Vier Monate nach dem Dammbruch bei Mariana wurde in Brasilien ein Vertrag unterzeichnet, der die Entschädigungszahlungen und Aufräumarbeiten regeln soll. Wie immer, der Teufel steckt im Detail.
Von Christian Russau, KoBra
Vier Monate nach dem Dammbruch des Deponiebeckens der Erzminen von Samarco im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais haben der Staat, die betroffenen Bundesstaaten sowie die für Umweltfragen zuständigen Behörden auf Bundes- und Landesebene mit den für den Dammbruch verantwortlichen Firmen ein Abkommen über Entschädigungszahlungen in Höhe von umgerechnet 4,74 Milliarden Euro vereinbart. Es hagelt Kritik, aber es wurden auch interessante Neuerungen über Haftbarmachung der Eigentümerkonglomerate vereinbart. Wie immer, der Teufel steckt im Detail – und im politischen Willen.
Der Vertrag
Vertreter/innen der Firmen Samarco S.A., Vale S.A. und BHP Billion Brasil Ltda. unterzeichneten in Brasília gemeinsam mit Regierungs- und Behördernvertreter/innen das Abkommen. Die von den Behörden für die nächsten zehn Jahre errechneten 20,2 Milliarden sollen die Firmen in eine von ihnen zu gründende Stiftung einzahlen, gestaffelt über einen Zeitraum von zehn Jahren. Damit sollen die entstandenen Schäden für die Familienangehörigen der 19 durch die Schlammwelle Getöteten sowie die Schäden für die Betroffenen, deren Häuser, Ländereien und Güter durch die Schlammlawine zerstört wurden, ersetzt werden. Zudem sollen die hunderttausenden an Menschen entlang der 680 Kilometer der Flussläufe Gualaxo do Norte, Rio do Carmo und Rio Doce entschädigt werden, deren Trink- und Brauchwasser für vieh- und landwirtschaftliche Nutzung durch die Flussverschmutzung unterbrochen worden war, ebenso wie die Tausenden an Kleinfischern sowie die im Tourismus oder anderen Wirtschatssektoren arbeitenden und vom Dammbruch und dessen Folgen betroffenen Menschen entschädigt werden. Der Plan sieht zudem die natürliche Wiederinstandsetzung der auf hunderte Kilometer Länge zerstörten oder verseuchten Flussuferflächen vor.
Strafermittlungen gegen führende Manager wegen Totschlags unberührt
Von den nun beschlossenen Vertragsinhalten unberührt bleiben die laufenden Strafermittlungen und bereits erfolgten Anzeigen gegen führende Manager wegen Totschlags, da Unregelmäßigkeiten wie fehlende Betriebsgenehmigungen, die Nichtbefolgung behördlicher Vereinbarungen sowie die Mutmaßung vorliegen, dass falsche Berechnungen von Meßwerten bei den Dammarbeiten angestellt und die Nutzmengen im Dammbereich den behördlich gestatteten Bereich überschritten – und durch dieses Vorgehen der Tod von Menschen infolge des Dammbruchs billigend in Kauf genommen wurde. Eine schnelle juristische Aufarbeitung wird von Beobachter/innen in Brasilien nicht erwartet.
Gärtners Böcke scharren bereits mit den Hufen
Im Zentrum der zivilgesellschaftlicher Kritik stand die Vertragsunterzeichnung dennoch. Denn – so die investigativen Journalist/innen von Agência Pública, die als erste die geleakten Vertragsinhalte veröffentlichten – die nun für die Entschädigungszahlungen und Aufräumarbeiten zuständige Stiftung, die über den Etat der knapp fünf Milliarden Euro verfügen wird, wird in ihrem Entscheidungsgremieum mehrheitlich von Firmenvertereter/innen geleitet. Die Folge sei, so Agência Pública, dass «die Firmen die Entscheidungsgewalt haben werden, wer entschädigt wird und wie viel jede Person oder Familie erhalten wird». Den Bock zum Gärtner machen? Tepcos Atomhavarie in den Blöcken 1 bis 4 von Fukushima Daiichi und das folgende Schadesnmanagment sind – nun, da sich der fünfte Jahrestag am 11. März nähert – mahnendes Beispiel.
«Besser als zuvor»
Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff sieht das alles rosiger. Anlässlich der Vertragsunterzeichnung sagte sie den Medien, sie sei sich sicher, dass die Firmen «sich ihrer Verantwortung stellen» werden. Brasiliens Umweltministerin, Izabella Teixeira, gestand zwar ein, dass der Vertrag «ungewöhnlich» sei, und es nun vor allem darum ginge darum, sich Glaubhaftigkeit zu erwirken. Der Gouverneur des flussabwärts betroffenen Bundesstaats Espírito Santo, Paulo Hartung, sagte, Ziel des Abkommen sei es, der Bevölkerung des Flusslaufs des Rio Doce einen Fluss zurückzugeben, der «besser als zuvor» sei.
Schwierige Haftbarmachung entlang der Eigentümerverhältnisse
Durch den Vertrag haben die Behörden zumindest eine ansatzweise Neuerung geschafft: Die Frage der Haftbarmachung der verantwortlichen Firmen. Denn: Samarco haftet nur bis maximal zum Eigenkapital, die dahinter stehenden Eigentümerkonglomerate – Vale und BHP – haben jenseits dessen eigentlich keine Nachschusspflicht, wie KoBra schon wiederholt berichtete. So einfach ist die schöne Aktionärswelt: Profitabschöpfung durch Dividenden ist theoretisch nach oben unbegrenzt – die Schadenshaftung nach unten praktisch begrenzt.
Rechtssicherheit hergestellt?
Nun aber, so Präsidentin Rousseff, mit den frisch unterzeichneten Abkommen, sei Rechtssicherheit hergestellt worden. «Es wird eine vollständige Wiederherstellung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und der Umwelt in dem von dem Desaster betroffenen Regionen geben, ohne irgendwelche finanziellen Beschränkungen, bis auch der letzte Schaden vollständig beseitigt ist», so Dilma Rousseff gegenüber den Medien. Und in der Tat: In den Paragraphen 3 und 4 des Vertrags steht, dass im Falle der Notwendigkeit weiterer Mittel zur Wiederherstellung der vorherigen Situation im Katastrophen- und weiteren Einflussgebiet die Verursacherin, also die Samarco S.A., diese zu leisten habe. Falls deren Eigenmittel dazu nicht ausreichten, so steht es in Paragraph 4, werden Vale S.A. und BHP Billiton Brasil Ltda. die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen.
In der Tat ein juristisches Novum, wenn juristische Eigentümer/innen von Aktionärsgesellschaften durch einen Vertrag haftbar gemacht werden. Es war der öffentliche und politische Druck, der zur Unterzeichnung dieses in der Tat als «ungewöhnlich» zu bezeichnenenden Vertrags führte. Doch, wie es die Formulierung der Umweltministerin Izabella Teixeira, es gehe nun vor allem darum, sich Glaubhaftigkeit zu erwirken, ungewollt nahelegt, der Teufel steckt in den Details. Denn die gleichsam theoretisch unbegrenzte Haftbarmachung der Samarco-Eigentümerkonglomerate, Vale und BHP Billiton, wie Präsidentin Rousseff sie postuliert, bedarf einer genaueren Betrachtung.Sollten die Kosten die bisher eingeplanten 20 Milliarden Reais, also umgerechnet kanpp fünf Millionen Euro, übersteigen, so müssten dem jetzt geschlossenen Vertrag zufolge Vale S.A. und BHP Billion Brasil Ltda. die entsprechend fehlenden Beträge nachschiessen. Ruft man sich in Erinnerung, dass die (halbwegs zufriedenstellende) Säuberung der industriellen Rheinverschmutzung und die schamhaften Ansätze zur Renaturierung von Deutschlands größtem Fluss in den vergangenen 50 Jahren bereits 100 Milliarden Euro gekostet haben, so wird leicht einsichtig, was man beim Rio Doce an Kosten zu erwarten hat, will man der Bevölkerung des Flusslaufs des Rio Doce einen Fluss zurückgegeben, der «besser als zuvor» ist. Angesichts Vales kürzlich eingeräumten Milliardenverlusts eine doch eher bedenklich stimmende Zukunftsaussicht. Hinzu kommt das pikante Detail, dass BHP Billiton, mit Sitz im australischen Perth, offenbar so schlau war, in den Vertragstext als verantwortliche Firma nicht die Mutterfirma, sondern die Tochterfirma in Brasilien, BHP Billiton Brasil Ltda. einzutragen. Ltda steht für «Limitada», also Gesellschaft mit (nur) beschränkter Haftung. Manche Böcke sind vielleicht doch gerissener als des Gärtners Plan.
Der Dammbruch bei Mariana vom 5. November hat die weltweit größte Bergwerkskatastrophe aller Zeiten ausgelöst: Laut der US-amerikanischen Consulting Bowker & Associates stellen die dort durch den Dammbruch freigesetzten 62 Millionen Kubikmeter Klärschlamm, die auf nahezu 700 Kilometer verseuchte Flusslandschaft sowie die Schäden von mindestens umgerechnet 4,74 Milliarden Euro den traurigen Dreifach-Negativweltrekord in der Geschichte des Bergbaus.
Fotos: Gerhard Dilger