Von Klaus Ehringfeld
Sergio Catrilaf sucht sichtlich nach einer diplomatischen Formulierung. Doch was er dann sagt, hat mit bedachten Worten wenig zu tun: „Der Papst will doch hier vor allem seine Evangelisierungsmission fortsetzen“, kritisiert der Indígena und macht deutlich, dass er dem Besuch des Oberhauptes der katholischen Kirche am Mittwoch in der chilenischen Mapuche-Region nicht viel abgewinnen kann.
Catrilaf gehört zu den Mapuche-Führern, die die katholische Kirche an der Seite der Mächtigen und der Regierungen sieht und nicht an der Seite der Indígenas, die seit Jahrhunderten unterdrückt werden. Die Kirche vertrete wie weite Teile der Bevölkerung des südamerikanischen Landes die Auffassung, dass die Mitglieder indigener Gemeinschaften in Chile „Terroristen“ sind, moniert der 41-Jährige. Das ist eine unter den Mapuche weit verbreitete Auffassung, wird aber nicht von allen geteilt.
Noch rund 1,5 Millionen Mapuche leben in Chile, sie machen rund zehn Prozent der Bevölkerung aus. Unter ihnen ist die Armut dreimal höher als unter dem nichtindigenen Teil der Bevölkerung. Und in ihrem Kernland in der Araukanie gehören ihnen nur 15 Prozent des Landes.
In der grünen und rohstoffreichen Region, etwa 700 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago de Chile, geben die Nachfahren deutscher und schweizerischer Einwanderer den Ton an. Sie wurden Ende des 19. Jahrhunderts gezielt angeworben, um den rauen Süden zu besiedeln. Dafür erhielten sie vom Staat Landtitel.
Oft waren die Territorien aber Gebiete, von denen die Mapuche vertrieben worden waren. Den Nachfahren der Einwanderer gehören noch heute die meisten Unternehmen, Ländereien sowie Eukalyptus- und Kiefernplantagen. Doch seit einigen Jahren setzen sich die Mapuche vehement für ihre Rechte ein, fordern die Rückgabe von Territorien und wollen Selbstbestimmung. Ein explosives Gemisch. Zumal sie nicht nur juristisch und politisch streiten, sondern auch Straßen sperren, Lkw und Busse in Brand setzen. Auch Kirchen brennen.
Catrilaf droht neue Untersuchungshaft
Experten sagen jedoch, dass die Mapuche bestenfalls für die Hälfte der Taten verantwortlich sind, bei der anderen Hälfte steckten „interessierte Kreise“ dahinter, die den Konflikt im Süden Chiles noch mehr anzuheizen wollen. Der Politologe Claudio Fuentes, der zu den Mapuches geforscht hat, berichtet von Sicherheitskräften, die nebenbei für Unternehmen und Großgrundbesitzer arbeiten und gegen die Mapuche vorgehen. Auch Polizei und Justiz wenden das noch aus der Diktatur stammende „Antiterrorgesetz“ auf verdächtige Mapuche an und stecken sie ohne Anklage oft mehrere Monate lang ins Gefängnis. Sergio Catrilaf kann davon erzählen. In seiner Hütte hängt ein Foto von ihm selbst. Darauf steht: „Freiheit für Catrilaf“.
Das Bild stammt aus der Zeit, als der Mapuche-Führer wegen des Verdachts der Verwicklung in den Mord an Werner Luchsinger und seiner Frau Vivian MacKay im Knast saß. Das Ehepaar, Besitzer großer Ländereien in der Mapuche-Region, verbrannte im Januar 2013 in seinem Haus nach einer Brandstiftung. Kurz danach rückten Mapuche als Täter in den Fokus von Polizei und Justiz. Catrilaf und zehn weitere Indígenas wurden festgenommen und erst Ende Oktober aus der U-Haft entlassen, weil die Justiz keine Beweise für ihre Schuld sah. Inzwischen hat ein Revisionsgericht das Urteil kassiert und zurückverwiesen. Sergio Catrilaf droht neue Untersuchungshaft.
In diesem aufgeheizten Ambiente will der Papst vermitteln. Aber die Mehrheit der Chilenen hält – ähnlich wie Sergio Catrilaf – Papst Franziskus’ Abstecher in die Araukanie für keine so gute Idee. In einer Umfrage des Radiosenders „Cooperativa“ äußerten sich Mitte November 85 Prozent der Hörer skeptisch – der Besuch des Papstes werde den Konflikt eher anheizen als entschärfen.
Der sozialistische Präsident Salvador Allende gab Anfang der 1970er Jahre 700 000 Hektar Land an die Mapuche zurück, doch nach dem Pinochet-Putsch 1973 drehte sich das Rad in die andere Richtung. Die Gebiete wurden wieder konfisziert und den Mapuche der Status einer ethnischen Minderheit aberkannt. Später drängten mit der neoliberalen Öffnung des Landes ausländische Investoren besonders auf das von den Indigenen beanspruchte Terrain. Trotz Demokratie setzt sich diese Politik bis heute fort. Und diesen alten Konflikt will der Pontifex lösen?
Franziskus wird am Flughafen von Temuco eine Messe feiern und anschließend mit Autoritäten essen. „Dabei werden auch ein Lonco und eine Machi sein“, hebt Isolde Reuque hervor, zwei traditionelle Autoritäten der Mapuche. „Sie werden dem Papst unsere Nöte vortragen“, versichert die Koordinatorin der Pastorale, die vom Essener Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt wird.
Andere Mapuche setzen anscheinend nicht auf Dialog. Mitte November stoppten Vermummte 80 Kilometer nördlich von Temuco einen Bus, verjagten Passagiere und Fahrer und steckten das Fahrzeug in Brand. Laut lokalen Medienberichten fand sich in der Nähe ein Bekennerschreiben. „Feuer für die Kirchen – Du bist nicht willkommen in der Araucanía, Papst Franziskus“ und „Freiheit für die Mapuche-Gefangenen – Politiker raus“.
Wenn man Isolde Reuque darauf anspricht, verdreht sie die Augen. „50 Prozent der Gewaltakte werden von Mapuche verübt, 50 Prozent nicht“, sagt sie. Aber wer steckt hinter der anderen Hälfte der Taten? Reuque formuliert vorsichtiger: „Diejenigen, die ein Interesse an der Verschärfung des Konflikts haben und die Ureinwohner als Gewalttäter darstellen wollen.“
Sergio Catrilaf wird nicht zur Messe des Papstes gehen, sagt er. „Aber wenn ich 15 Minuten hätte, um mit ihm alleine zu sprechen, würde ich ihm sagen, was die katholische Kirche hier alles falsch gemacht hat.“
Foto: Klaus Ehringfeld