Luiz Inácio Lula da Silva propagierte stets die Illusion einer Versöhnung der brasilianischen Gesellschaft: eine Verringerung der Armut, ohne die Privilegien der Reichen anzutasten. Diese Illusion lässt sich nicht weiter aufrechthalten
Von Eliane Brum, Heinrich-Böll-Stiftung/El País
Ich erinnere mich an zwei Szenen der Versöhnung, die Lula in Brasilien im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts propagierte. Für die erste, die sich während des Präsidentschaftswahlkampfes 2002 abspielte, gibt es nur drei ZeugInnen und eine dieser ZeugInnen bin ich. Es ist eine kleine Szene, die für mich jedoch immer von großer Bedeutung war, denn ich glaube zwar weder an Gott noch an den Teufel, wohl aber daran, dass sich beide im Detail zeigen. Ich interviewte damals eine Frau aus der Elite São Paulos, die mit einem der wichtigsten dortigen Unternehmer liiert war. Gemeinsam hatten die beiden entscheidenden Einfluss darauf, dass Lula mit dem Teil dieser Elite, der dazu bereit war, Gespräche führte.
So gewann er – nach drei Niederlagen in Folge – wesentliche Unterstützung für den Sieg der Arbeiterpartei PT im Jahr 2002. Diese Unterstützung fand ihren Widerhall in seinem „Brief an das brasilianische Volk“ („Carta o povo brasileiro“), in dem Lula sich nicht dem Volk sondern den Märkten gegenüber verpflichtete, an den grundlegenden Linien der Wirtschaftspolitik festzuhalten. Es darf auch nicht vergessen werden, dass Lula bei dieser Wahl Anzüge von Ricardo Almeida trug und in den Salons der Elite São Paulos ein oft gesehener Gast war – eine goldene Tür, die ihm Marta Suplicy, heute Mitglied der (Partei) der Brasilianischen Demokratischen Bewegung, (P)MDB, öffnete. Und er war dort nicht nur ein häufiger Gast sondern auch einer, der zu gefallen wusste. Lula wurde eine Art Popstar für Millionäre, die sich für aufgeklärt, unternehmerisch, modern und kosmopolitisch hielten. Da war etwas Verführerisches an diesem Arbeiter und Gewerkschaftsführer, der ihnen so zugeneigt war.
Und es gab in Brasilien einen zunehmenden sozialen Druck. Nach der durch die Rückkehr zur Demokratie hervorgerufenen Euphorie erlebte das Land die Amtsenthebung Fernando Collors mit den Demonstranten, den sogenannten „Carapintadas“ („Bemalte Gesichter“), auf den Straßen sowie das Ende der zweiten, ziemlich schwierigen Amtszeit von Fernando Henrique Cardoso von der Partei der Brasilianischen Sozialdemokratie (PSDB). Weiter…