Privatisierungsagenda und mehr.
Diese Neuausrichtung der EU-Innenpolitik veränderte auch die außenhandelspolitische Agenda der EU. Der fortlaufende EU-Integrationsprozess und der EU-Erweiterungsprozess in den vergangenen zwei Jahrzenten führten zur Stärkung der Rolle der EU-Kommission, deren Handelsmandat im Zuge dessen erweitert wurde. 2006 schob die EU-Kommission eine Neuausrichtung der EU-Außenhandelspolitik an (Global Europe). Der Europäische Binnenmarkt verlor in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung für das US-Europäische Kapital, was durch eine Exportorientierung Europas kompensiert werden solle.
Somit rückten geopolitische und geoökonomische Aspekte in den Vordergrund, denn auf dem Weltmarkt traten neue Akteure in Erscheinung, zuvorderst die BRICS-Staaten, was sich auch in der Welthandelsorganisation (WTO) bemerkbar machte. Die aufstrebenden Wirtschaftsmächte verfolgten eine protektionistische Wirtschafts- und Handelspolitik, um Wachstum zu sichern, dasselbe Instrument, mit dem sich bereits zuvor die klassischen Wirtschaftsmächte ihren Aufstieg gesichert hatten. Dies führte zu einer Blockade in der WTO, worauf die alten Wirtschaftsmächte mit einer Fokussierung auf den Abschluss von bi- und multilateralen Handelsabkommen reagierten.
Der relative Bedeutungsverlust des europäischen Binnenmarktes für das US-europäische Kapital ging also einher mit einer aggressiven Außenwirtschafts-Politik, deren Ziel die Eroberung globaler Marktanteile war. Die nach außen gerichtete Strategie Global Europe und die nach innen gerichtete EU-Wettbewerbspolitik der Lissabon-Strategie müssen daher als zwei Seiten derselben Medaille gesehen werden: eine nach innen gerichtete Wettbewerbs- und Austeritätspolitik einerseits und eine neue Generation von Handels- und Investitionsabkommen andererseits.
TTIP: Deregulierung und Investitionsschutz
Das TTIP-Abkommen ist weit mehr als ein Freihandelsabkommen im klassischen Sinn. Die Zölle zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union liegen derzeit im Durchschnitt zwischen 2 und 3 Prozent. Das Abkommen zielt nicht in erster Linie darauf, diese bereits sehr niedrigen Zollschranken abzubauen, sondern es geht bei den Verhandlungen vor allem um sogenannte „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“. Gemeint ist eine „behind the border“ Liberalisierung, also eine weitreichende Angleichung der Sozial-, Arbeitnehmer- und Umweltstandards der USA und der EU. Eine maximale Harmonisierung, eine solche Harmonisierung liegt beispielsweise der Studie der Bertelsmann-Stiftung zu den ökonomischen Effekten von TTIP zugrunde, würde de facto die Schaffung eines transatlantischen Binnenmarktes bedeuten, ähnlich dem EU-Binnenmarkt.
Dies wäre jedoch nur dann möglich, wenn das „Recht zu Regulieren“ weitgehend aus der Hand regionaler, nationaler und europäischer politischer Entscheidungsträger genommen würde, um stattdessen in einer transatlantischen Institution geregelt zu werden. Dies ist in den durchgesickerten Verhandlungsdokumenten über TTIP durch die Einrichtung eines Regulatorischen Rates (RCB) vorgesehen. Viel über die genaue Ausgestaltung dieser Institution ist nicht bekannt, schließlich sind die Verhandlungsdokumente streng geheim. Aus den durchgesickerten Dokumenten geht jedoch hervor, dass eine relativ komplexe regulatorische Struktur vorgesehen ist, die sowohl vertikale als auch horizontale Regulation betrifft.
Mit vertikaler Regulation ist die Angleichung von bestehenden Standards der USA und der EU in verschiedenen Wirtschaftssektoren gemeint, beispielsweise in der Nahrungsmittelproduktion, in der Automobilindustrie sowie in der chemischen Industrie. Mit horizontaler Regulation ist dagegen die Einrichtung des oben genannten transatlantischen Regulationsrates gemeint, der in US- und EU-Gesetzgebungsmechanismen eingezogen werden soll. Dies soll dem frühen Informationsaustausch über Regulierungsvorhaben dienen, um deren mögliche Effekte auf den Handel durch die Durchführung von Folgeabschätzungen zu prüfen.
Darüber hinaus drängen insbesondere die Vereinigten Staaten auf die Einrichtung einer verbindlichen Auskunftspflicht. Dieses Verfahren, in den USA unter notice & comment bekannt, sieht vor, jegliche Bedenken von Seiten der Industrie bezüglich geplanter Regulierungen zu berücksichtigen und zu prüfen. In den USA führt dieses Verfahren zu einer enormen Verlangsamung von Regulierungsprozessen. So wurde beispielsweise seit 1991 in den USA keine einzige Neuzulassung von Chemikalien gestoppt.
Es steht zu befürchten, dass mit der Einführung eines Regulationsrates somit eine regulatorische Eiszeit eingeläutet würde. Allein die Komplexität des Verfahrens lässt befürchten, dass regionale bzw. nationale politische Entscheidungsträger vor Maßnahmen zum Schutz von Menschen und Umwelt im Vorhinein Abstand nehmen würden, wenn sich Bedenken von Seiten der Industrie abzeichneten. Da sich dieses Verfahren insbesondere auf zukünftige Regulierungen bezieht, spricht man bei TTIP auch von einem living agreement, welches in erster Linie auf die zukünftigen Gesetzgebungsverfahren zielt, und diese hinsichtlich des Schutzes der Umwelt sowie von Verbraucher- und Arbeitnehmerrechten stark einschränken würde.
Das zweite Filetstück im TTIP-Abkommen für die nordatlantische Kapitaloligarchie ist der Investorenschutz. Es soll eine Investitionsschutzklausel verankert werden, um ausländische Direktinvestitionen vor möglichen legislativen Eingriffen zu schützen. Das Streitschlichtungsverfahren ISDS (investor-to-state dispute settlement), welches hierbei zur Anwendung kommen soll, ist bereits in zahlreichen bilateralen Investitionsverträgen verankert. Eingeführt wurde der Streitschlichtungsmechanismus bereits vor über vier Jahrzehnten, mit dem Ziel, ausländische Direktinvestitionen in Staaten mit schwachem Rechtssystem zu schützen.
Im Zuge von Strukturanpassungsprogrammen in den 1980er Jahren wurde dieser Mechanismus stark ausgeweitet und führte in den 1990er Jahren zu einer regelrechten Explosion der Streitschlichtungsverfahren. Diese Verfahren wurden in großer Mehrheit zu Lasten der politischen Autonomie von Entwicklungs- und Schwellenländern entschieden. Denn die darin festgelegte „faire und gleiche Behandlung“ ist de facto eine Bevorzugung ausländischer Investoren gegenüber heimischen Unternehmen.
Zudem umfasst der Eigentumsbegriff in ISDS nicht nur das materielle Eigentum beispielsweise an Produktionsmitteln, sondern auch zukünftig „erwartete Gewinne“ von Investoren. So hat zum Beispiel die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns in Ägypten zu einer ISDS-Klage des französischen Veolia-Konzerns geführt, der in der Stadt Alexandria für Abfallbeseitigung zuständig ist, und durch die höheren Löhne seine Rendite gefährdet sieht. Argentinien wurde im Zuge der Wirtschaftskrise 2001 insgesamt 41 Mal im Rahmen von ISDS verklagt, unter anderem wegen der Preisgrenzen für Wasser, Gas und Strom, welche das Land zum Schutz der ökonomischen Lage der Bevölkerung einführte.
ISDS ist aber nicht nur aufgrund seines weitreichenden Eigentums- beziehungsweise Enteignungsbegriffs umstritten, sondern ebenso wegen seiner intransparenten, extralegalen Struktur. Jenseits nationaler oder internationaler Gerichtsbarkeit entscheiden ad-hoc-Tribunale in Washington, bestehend aus Vertretern von auf Investitionsrecht spezialisierten Anwaltskanzleien, über Entschädigungssummen. Diese Entscheidungen werden im Geheimen gefällt und sind irreversibel, zudem besteht nur einseitige Klagemöglichkeit seitens der Investoren.
Die finanzielle Strangulierung durch Investorenschutzklagen hat in den vergangenen Jahren in einigen Ländern zu einem Umdenken geführt. Südafrika, Ecuador, Indonesien und Indien lassen bestehende ISDS-Verträge auslaufen und weigern sich, weitere abzuschließen. Brasilien hat noch nie einen solchen Vertrag abgeschlossen, ohne dass dies das Interesse an ausländischen Direktinvestitionen dort gemindert hätte. Daher ist das ISDS-Verfahren für die nordatlantischen Kapitaloligarchien ein wichtiges Instrument im Griff nach weltweiten Markanteilen.
Insbesondere Länder mit einem großen staatlichen Unternehmenssektor und eingreifender Wirtschaftspolitik sind den Eliten der Vereinigten Staaten und Europas daher ein Dorn im Auge. Eine Implementierung von ISDS in TTIP könnte dazu dienen, ISDS-Investorenschutzklauseln entgegen des bestehenden Trends weltweit festzuschreiben. ISDS hat für das eng verwobene europäische und nordamerikanische Kapital innerhalb der US-EU-Handelsbeziehungen wenig Relevanz, daher ist zu vermuten, dass mit TTIP ein Investitionsregime errichtet werden soll, welches auf Märkte von Drittstaaten zielt. Der Blick des nordatlantischen Raumes richtet sich dabei insbesondere auf die BRICS-Staaten, an erster Stelle auf China und Russland.
TTIP gegen den Rest der Welt
Während die USA mit der EU über das transatlantische TTIP-Abkommen verhandeln, finden auf der anderen Seite Verhandlungen der USA und elf Ländern des pazifischen Raums über das Trans-Pazifische Partnerschaftsabkommen (TPP) statt. TPP und TTIP umfassen jeweils die Hälfte des weltweiten BIP und Handelsvolumens, zusammengefasst entstünde mit TPP und TTIP ein Wirtschaftsraum, der gut zwei Drittel des globalen BIP umfasst. Auffällig ist, dass an den Verhandlungen zu beiden Abkommen keines der BRICS-Länder beteiligt ist. Kein Wunder, denn TTIP und TPP richten sich gerade gegen die aufstrebenden Wirtschaftsmächte, insbesondere China und Russland.
Besonders China treibt eine eigene Handels- und Investitionsagenda in Konkurrenz zu den USA und der EU voran. Seit 2012 verhandeln China und weitere Ländern der Region das Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) mit den ASEAN-Mitgliedsstaaten. Im Rahmen der 2013 angekündigten One Belt, One Road-Strategie bemüht sich China zudem um große Infrastrukturprojekte im eurasischen Raum, welche auch durch die von China initiierte Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) finanziert werden sollen. China hat zwar bisher zahlreiche bilaterale Investitionsabkommen unterzeichnet, aber ohne Einschluss des von den USA geforderten umfangreichen Investitionsschutzes.
Für die EU bietet das TTIP-Abkommen die Chance auf Energiesicherheit jenseits von russischem Gas und Öl. Gemeinsam mit der US-Ölindustrie drängen sie in den TTIP Verhandlungen auf die Aufhebung des amerikanischen Exportverbots von Rohöl. Die USA könnten so Öl und Gas auf den Europäischen Markt bringen, und die EU scheint bereit, den höheren Preis dafür in Kauf zu nehmen, um weniger abhängig von Russland zu werden. Hieran zeigt sich auch deutlich, dass die Konflikte innerhalb der TTIP-Verhandlungsgruppen keinesfalls als Intra-Imperialer Konflikt zu verstehen sind.
Die Interessen des eng verflochtenen US-amerikanischen und europäischen Kapitals ergänzen sich vielmehr gegenseitig. Egal, ob es um den Zugang amerikanischer Energiekonzerne zum Europäischen Markt geht, oder um den Abbau von Beschränkungen auf dem amerikanischen Finanzmarkt im Rahmen des Dodd-Frank Acts, stets ist es im Interesse transatlantischer Kapitalfraktionen, diese Hürden zu beseitigen. Vor diesem Hintergrund sollte auch die US-Strategie der Destabilisierung des Verhältnisses Russlands zur Ukraine gesehen werden, nicht nur durch den Versuch, die Ukraine in die NATO einzubinden, sondern auch, um den Zugang zu Ukrainischen Gasfeldern im Schwarzen Meer zu sichern, im „globalen Wettlauf um die letzten Ressourcen“.
TTIP, also die „Wirtschafts-NATO“, wie die ehemalige amerikanische Außenministerin Hillary Clinton das Abkommen einst nannte[1], wird als Garant „gemeinsamer westlicher Werte“ gegen den wachsenden Einfluss Chinas und Russlands verstanden, eine Werte-Rhetorik, die seit der Regierungszeit von George W. Bush bestens bekannt ist. Wenig verwunderlich ist daher, dass sich zur Unterstützung von TPP in den USA kürzlich 17 ehemalige Top-Militärs mit einem Brief an den US-Kongress gewendet haben, darunter die Schlüsselfiguren des Irak-Kriegs Colin Powell, Leon Panetta, Donald Rumsfeld und David Petraeus, um das Vorhaben zu unterstützen: „Was auf dem Spiel steht, sind die enormen strategischen Vorteile, die mit dem Abkommen einhergehen, und entsprechend die schmerzhaften strategischen Nachteile, die mit dessen Scheitern verbunden wären“, schreiben die Militärs Anfang Mai. „Im Asien-Pazifik-Raum sowie im transatlantischen Raum würden sich unsere Partner von uns entfernen. Das Prestige, der Einfluss und die Führungsrolle der USA stehen auf dem Spiel,“ schreiben sie weiter. Entsprechend eindeutig äußerte sich auch der US-Verteidigungsminister Ashton Carter im April 2015: „Die Zeit läuft (…) Für mich ist das TPP genauso wichtig wie ein neuer Flugzeugträger.“
TTIP entspricht also in großen Teilen dem NATO-Block, mit einer Wirtschafts-NATO soll die Isolierung Russlands vorangetrieben werden, TPP ist das ökonomische Pendant der Vereinigten Staaten zur militärischen Strategie der „Hinwendung nach Asien“, welches der Eindämmung des ökonomischen Aufstiegs Chinas dienen soll.
Tiefe Integration im internationalen Wettbewerb
Es wäre zu kurz gedacht, angesichts der Verhandlungen zwischen den USA und der EU sowie der parallel laufenden transpazifischen TPP-Verhandlungen für eine beschleunigte Integration anderer Wirtschaftsräume um jeden Preis zu plädieren. An zwei Länderbeispielen lässt sich aufzeigen, dass eine tiefe Integration Gewinner und Verlierer hervorbringt, diese Beispiele sind Mexiko und Griechenland.
Die tiefe Integration der EU ging einher mit einer weitgehenden Deindustrialisierung weiter Teile der europäischen Peripherie, so auch in Griechenland. Die Wettbewerbspolitik im gemeinsamen Währungsraum ermöglichte es Deutschland, seine Produkte konkurrenzlos günstig auf den Markt zu bringen, was zu enormen Handelsbilanzdefiziten anderer Länder führte. Weite Teile Europas waren daher im Zuge der Krise von 2007/2008 komplett auf Hilfen von außen angewiesen, während die Staatsschulden unaufhörlich stiegen.
Die in diesem Zuge oktroyierte Austeritätspolitik der Europäischen Union in Griechenland folgt demselben Muster, welches bereits im Zuge von „Strukturanpassungsprogrammen“ zahlreichen Entwicklungsländern aufgelegt wurde. Dazu zählen umfangreiche Privatisierung, Einschnitte bei öffentlichen Ausgaben, Deregulierung, sowie die Marktöffnung für transnationale Konzerne.
Die sozialen Folgen dieser politischen Maßnahmen sind verheerend. Seit Einführung der Austeritätsmaßnahmen 2010 in Griechenland durch die Eurogruppe, die Europäische Zentralbank (EZB) und den Internationalen Währungsfonds (IWF) stieg die Arbeitslosigkeit um 190 Prozent an, die Haushaltseinkommen sanken um 30 Prozent und das durchschnittliche Einkommen um 38 Prozent. Die Renten in Griechenland sanken um 45 Prozent, die Löhne um 24 Prozent, während sich die Armutsrate um 100 Prozent steigerte. Inzwischen gibt es in Griechenland 450.000 Haushalte ohne Einkommen, und 3 Million Menschen leben ohne Krankenversicherung.
Mexiko hat vor gut 20 Jahren das Nordatlantische Freihandelsabkommen (NAFTA) mit den USA und Kanada abgeschlossen, ein Vertrag, der dem geplanten TTIP-Abkommen sehr ähnlich ist. Entgegen den optimistischen Voraussagen hatte das Abkommen fatale Auswirkungen auf Mexiko. Während die Armutsquote in Mexiko in den vorgangehenden Jahren nahezu unverändert geblieben war, gingen dort bis zu zwei Millionen Arbeitsplätze im Agrarsektor verloren, davon alleine eine Million in der Maisproduktion.
Die Industrialisierung des Grenzgebietes zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten hat einen riesigen Niedriglohnsektor in Mexiko ermöglicht, in dem mehrheitlich mexikanische Frauen für durchschnittlich 5 US-Dollar am Tag arbeiten. Die Auswirkungen von TTIP auf den Rest der Welt lassen sich übrigens bereits heute beobachten. Kürzlich kündigten Mexiko und die EU an, ihr bestehendes Handelsabkommen zu “modernisieren”, als Vorbild für das neue Abkommen nannte die EU- Handelskommissarin Cecilia Malmström das angestrebte TTIP-Abkommen.
Diese Beispiele verdeutlichen die Gefahren tiefer wirtschaftlicher Integration von Ländern mit ungleichen Bedingungen. Es ist daher zu befürchten, dass eine tiefe Integration beispielsweise der Region Eurasiens unter ähnlichen wettbewerbspolitischen Vorzeichen ähnliche Disparitäten zum Vorschein bringen würde. Dazu zählen eine wachsenden Ungleichheit, ebenso wie es in Europa oder Nordamerika in den vergangenen Jahren der Fall war, die insbesondere zu Lasten von Unter- und Mittelschicht ginge und eine Verschlechterung von Arbeits-, Umwelt- und Lebensbedingungen eines großen Teiles der Bevölkerung mit sich bringen würde.
Um dies zu verhindern, müssten die Rahmenbedingungen solcher regionaler Integrationsprojekte unter anderen Vorzeichen stehen. Vielleicht lohnt sich dafür ja der Blick nach Lateinamerika, wo im Rahmen der „Bolivarianischen Allianz für die Völker unseres Amerika – Handelsvertrag der Völker“ (ALBA-TCP) ein alternatives Wirtschafts- und Handelsabkommen erprobt wird?
In Teilen Europas zeigt sich jedenfalls, dass die Wettbewerbs- und Austeritätspolitik zunehmend soziale Konflikte verschärft und auf entsprechenden Widerstand stößt. Darüber hinaus zeigt sich, dass viele Menschen in Europa mit neoliberaler Handelspolitik nicht einverstanden sind, und deshalb massiv gegen das TTIP-Abkommen protestieren.
[1] Clingendael Policy Brief No. 23, October 2013