Eine kriminelle Vereinigung

Oberster Gerichtshof Chiles verurteilt drei Colonia-Führungsmitglieder zu Haftstrafen

Vom Forschungs – und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V.
Siebzehn Jahre nach dem Einreichen einer Strafanzeige wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung hat der chilenische Oberste Gerichtshof gestern das letztinstanzliche Urteil verkündet: Drei ehemalige Führungsmitglieder der Colonia Dignidad und zwei Mitglieder des chilenischen Geheimdienstes DINA wurden zu jeweils fünf Jahren und einem Tag Haft verurteilt. Vier weitere Mitglieder der deutschen Sekte wurden freigesprochen. Diese hatten den Anführer Paul Schäfer von 1997-2005 in seinem Leben im Untergrund in Argentinien begleitet und unterstützt.
Der Oberste Gerichtshof erhöhte in seinem Urteil die in erster und zweiter Instanz verhängten Haftstrafen von vier Jahren um eines auf fünf Jahre. In den nächsten Tagen wird daher Karl van den Berg – ehemaliges Führungsmitglied der Colonia Dignidad und holländischer Staatsbürger – seine Haftstrafe im Gefängnis von Cauquenes antreten müssen. Dort befinden sich die nun mit ihm verurteilten Kurt Schnellenkamp und Gerhard Mücke bereits in Haft, aufgrund einer Verurteilung aus dem Jahr 2013 wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch. Auch die nun verurteilten DINA-Agenten Pedro Espinoza Bravo und Fernando Gómez Segovia befinden sich bereits in Haft. Sie sitzen im Sondergefängnis für Militärs Punta Peuco in Santiago ein.

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Hartmut Hopp (hier im Gespräch mit Diktator Augusto Pinochet) hat sich diesem und weiteren chilenischen Verfahren durch Flucht nach Deutschland entzogen. Er lebt straflos in Krefeld

Ursprünglich hatte Richter Jorge Zepeda im April 2006 achtzehn Personen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Darunter waren 14 Bewohner der Colonia Dignidad und 4 Führungsmitglieder der DINA. Während der langen Verfahrensdauer verstarben sechs der Angeklagten. Drei entzogen sich dem Verfahren durch Flucht nach Deutschland (Hartmut Hopp, Hans Jürgen Riesland und Albert Schreiber, letzterer inzwischen verstorben). Der ehemalige DINA-Agent Armando Fernández Larios lebt heute in einem Zeugenschutzprogramm in den USA.
Das gestrige letztinstanzliche Urteil belegt eindeutig und juristisch unanfechtbar was schon seit vielen Jahren bekannt ist: Führungsmitglieder der Colonia Dignidad bildeten gemeinsam mit Agenten des chilenischen Geheimdienstes DINA sowie weiteren Personen eine kriminelle Vereinigung, die hierarchisch organisiert war und jahrzehntelang systematisch geplante Verbrechen beging. Zu diesen Verbrechen gehörten das Entführen, Foltern und Ermorden von Gegner_innen der chilenischen Militärdiktatur, die Herstellung von und der Handel mit Kriegswaffen, das Ruhigstellen von Sektenmitgliedern durch Psychopharmaka und Elektroschocks (schwere Körperverletzung) und der sexuelle Missbrauch.
Die Colonia Dignidad und die DINA kooperierten eng. Beispielsweise installierten Sektenmitglieder die Funkanlagen in verschiedenen DINA-Dependancen. Auf dem Gelände der Siedlung wurden Folter- und Sprengstoffkurse für chilenische Agenten abgehalten. Die Colonia betrieb zudem ein umfangreiches geheimdienstliches Archiv, das 2005 bei Ausgrabungen gefunden wurde.
Opfervertreter und Menschenrechtsanwälte zogen nach der Verkündung des Urteils eine gemischte Bilanz. Myrna Troncoso von der Angehörigenorganisation der Verschwundenen (AFDD) sagte: „Dies ist ein immens wichtiges Urteil, das leider sehr spät kommt. Die chilenische Justiz hat bislang nur die Spitze des Eisbergs der Verbrechen der Colonia Dignidad untersucht und bis heute kennen wir nocht nicht einmal die Namen derjenigen, die in der Colonia Dignidad ermordet wurden.
Wir wissen noch immer nicht, welche unserer Angehörigen dort ermordet wurden und wer sie umgebracht hat.“ Rechtsanwalt Hernán Fernández, der seit zwanzig Jahren Opfer der Colonia Dignidad vertritt äußerte: „Dutzende Verbrechen der Colonia Dignidad wurden bis heute nicht untersucht. Alle Taten müssen von der chilenischen und deutschen Justiz aufgeklärt und die Verantwortlichen bestraft werden. Dass Täter der Colonia Dignidad wie Hartmut Hopp heute in Deutschland straflos leben ist ein Skandal. Wir erwarten, dass auch die deutsche Justiz endlich ernsthaft ermittelt.“
Hartmut Hopp war im Jahr 2011 vor der chilenischen Justiz nach Deutschland geflohen. Seitdem ermittelt die Staatsanwaltschaft Krefeld gegen Hopp wegen seiner möglichen Beteiligung an der Ermordung von chilenischen Diktatur-Gegnern, der Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Kindern und der schweren Körperverletzung durch medizinisch nicht indizierte Verabreichung von Psychopharmaka zur Ruhigstellung von Bewohnern der Colonia Dignidad. Eine Anklage wurde bislang nicht erhoben.
Parallel dazu hatte die chilenische Justiz 2014 beantragt, eine in Chile rechtskräftig gegen Hopp verhängte fünfjährige Freiheitsstrafe in Deutschland zu vollstrecken. Gegenwärtig prüft das Krefelder Landgericht diesen Antrag. Die überfällige Entscheidung wird in Chile und Deutschland mit Spannung erwartet.  Sie könnte das Ende der in Deutschland herrschenden faktischen Straflosigkeit führender Mitglieder der Colonia Dignidad einläuten.
Foto: FDCL