Ob man den Klimagipfel als großen Erfolg ansieht oder eher als gescheitert, hängt ganz wesentlich von der Perspektive ab. Unsere ausführliche Einschätzung zu den Ergebnissen von Paris.
Von Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin
Ob man den Klimagipfel als gescheitert ansieht oder nicht, hängt ganz wesentlich von der Perspektive ab, von der aus man dessen Ergebnisse bemisst. Dass ein Großteil der deutschen Zivilgesellschaft und das Gros der Medien die Vokabeln «historisch» und «Erfolg»nennt, hat mit einer stark prozessimmanenten Perspektive zu tun: Sie misst das Gipfelergebnis an dem, was innerhalb der gegebenen klimadiplomatischen Struktur der UN-Klimarahmenkonvention herauszuholen war. Und das ist tatsächlich mehr als in den 20 Jahren davor und mehr als von den meisten erwartet. Erstmals in der Geschichte haben 195 Staaten mit zum Teil extrem widersprüchlichen Interessen einem internationalen Abkommen zugestimmt. Für die meisten überraschend findet sich sogar das 1,5-Grad-Limit im Vertragstext wieder. Aus dieser Perspektive ist das Pariser Abkommen tatsächlich ein großer Erfolg, bei dem bis zuletzt offen war, ob er so realisiert werden könnte. In diesem Sinne haben der französische Außenminister Laurent Fabius und sein riesiges Corps Diplomatique eine diplomatische Meisterleistung hingelegt. Und vor diesem Hintergrund hat die Entscheidung über das Abkommen tatsächlich das nie dagewesenes diskursive Signal in die Welt gesandt, dass der Klimawandel ein solch gravierendes Problem ist, dass dessen Lösung ausnahmslos alle etwas angeht.
Aber reicht das, um die Euphorie angesichts der Pariser Beschlüsse zu rechtfertigen? Auffällig ist, dass die Vokabel «historisch» vielen Gipfelkommentatoren in den vergangenen Tagen synonym mit «erfolgreich» verwendet wurde, und dass aus der Tatsache, dass es überhaupt ein Signal in die Welt gab, allzu rasch das wirksame Signal zu einem Ende der fossilen Ära wurde.
Das ist gefährlich. Denn das Klima wird nicht durch Diplomatie gerettet, sondern dadurch, dass fossile Brennstoffe tatsächlich im großen Stil im Boden bleiben, der Raubbau der Wälder weitestgehend gestoppt wird, dadurch dass die klimaschädliche industrielle Landwirtschaft abgeschafft und der unermessliche Energiehunger dieser Welt drastisch eingedämmt wird. Und all dies innerhalb kürzester Zeit. Kurz: Das Klima wird nur durch effektive Politiken gerettet, die Klimaschutz und Menschenrechte über Profitinteressen und Wohlstandswahrung stellen, nicht durch historische Verhandlungserfolge.
Das 1,5-Grad-Ziel steht zwar im Text, aber es fehlen effektive Maßnahmen
Gerade diese effektiven Politiken stellt das Pariser Abkommen aber nicht in Aussicht. Aus dieser prozessexternen Perspektive ist das Abkommen desaströs. Vor allem ist die gefeierte Erwähnung des 1,5-Grad-Limits in dieser Hinsicht im besten Fall ein Pyrrhussieg, weil es nicht einmal im Ansatz durch Mechanismen und Maßnahmen unterfüttert ist, die dessen Einhaltung garantieren könnten. Mit den vorgelegten freiwilligen Reduktionsverpflichtungen der Staaten, den sogenannten INDCs, wird die Welt das noch verbleibende Emissionsbudget bis zur 1,5-Grad-Marke bereits 2020 erreicht haben. Erst 2018 aber soll es einen ersten Review dieser Ziele geben, das Abkommen überhaupt erst 2020 in Kraft treten. Das ist absurd zu spät, um noch die drastischen Maßnahmen einleiten zu können, die das 1,5-Grad-Limit irgendwie erreichbar erscheinen lassen könnten. Für das 1,5-Grad-Limit kann der vielfach gelobte Ratchen-Mechanismus, innerhalb dessen die Staaten ihre Ziele alle fünf Jahre – erstmals 2023 – anpassen wollen, deshalb kein geeignetes Instrument sein. Das Ziel ist also nur noch rein rechnerisch erreichbar – mit erheblichen «negativen Emissionen». Das heißt, der Atmosphäre müsste massiv Kohlendioxid entzogen werden – sei es durch Aufforstung, durch die Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund (CCS), durch die Kombination von CCS mit Biomasse (BECCS) oder durch die Düngung von Ozeanen, um deren CO2-Aufnahmekapazität zu erhöhen. Diese Technologien aber sind nicht nur im großen Maßstab noch völlig unerprobt und es ist mehr als offen, ob die Kapazitäten reichen würden, um der Atmosphäre die großen Mengen überschüssigen Kohlendioxids wieder zu entziehen. Für BECCS etwa wären laut Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik gigantische Flächen nötig: mehr als die eineinhalbfache Fläche von Indien. Nicht nur, dass dies die Auseinandersetzungen um Zugang zu Land weiter verschärfen würde. Diese Technologie, für die riesige Flächen industriell bewirtschafteter Monokulturwälder (viel Dünger, viele Pestizide) angebaut würden, wäre auch eine ökologische Katastrophe. Und es besteht die Gefahr, dass im Untergrund gespeichertes Kohlendioxid mit der Zeit wieder an die Oberfläche tritt.
Aus der Perspektive des Globalen Südens muss die Pariser Gipfelshow verlogen erscheinen
Realistisch betrachtet heißt das, dass das Abkommen die Verfehlung des 1,5-Grad-Limits in Kauf nimmt. Und das wiederum bedeutet: Es wird bald sehr viel mehr Opfer durch starke Taifune, extreme Niederschläge und dadurch ausgelöste Fluten und Erdrutsche sowie krasse Hitzetage geben. Ohne effektive Maßnahmen werden ganze Landstriche unbewohnbar werden, werden Millionenstädte ihre Trinkwasserversorgung durch Gletscher verlieren und Länder von der Landkarte verschwinden. Das sehenden Auges in Kauf zu nehmen, zugunsten einer globalen Elite, die Profite und Wohlstand aufrechterhalten will, ist nicht nur menschenverachtend. Es ist auch verlogen, einen solchen Vertrag «ambitioniert» zu nennen, so wie es viele der Verhandler_innen in Paris getan haben. Die bloße Nennung eines Ziels kann nicht ambitioniert sein, wenn es nicht einmal im Ansatz erkennen lässt, dass man dessen Erreichung auch ernsthaft anstrebt. Das zeigt, wie losgelöst der klimadiplomatische Diskurs von der Realität ist.
Zugegeben, «menschenverachtend» und «verlogen» sind drastische Vokabeln angesichts eines komplexen jahrelangen Gipfelprozesses mit sehr vielen hart arbeitenden wohlmeinenden Akteuren, ohne die der Prozess nicht so weit gekommen wäre. Aus der Perspektive derjenigen aber, deren Angehörige durch die Klimakatastrophe ums Leben kommen, die ihre Lebensgrundlagen unwiederbringlich verlieren und zu Klimaflüchtlingen werden, bei alldem aber selbst nicht zum Klimawandel beigetragen haben, stellt es sich so dar, wie vor allem Stimmen aus dem Globalen Süden zeigen. Das Bündnis von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern La Via Campesina etwa bezeichnet Paris als einen «Medienzirkus», dessen Maskerade nun gefallen sei und zeige, dass vor allem große Konzerne von dem Abkommen profitieren würden. Indigene sprechen von einem reinen«Handelsabkommen». Lidy Nacpil von der Global Campaign to Demand Climate Justice nennt das Abkommen«unfair» und «absolut inaktzeptabel», die Diskussionen um die 1,5 Grad einen «Hype», da die Welt trotz allem auf mehr als drei Grad Temperaturerhöhung zusteuere. Und sie beklagt, dass die Mainstream-Medien nur das Narrativ wiedergeben würden, das von den reichen Regierungen und Konzernen aufrechterhalten wird, die überhaupt kein Interesse an einer grundlegenden Transformation haben. «Sollten wir jetzt dankbar sein, weil deren Reduktionsversprechen uns auf Kurs setzen für 3, nicht für 6 Grad Erwärmung?» fragt Nacpil.
Und um das Ganze noch abzurunden, hier ein vielleicht erhellendes Zitat aus der Financial Times: «die im privaten geäußerte Einschätzung der britischen Regierung ist, dass die noch letzte Woche laut herausposaunten Beschlüsse des Klimagipfels überhaupt keine politischen Veränderungen nach sich ziehen würden.» Und Neuseeland, ein Mitglied der sogenannten «Koalition der Hochambitionierten», die das Paris Agreement vorantrieb und eintütete, erteilte nicht mal eine Woche nach dem Abschluss der COP neun Öl- und Gasförderbewilligungen.
Auch die Einhaltung des Zwei-Grad-Limits ist fragwürdig
Selbst der renommierte Klimawissenschaftler James Hansen sprach angesichts des Paris-Deals von einem«Betrug». Das Abkommen enthalte nur Versprechen, keine Taten – und Hansen meinte damit nicht einmal das 1,5-Grad-Limit, sondern die Zwei-Grad-Grenze. Es sei «Bullshit», sich ein Zwei-Grad-Ziel zu geben und dann zu versuchen, alle fünf Jahre etwas besser zu werden. Die bisher vorgelegten nationalen Emissionsreduktionsverpflichtungen (INDCs: intended national determined contributions) bringen die Welt im besten Fall – das heißt, für den Fall, dass sie tatsächlich eingehalten werden sollten – auf 2,7-3,5 Grad Erwärmung. Oder, um es anders auszudrücken: Bereits 2037 wird laut Einschätzung des UNFCCC das Emissionsbudget der Welt aufgebraucht sein, mit dem sie das Zwei-Grad-Limit noch einhalten könnte. Auch für das Zwei-Grad-Ziel wird mit den negativen Emissionen gepokert und die Emissionsreduktionen, die tatsächlich nötig wären, um das Limit nicht zu sprengen, bei weitem nicht drastisch genug vorangetrieben.
Es gibt kein klares Signal für das notwendige rasante Ende der fossilen Energien
Das Abkommen ist auch deshalb so schwach, weil es das zentrale Problem des Klimawandels, den enormen Verbrauch fossiler Ressourcen, nicht einmal benennt. 80 Prozent der bekannten fossilen Reserven müssen im Boden bleiben, wenn das Zwei-Grad-Limit nicht gesprengt werden soll. Im eigentlichen Vertragstext aber tauchen die fossilen Brennstoffe nicht ein einziges Mal auf. Der noch auf dem G7-Gipfel gefeierte Begriff der «Dekarbonisierung» ist den Verhandlungen zum Opfer gefallen. Ebenso wird das Gegenstück der Fossilen, die erneuerbaren Energien, gerade einmal in der Präambel des Vertrags erwähnt («In Anerkenntnis der Notwendigkeit, in Entwicklungsländern, vor allem in Afrika, universellen Zugang zu nachhaltigen Energien zu fördern, durch den erweiterten Ausbau erneuerbarer Energien…»).
Die «Dekarbonisierung» wurde durch die gefährliche Formulierung ersetzt, dass die Parteien auf ein ausgewogenes Verhältnis anthropogener Treibhausgase und ihrer Entfernung aus der Atmosphäre durch Senken in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts hinarbeiten werden. Im Gegensatz zu den sehr optimistischen Interpretationen lässt sich daraus leider kein klares Signal für ein schnelles Ende der fossilen Energien herauslesen. Vielmehr setzt das Abkommen in hochriskanter Weise vor allem auf die Karte, dass es künftig im großen Stil möglich sein wird, der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen. Angesichts all dessen stellt sich die Frage: Wo ist das klare Signal für das notwendige rasante Ende der fossilen Ära?
An der Grundlogik des Systems hat sich durch Paris noch nichts geändert
Das Problem dabei ist, dass zur Erreichung des äußerst ambitionierten 1,5-Grad-Limits sowie des Zwei-Grad-Limits ziemlich radikale politische Maßnahmen notwendig wären – vor allem, aber nicht nur, im globalen Norden, der die historische Verantwortung für den Klimawandel trägt.
Um unter 1,5 Grad zu bleiben, müssten tatsächlich die transformatorischen Schritte eingeleitet werden, von denen Angela Merkel so blumig in ihrer Eröffnungsrede zum Gipfel gesprochen hat. Davon ist die real existierende deutsche Wirtschaftspolitik aber weit entfernt ist. Wer mit einer Hand das klimaschädliche TTIP-Abkommen mit verbindlichen Schutzmechanismen für Konzerne vorantreibt, gleichzeitig aber mit anderen Hand wachsweiche Klimaabkommen ohne verbindliche Mechanismen zur Emissionsreduktion produziert, darf sich über Skepsis nicht wundern. (Klimaschädlich ist TTIP einerseits deshalb, weil es globale Handelsströme intensivieren und dadurch die Emissionen aus dem Transportsektor erhöhen wird, andererseits, weil es dazu beitragen wird, Sozial- und Umweltstandards zu unterlaufen werden, die für eine sozial-ökologische Transformation absolut vonnöten sind – siehe zum Beispiel die Klage von Vattenfall im Rahmen des ‘Energy Charter Treaty’ gegen den deutschen Atomausstieg)
Auch angesichts dieser Strukturen wird das Abkommen der Forderung der Klimagerechtigkeitsbewegung nach drastischen Emissionsreduktionen – vor allem in den Ländern des Globalen Nordens – absolut nicht gerecht. Es bewahrt die Ökonomien und Gesellschaften des Globalen Nordens davor, sich grundlegend zu wandeln. Es schützt das Business-as-usual. Und es schiebt die Verantwortung für die radikalen Emissionsreduktionen weit in die zweite Hälfte des Jahrhunderts, in den «Verantwortungsbereich» unerprobter unökologischer Technologien und mittels der weiterhin erlaubten Offset-Mechanismen weit ans andere Ende der Welt.
Das Abkommen bleibt bei der Klimafinanzierung vollkommen unverbindlich
Auch in Bezug auf die zweite wesentliche Forderung der Klimagerechtigkeitsbewegung, die rechtliche Verankerung massiver Finanzflüsse vom Norden in den Süden versagt das Abkommen fast völlig. Wohlgemerkt: Es geht hierbei nicht um die Art von Almosen, die einige Staaten medienwirksam auf dem Gipfel verkündet haben. Es geht um die Begleichung einer historischen Schuld, die moralisch ungleich verbindlicher ist als diejenigen Schuldenberge, die wir aus der Finanz- und Wirtschaftskrise kennen. Konkret geht es darum, den Ländern des globalen Südens eine Transformation jenseits von fossilen Brennstoffen zu finanzieren und die Kosten für die Anpassung an die gravierenden Folgen des Klimawandels zu übernehmen.
Schon die 1992 in Rio verabschiedete UN-Klimarahmenkonvention spricht davon, dass die Vertragsstaaten für die Klimafinanzierung «neue und zusätzliche finanzielle Ressourcen» bereitstellen soll. 2009 in Kopenhagen dann versprachen die Industrieländer ab 2020 mindestens 100 Milliarden Dollar pro Jahr zur Verfügung zu stellen. Viel mehr als dieses Versprechen gibt es auch mit dem Pariser Abkommen nicht. Es «mahnt nur dringend» (strongly urges), dass die Industriestaaten 2020 bis 2025 jährlich 100 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen sollen. Ein konkreter Fahrplan, woher diese Mittel kommen sollen, wer zu welchen Zahlungen verpflichtet ist, fehlt noch immer. Tatsächlich nutzen die Staaten jetzt schon allerlei kreative Buchführungsmittel, um zu zeigen, dass sie bereits 62 Milliarden Dollar pro Jahr zahlen, und argumentieren nun, die neuen Versprechen in Paris beliefen sich auf $94 Mrd. pro Jahr. Kritikern wie Oscar Reyes vom Institute for Policy Studies in Washington zufolge fließen allerdings bislang nur zwei Milliarden Dollar an spezifischer Klimafinanzierung pro Jahr beziehungsweise, wenn man eine großzügigere Definition anlegt, maximal 20 Milliarden Dollar. Nach Schätzungen von Climate Fairshares wären aber 400 Milliarden Dollar pro Jahr nötig. Mit anderen Worten: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine riesige Lücke.
Neben der Übernahme der Klimaschutz- und Anpassungskosten geht es aus Klimagerechtigkeitsperspektive jedoch noch um weitaus mehr: Als historische Verursacher des Klimawandels soll der Globale Norden für die Schäden und Verluste zahlen, die sich nicht mehr vermeiden lassen. Was aber kennzeichnet das Abkommen? Versteckt hinter den wohlstandswahrenden Rockschößen der USA hat sich der reiche Norden komplett gegen jegliche Formulierung im Text gesperrt, die etwas mit Reparationen für Schäden und Verluste, oder gar mit daraus entstehenden Rechtsansprüchen zu tun hat. Die amerikanische Delegation machte deutlich, dass jeder Versuch, derartige Ansprüche in den Text einzufügen, das Abkommen unmöglich machen würden. Zwar hat es das Thema «loss & damage» als eigener Artikel in das Abkommen hineingeschafft. Weder enthält dieser jedoch Rechtsansprüche auf Entschädigung, noch irgendwelche konkreten Finanzzusagen noch überhaupt einen Zeitplan, bis wann es konkrete Zusagen geben soll. Mit anderen Worten: nicht als Versprechungen, Zusagen und Appelle, der Norden im allgemeinen und die USA im Besonderen würden alles tun, um die ärmeren Staaten des Südens zu unterstützen. Mit anderen Worten: Statt auf Gerechtigkeit darf der Globale Süden mit dem Pariser Abkommen nur auf Almosen hoffen.
Und sie bewegt sich doch: die Klimagerechtigkeit(sbewegung) nach Paris
Es hieße jedoch, sich die Sache allzu leicht zu machen, jetzt einfach nur auf dem strukturellen Scheitern des Gipfels zu beharren, ohne ihn darauf abzuklopfen, inwiefern, und auf welchen Ebenen, der Klimaschutz nun doch etwas vorangekommen sei – und ein besonderes Interesse in dieser Hinsicht gilt der Klima(gerechtigkeits)bewegung. Diese hatte im Vorfeld des Gipfels immer wieder darauf beharrt, das «letzte Wort» zum Gipfel zu haben – unter anderem und vor allem, um die Demobilisierung und Frustration zu vermeiden, die nach Kopenhagen eingetreten waren. Teil dieser Bewegungserzählung war es auch, von Anfang an darauf zu bestehen, dass auch im besten Falle – also im Falle eines relativ ambitionierten und gerechten Deals – die Entscheidung darüber, ob die Gipfelbeschlüsse auch wirklich umgesetzt würden, vor allem auf der Straße fallen würde.
Und, hatte sie nun das letzte Wort, die Klimabewegung – dazu noch im Ausnahmezustand, unter dem Paris seit dem 13.11. lag? Hierzu ein längeres Zitat von Pascoe Sabido von Corporate European Observatory, einem der Stars der diesjährigen Bewegungsmobilisierung: «Ich finde nicht, dass wir das letzte Wort hatten, da wir unsere Erzählung nicht in den bürgerlichen Medien verankern, und keine Konfrontation produzieren konnten, die in die Verkündung des Deals hinein interveniert hätte. Aber der Eindruck, den ich zum absoluten Großteil von all denjenigen bekam, die am 12.12. in Paris waren, war der: D12 (der 12. Dezember) war kein Zweck an sich, sondern Mittel zum Zweck einer massiven Eskalation unserer Kämpfe im Jahr 2016… Es wird kein ‘letztes Wort’ geben, nur unsere unausweichliche Kakophonie, die sich überall hin erstrecken, überall die Strukturen der Ungerechtigkeit attackieren wird. Die Saat ist gesät, der Wald wächst. Unsere Aktionen werden 2016 deutlich größer sein, als alle Worte, die in Paris gesprochen wurden.»
Wie aber steht die Bewegung nach Paris dar? Die, um Pascoes Wort aufzugreifen, Kakophonie der zivilgesellschaftlichen Stimmen nach der COP21 lässt zuerst nichts Gutes hoffen. Von den mit Freudentränen überströmten Gesichtern einiger NGO-Kräfte, die sich vor Glück kaum einkriegen konnten, bis hin zur abgeklärten Frustration einer Lidy Nacpil war alles im Angebot. Bedeutet das, dass die Klimabewegung weiter in der unproduktiven Spaltung des letzten Jahrzehnts verharrt, auf einer Seite erklärte GipfeloptimistInnen, auf der andere Seite die SkeptikerInnen?
So langsam kann die Bewegung das auch besser. Ein Beispiel: So unrealistisch die Einhaltung des 1.5-Grad-Limits zurzeit auch ist: Dass diese Zahl im Paris-Abkommen steht, sehen Teile der Klimabewegung auch als einen diskursiven Sieg an. Von den 1,5-Grad-Limit kann auch ein Signal ausgehen, das die Bewegung versucht, so stark wie möglich zu machen – so etwa Kumi Naidoo von Greenpeace International, als er nur wenige Stunden nach Verabschiedung des Pariser Abkommens in Interviews von einem «starken Signal» sprach, dass das Ende des fossilen Zeitalters gekommen sei. In dieser Hinsicht geht es nicht darum, was genau im Vertrag steht, sondern wie es wahrgenommen wird. Diese Aussage ist eher Sprechakt denn Analyse, also eher ein Versuch, eine Realität herzustellen, als sie zu beschreiben. Adressaten sind vor allem die Finanzmarktakteure, die davon überzeugt werden sollen, dass die fossile Ära zu Ende geht.
Darüber hinaus wird die Bewegung die 1,5 Grad auch als politische Waffe nutzen, um die alles entscheidende Auseinandersetzung um die Zukunft fossiler Brennstoffe voranzutreiben. «Jedes Mal, wenn wir in der Zukunft fossile Infrastruktur blockieren», schrieb dazu der Gründer des internationalen Klimanetzwerks 350.org Bill McKibben auf Twitter, «werden wir sagen können: ‘Ihr habt doch 1,5 Grad gesagt'». Weil die weitere Förderung fossiler Ressourcen so absolut unvereinbar mit dem 1,5-Grad-Limit ist, bietet das Pariser Abkommen einen Hebel für die Forderung der Klimabewegung. Wie wirkmächtig dieser Hebel sein wird, wird davon abhängen, wie stark der Druck von unten ist.
Insofern birgt die Erwähnung des 1,5-Grad-Limits zwar einerseits die Gefahr, dass sich einige von der Illusion blenden lassen, dass die Erwähnung des Ziels auch irgendwie dessen Umsetzung berge. Andererseits ist die Erwähnung der 1,5 Grad aber auch ein neuer Pfeil im Köcher der Klimabewegung.
Hier zeigt sich eine zunehmende Reife und strategische Ausdifferenzierung innerhalb der Klimabewegung. Gab es vor einigen Jahren auf der internationalen Ebene vor allem zwei große, im Clinch miteinander liegende Netzwerke – auf der einen Seite das moderate Climate Action Network, auf der anderen Seite das radikale Netzwerk Climate Justice Now! – deren Positionen vor allem vom Verhältnis zum Gipfelprozess bestimmt wurden, sind in den letzten Jahre nicht nur neue internationale Akteure, sondern auch neue internationale Bewegungspolitikfelder entstanden. Ob «Ende Gelände» oder 350.org, ob Greenpeace (nicht neu, aber neuerdings immer mehr in Bündnissen zu sehen) oder die französische Steuerungsgruppe der Coalition Climat 21, die in Paris die Bewegungsaktivitäten organisierte – diese ‘neuen’ Akteure der internationalen Klimapolitik sind nicht mehr an die alten Konfliktlinien gebunden.
Außerdem stellte sich nach Kopenhagen allen Klimabewegungsakteuren die Frage, welche Strategien nun, nach dem offensichtlichen Scheitern der internationalen Klimadiplomatie, notwendig und möglich wären, um das Problem in den Griff zu kriegen. Danach entstanden zum Beispiel die äußerst erfolgreiche Divestment-Kampagen, entstanden internationale Diskussionszusammenhänge zum Thema Energiedemokratie, begannen ungehorsame aktivistische Gruppen, sich global zu vernetzen, um gegen fossile Brennstoffe zu kämpfen.
All diese Kämpfe werden weitergehen, sie werden nach dem, was man aus den Aktivist_innenkreisen hört, in den nächsten Jahren von unten eskaliert werden. Die Bewegung ist größer, reifer und ausdifferenzierter geworden. Und der Pariser Klimagipfel hat sie nicht geschwächt, sondern vermutlich gestärkt.