Laura Flanders im Gespräch über neuen Feminismus, die von Donald Trump ausgehende Gefahr und die Wiederbelebung des Sozialismus
nd: Sie waren in Griechenland und in Deutschland unterwegs auf der Suche nach positiven Beispielen für Transformationen hin zu einer neuen Politik. Was haben Sie mitgenommen?
Laura Flanders: Am meisten inspirierten mich die migrantischen Frauen. Bei der solidarischen Gesundheitsversorgung oder den Lebensmittelkooperativen, die ohne ZwischenhändlerInnen Lebensmittel verkaufen, macht sich Resignation, Frust und Ernüchterung breit. Aber bei den migrantischen Frauen spürte ich eine beständige Energie und einen großen Gestaltungswillen. Es war beeindruckend zu sehen, wie Griechen und Griechinnen beim Zusammentreffen mit Migranten und Migrantinnen wieder selber aktiv wurden. Die Kreativität, die sich entfaltet, wenn man gezwungen ist, sein Leben komplett neu zu organisieren, hat eine große Strahlkraft, von der sich selbst die ernüchterte Linke inspirieren lässt.
Ich nehme auch eine weitere griechische Erfahrung mit, nämlich dass wir eine andere Art von Macht an der Basis aufbauen müssen. Das gilt auch für Deutschland. Es geht nicht nur um einen Machtwechsel an der Spitze – wir müssen ganze Systeme sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen von unten verändern.
Wie soll das gehen?
Ich denke, es geschieht bereits. Die Menschen in den Lebensmittelkooperativen in Athen etwa unterstützen mit ihren erwirtschafteten Profiten kleine Gemeinschaftsprojekte. Die Menschen, die sich in der selbst organisierten Gesundheitsversorgung engagieren, nehmen einfach ihre Angelegenheiten selber in die Hand. Es gibt keinen Masterplan, aber doch immer mehr Experimente, die zwar zunächst oft Reaktion auf ein konkretes Bedürfnis sind, aber dann doch auch auf eine umfassendere Agenda verweisen. Wir müssen neue Wege finden, um auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft besser eingehen zu können. Dann wird auch dieses neue, von unten nach oben verlaufende Modell gesellschaftlicher Transformation in seinen Umrissen erkennbar.
Laura Flanders, Jahrgang 1961, ist eine britische Journalistin, die in den USA lebt und dort wöchentlich The Laura Flanders Show präsentiert. In ihrer Fernsehsendung berichtet sie seit 2008 über Beispiele neuer und progressiver Politikformen. Mit Flanders sprach Johanna Bussemer, Referatsleiterin des Referats Europa der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Mitarbeit: Dorit Riethmüller, RLS-Projektmanagerin. Video des Interviews: hier.
Welche Rolle spielt dabei die aufkommende Frauenbewegung, die in diesem Jahr weltweit gegen neue Formen des Autoritarismus auf die Straße gegangen ist?
Ich kann über die großen Proteste in den USA sprechen. Was da am Tag nach der Amtseinführung von Donald Trump passierte, war einfach aufregend. Wir hatten immer linken Widerstand, bei dem es vorrangig um andere Themen ging und dem andere Leute vorstanden. Aber diesmal standen Frauen an der Spitze des Widerstands. Das ist dieser neue Feminismus, der sagt: Wir sind nicht bloß Anhängsel, wir sind das zentrale Thema.
Was meinen Sie mit »Anhängsel«?
Ich beschreibe es gerne so: Frauen erfüllen in der Gesellschaft eine ähnliche Funktion wie damals die Kanarienvögel im Kohlebergwerk – wir sind eine Art Frühwarnsystem. Frauen auf der ganzen Welt haben als Stoßdämpfer für den Neoliberalismus fungiert, denn unsere Arbeitstage sind länger, wir leisten mehr Haus- und Pflegearbeit. Deshalb kompensieren wir das Schrumpfen des Staates und federn in der ganzen Welt Sparprogramme ab. Wir stellen das soziale Gefüge her und dieses ist aktuell sehr schwach, weswegen Frauen an vorderster Front sein müssen. Und die gibt es. Sie sagen: So geht es nicht weiter.
Sind Sie nicht auch besorgt über die Entwicklungen zum Beispiel in den USA?
Ja, das bin ich. Denn In den USA gibt es ernst zunehmende Sorgen, um die sich niemand kümmert. Die Menschen spüren, dass der ihnen versprochene Amerikanische Traum für sie unerreichbar ist, dass ihre Schulen nicht gut sind, ihre Jobs ins Ausland abwandern, ihre Gesundheitsversorgung katastrophal ist, sie von Opiaten abhängig sind.
Während das eine Realität ist, um die sich die Linke auch kümmern muss, ist Donald Trump dabei, einen Mob aufzuhetzen, indem er alte, wohlbekannte Knöpfe drückt und die Schuld den MigrantInnen gibt, dem Islam, schwarzen Menschen, Frauen – und es funktioniert. Und das ist beängstigend, denn intellektuell weiß ich: Das ist nichts neues. Aber es fühlt sich anders an. Und ich frage mich: Was, wenn er in der Lage ist, einen Mob zu organisieren, der demokratisch gefällte Entscheidungen einfach nicht akzeptiert?
Woran machen Sie das fest?
Ich konstatiere seit der Wahl einen Anstieg der Gewalt gegen Muslime, gegen Frauen, die den Tschador tragen, oder einfach gegen Menschen, die für Muslime gehalten werden, überall im Land. Ich bemerke, dass Leute auf der Straße eine Sprache verwenden, die ich vorher nie gehört hatte. In vielen Städten – nicht so sehr in New York – aber an vielen anderen Orten, hörst du eine rassistische und frauenfeindliche Sprache, die seit vielen Jahren so nicht mehr öffentlich zu hören war. Und in den USA blicken wir auf eine lange Geschichte des bewaffneten Widerstands des Rechtsaußen-Lagers gegen Veränderungen zurück. Trump macht sich genau diese ungelösten Spannungen in der US-amerikanischen Gesellschaft zunutze.
Sie leben bereits seit langem in den USA, sind aber in Großbritannien geboren. Welche Rolle spielt die Entwicklung Europas in den USA, im Besonderen für die Linke?
Ein spannendes Ereignis der letzten Wochen war die Wahl in Großbritannien. Viele Progressive und Linke in den USA waren positiv überrascht und ermutigt vom Ergebnis und der Unterstützung, die Jeremy Corbyn und die Labour Party erfuhren. Unsere Schlüsse daraus waren: Selbst wenn sie sagen, es sei unmöglich, es sei lächerlich, es gäbe keine Chance, ist es dennoch möglich, einen überraschenden Erfolg zu erringen – entgegen allen Erwartungen. Linke in den USA hat das beflügelt.
Welche Chancen sehen Sie für eine bessere transatlantische Zusammenarbeit der Linken?
Eine der größten Herausforderungen in den USA ist es, ein anderes Bild vom Internationalismus zu entwickeln, von Globalismus. Unsere Vorstellungen sind einzig und allein geprägt vom Globalisierungsgedanken transnationaler Unternehmen. Wir haben kein Bewusstsein für eine internationale Bewegung der Menschen.
Wenn ich mir eines erhoffen würde, wäre es zu lernen, wie wir diesen Diskurs in Europa um die Frage «Wie können wir internationale Beziehungen zwischen progressiven Bewegungen aufbauen?» auch in den USA anschieben können, wo er schlichtweg fehlt. Wir müssen daran arbeiten, weil wir keines unserer Probleme alleine in unseren Ländern werden lösen können. Wir müssen zusammenarbeiten. Aber aktuell haben wir weder Strukturen noch einen ideologischen Rahmen dafür.
Bhaskar Sunkara vom Jacobin nannte Ihre Generation eine verlorene Generation, weil Sie aufgrund der Geschichte des Sozialismus nicht wirklich in der Lage waren, SozialistInnen zu sein. Ist das jetzt anders?
Ich glaube nicht, dass ich einer verlorenen Generation angehöre. Ich war vor Ort und sprach ständig über den Sozialismus, weswegen ich das anders sehe als Bhaskar. Aber er meint wohl, dass meine Generation so war. Und das stimmt definitiv! Wir hatten die 1960er und dann haben wir heute.
Was insbesondere von den Männern gern vergessen wird, ist, dass wir in den 1970ern und 1980ern eine radikale, feministische Frauenbewegung und eine Bewegung für die Queerbefreiung hatten, bei der es nicht nur um die Themen Ehe und Militärdienst ging. Wir waren keineswegs so verloren. Und seitdem hatten wir weitere Bewegungen, die sich mit intersektionalem Feminismus und der Beziehung zwischen Hautfarbe, Gender, Queerness und internationaler Identität beschäftigen. War der Sozialismus jedoch genau so im Bewusstsein der Linken verankert wie jetzt? Ich denke Nein.
Was ist anders?
Die Menschen sprechen jetzt über den Sozialismus, 13 Millionen Menschen haben bei der Kandidatur von Bernie Sanders bei den letzten Wahlen in den USA für einen Kandidaten gestimmt, der sich selbst als Sozialist bezeichnet. Das ist etwas gänzlich Neues und es ist großartig. Es ist nicht der Staatssozialismus, aber auch nicht der industrielle Kapitalismus oder der Finanzkapitalismus. Wir sind also in diesem Moment des »etwas anderen«. Das ist aufregend.