Zur Situation und Entwicklung in Lateinamerika in den Jahren 2015/2016
In Brasilien hat sich im April eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus, das als das konservativste seit 2002 gilt, für die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Präsidentin Dilma Rousseff ausgesprochen. Die endgültige Entscheidung fällt nun mit der Abstimmung im Senat. Die gegen die Präsidentin erhobenen Vorwürfe sind nach Ansicht vieler politischer Beobachter wenig stichhaltig. Es geht hier nur vordergründig um die angebliche Verstrickung von Rousseff in den Petrobras-Korruptionsskandal. Hinter der von den Medien wie auch Teilen des Justizapparates geführten Kampagne gegen sie und die regierende Arbeiterpartei (PT) steht die neoliberale Opposition. Es handelt sich bei dieser koordinierten Aktion um einen konstitutionellen Staatsstreich. Brasilien durchlebt derzeit eine tiefe politische und moralische Krise.
In Argentinien konnte sich beim zweiten Wahlgang am 22. November 2015 der Konservative Mauricio Macri gegen den Nachfolgekandidaten der bisherigen Präsidentin Cristina Kirchner, Daniel Osvaldo Scioli, mit 51,4 Prozent durchsetzen (das heißt, er erhielt 700.000 Stimmen mehr als Scioli). In Venezuela unterlag am 6. Dezember 2015 die Vereinigte Sozialistische Partei (PSUV) erstmalig seit dem Regierungsantritt von Hugo Chávez 1999 ihren politischen Gegnern, vereint in der Partei «Tisch der Demokratischen Einheit» (MUD). Diese konnte bei der Parlamentswahl eine Zweidrittelmehrheit erringen. Damit erlitten der Chavismus und der noch derzeit amtierende Staatspräsident Nicolás Maduro von der PSUV eine herbe Niederlage.
Auch in Bolivien und Ecuador stehen die Präsidenten Evo Morales und Rafael Correa unter starkem Druck, der sowohl von indigenen und linken sozialen Bewegungen als auch von rechten Kräften ausgeht, bei denen es zum Teil inhaltliche Übereinstimmungen gibt. Kritischen Stimmen und Kräften wird teilweise von Regierungsseite mit Gewalt begegnet. In Ecuador mobilisieren Mittelschichten und Rechte gegen ein vorgesehenes Gesetz zur Änderung der Erbschaftssteuer (von der geplanten Erhöhung wäre ein Prozent der Bevölkerung betroffen). In einem in Bolivien mit Spannung erwarteten Referendum zu einer Verfassungsänderung am 21. Februar 2016, die dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten eine weitere Amtszeit ab 2019 ermöglichen sollte, votierten 51,3 Prozent mit Nein (bei einer Wahlbeteiligung von 84,5 Prozent). Anhaltend hohe Popularitätswerte für linke Staatspräsidenten und Regierungsparteien in lateinamerikanischen Ländern scheinen der Vergangenheit anzugehören.
Dieter Boris (2015) hat in seinem Artikel «Linksregierungen in der Defensive» festgestellt, dass es komplexer Erklärungen und einer historisch-materialistischen Analyse bedarf, um das «Neuland» Linksregierungen in Lateinamerika und die damit verbundenen Entwicklungen adäquat zu erfassen. Bis 2013 verfügten diese Regierungen über beträchtliche Sympathien in der Bevölkerung, danach jedoch wuchsen Unzufriedenheit und «Unmutspotenziale», sodass zunächst nach den Ursachen hierfür zu fragen ist, bevor wir uns den Zukunftsaussichten des um das Jahr 2000 herum begonnenen Transformationsprozesses zuwenden. In Lateinamerika wird diese Auseinandersetzung schon länger intensiv und durchaus konfrontativ ausgetragen. Wir sollten uns darum bemühen, diese Debatte mit und nicht gegen unsere Partner vor Ort zu führen, und dabei eine eurozentristische Haltung vermeiden.
Jörg Goldberg (2015: 230) zufolge weist «der Kapitalismus Lateinamerikas Züge auf […], die ihn von kapitalistischen Gesellschaftsformen in anderen Teilen der Welt unterscheiden». Er nimmt eine periphere Stellung im kapitalistischen Weltsystem ein und ist von den Zentren (USA, Westeuropa, Japan) abhängig. Kolonialismus, Ausbeutung und Rohstofflieferant sind Faktoren, die der lateinamerikanischen Peripherie den Kapitalismus aufgezwungen haben. Mit der neoliberalen Offensive in den 1980er und 1990er Jahren wurde Lateinamerika stärker in den globalisierten Kapitalismus eingebunden. Traditionelle Strukturen wurden aufgebrochen, die Rohstoffexporte verstärkt, die zeitweise erreichte Industrialisierung wurde abgebremst, der Einfluss des Auslandskapitals durch umfassende Privatisierungen erhöht und bestimmte Sektoren der Bourgeoisie wurden stärker in die vom Finanzkapital dominierte Weltwirtschaft integriert. Neoliberale Politik verstärkte die sozialen Ungleichheiten und vertiefte die sozialen Gegensätze zwischen Arm und Reich.
In Argentinien konnte sich beim zweiten Wahlgang am 22. November 2015 der Konservative Mauricio Macri gegen den Nachfolgekandidaten der bisherigen Präsidentin Cristina Kirchner, Daniel Osvaldo Scioli, mit 51,4 Prozent durchsetzen (das heißt, er erhielt 700.000 Stimmen mehr als Scioli). In Venezuela unterlag am 6. Dezember 2015 die Vereinigte Sozialistische Partei (PSUV) erstmalig seit dem Regierungsantritt von Hugo Chávez 1999 ihren politischen Gegnern, vereint in der Partei «Tisch der Demokratischen Einheit» (MUD). Diese konnte bei der Parlamentswahl eine Zweidrittelmehrheit erringen. Damit erlitten der Chavismus und der noch derzeit amtierende Staatspräsident Nicolás Maduro von der PSUV eine herbe Niederlage.
Auch in Bolivien und Ecuador stehen die Präsidenten Evo Morales und Rafael Correa unter starkem Druck, der sowohl von indigenen und linken sozialen Bewegungen als auch von rechten Kräften ausgeht, bei denen es zum Teil inhaltliche Übereinstimmungen gibt. Kritischen Stimmen und Kräften wird teilweise von Regierungsseite mit Gewalt begegnet. In Ecuador mobilisieren Mittelschichten und Rechte gegen ein vorgesehenes Gesetz zur Änderung der Erbschaftssteuer (von der geplanten Erhöhung wäre ein Prozent der Bevölkerung betroffen). In einem in Bolivien mit Spannung erwarteten Referendum zu einer Verfassungsänderung am 21. Februar 2016, die dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten eine weitere Amtszeit ab 2019 ermöglichen sollte, votierten 51,3 Prozent mit Nein (bei einer Wahlbeteiligung von 84,5 Prozent). Anhaltend hohe Popularitätswerte für linke Staatspräsidenten und Regierungsparteien in lateinamerikanischen Ländern scheinen der Vergangenheit anzugehören.
Dieter Boris (2015) hat in seinem Artikel «Linksregierungen in der Defensive» festgestellt, dass es komplexer Erklärungen und einer historisch-materialistischen Analyse bedarf, um das «Neuland» Linksregierungen in Lateinamerika und die damit verbundenen Entwicklungen adäquat zu erfassen. Bis 2013 verfügten diese Regierungen über beträchtliche Sympathien in der Bevölkerung, danach jedoch wuchsen Unzufriedenheit und «Unmutspotenziale», sodass zunächst nach den Ursachen hierfür zu fragen ist, bevor wir uns den Zukunftsaussichten des um das Jahr 2000 herum begonnenen Transformationsprozesses zuwenden. In Lateinamerika wird diese Auseinandersetzung schon länger intensiv und durchaus konfrontativ ausgetragen. Wir sollten uns darum bemühen, diese Debatte mit und nicht gegen unsere Partner vor Ort zu führen, und dabei eine eurozentristische Haltung vermeiden.
Jörg Goldberg (2015: 230) zufolge weist «der Kapitalismus Lateinamerikas Züge auf […], die ihn von kapitalistischen Gesellschaftsformen in anderen Teilen der Welt unterscheiden». Er nimmt eine periphere Stellung im kapitalistischen Weltsystem ein und ist von den Zentren (USA, Westeuropa, Japan) abhängig. Kolonialismus, Ausbeutung und Rohstofflieferant sind Faktoren, die der lateinamerikanischen Peripherie den Kapitalismus aufgezwungen haben. Mit der neoliberalen Offensive in den 1980er und 1990er Jahren wurde Lateinamerika stärker in den globalisierten Kapitalismus eingebunden. Traditionelle Strukturen wurden aufgebrochen, die Rohstoffexporte verstärkt, die zeitweise erreichte Industrialisierung wurde abgebremst, der Einfluss des Auslandskapitals durch umfassende Privatisierungen erhöht und bestimmte Sektoren der Bourgeoisie wurden stärker in die vom Finanzkapital dominierte Weltwirtschaft integriert. Neoliberale Politik verstärkte die sozialen Ungleichheiten und vertiefte die sozialen Gegensätze zwischen Arm und Reich.
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