Nach 16 Monaten neoliberaler Regierung unter dem illegitimen Staatschef Michel Temer ist die Arbeitslosigkeit im Hoch und der Hunger zurück
Von Andreas Behn, neues deutschland
Von Andreas Behn, neues deutschland
Michel Temer hat keinen Grund zum Feiern. Der Beliebtheitsgrad des Präsidenten Brasiliens liegt am Jahrestag seiner definitiven Machtübernahme im einstelligen Bereich, Tendenz fallend. Korruptionsermittlungen setzen ihn und seine Regierung ununterbrochen unter Druck. Seine Partei PMDB wird inzwischen auch von seriösen Kommentatoren unumwunden als »kriminelle Vereinigung« bezeichnet. Und obwohl Temer einige Sozialreformen ganz im Sinne der Unternehmerschaft durchsetzte, bleibt sein erklärtes Ziel in weiter Ferne: Brasiliens Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen.
»Fora Temer« – »Weg mit Temer« ist längst nicht mehr ein Slogan nur der Linken. Immer mehr Menschen in Brasilien sehen in dem Machtwechsel den Wendepunkt, seit dem das größte Land Lateinamerikas rapide in Richtung Krise, Armut, wieder aufflammende Gewalt und internationale Bedeutungslosigkeit abrutscht. Es ist aber keine Sehnsucht nach Temers Vorgängerin Dilma Rousseff, die am 31. August 2016 in einem höchst umstrittenen Verfahren ihres Amtes enthoben wurde. Im Land herrscht Ratlosigkeit über das Wohin. Und über die Frage, wie Temer wieder von der Macht gedrängt werden kann.
Die Senatsabstimmung, bei der Rousseffs Absetzung mit deutlicher Zweidrittelmehrheit beschlossen wurde, war der Schlusspunkt einer Kampagne der Konservativen, die ihre Wahlniederlage im Oktober 2014 nicht hinnehmen wollten. Der unterlegene Kandidat der konservativ-liberalen PSDB, Aécio Neves, focht Rousseffs Wiederwahl vor Gericht an, Unternehmer und die großen Massenmedien redeten die Regierung schlecht, und als der riesige Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras immer höhere Wogen schlug, wurden die Ermittlungen anfangs vor allem in Richtung der regierenden Arbeiterpartei PT gelenkt.
Nachdem die Wirtschaft nach Jahren stabilen Aufschwungs und erfolgreicher Sozialpolitik zu schwächeln begann, drehte die Stimmung im Land auf Protest. Obwohl der kommende Abschwung nur zum Teil auf hausgemachte Fehler, aber auch auf den rapiden Rückgang der Auslandsnachfrage nach Rohstoffen zurückzuführen war, ging der konservative Sud der zerstrittenen brasilianischen Gesellschaft zu Hunderttausenden auf die Straßen und forderte unisono ein Ende der PT-Herrschaft samt all ihrer fortschrittlichen Elemente im Bereich Bildung und Diversität. Dass Dilma Rousseff schon damals dem Finanzkapital entgegenkam und auf Sparpolitik setzte, wurde ihr von den Widersachern nicht gedankt, kostete sie aber wichtige Sympathien in der eigenen Basis.
Möglich wurde die Amtsenthebung jedoch nur durch den Ausstieg des wichtigsten Partners PMDB aus der Regierungskoalition. Per Dominoeffekt verlor Rousseff allen Rückhalt im Kongress, zumal alle abtrünnigen Parteien nur aus Machtinteresse, nicht aber aus Überzeugung mit der PT koalierten. Der – wahrscheinliche – Grund für den Seitenwechsel war schlicht Angst vor den Korruptionsermittlungen. In einem geheimen Gesprächsmitschnitt von PMDB-Größen ist deutlich zu hören: »Dieses Ausbluten muss ein Ende haben«, also: Da Rousseff nichts gegen die Korruptionsermittlungen unternimmt, muss sie weg. Bittere Ironie dabei ist, dass es der kaum haltbare Vorwurf von Missbrauch und Tricks bei der Haushaltsführung war, der Rousseff schlussendlich das Amt kostete. Sie selbst bezeichnet das Verfahren als Putsch.
Die Zweckallianz von liberalen Parteien, Unternehmern und Medien mit der traditionell opportunistischen Politikerkaste um die PMDB hielt nicht lange. Zwar setzte der vom Vizepräsidenten zum Staatsoberhaupt aufgestiegene Temer in Windeseile die Flexibilisierung des Arbeitsrechts um und brachte mit Kürzungen bei Sozialmaßnahmen und der Löhne öffentlicher Angestellter den von der PSDB gewünschten schlanken Staat auf den Weg. Doch schon die geplante Rentenreform steckt fest, da Abgeordnete und Senatoren der PMDB und anderer Immer-noch-Regierungsparteien um Klientel und Pfründe bangen.
Statt wirklich zu sparen, um das riesige Haushaltsdefizit zu stopfen, machte Temer Milliardenbeträge öffentlichen Geldes locker, um seiner Basis und ihren Günstlingen mit Schuldenerlassen oder Geldgeschenken entgegenzukommen. Erst Mitte August erhöhte Finanzminister Henrique Meirelles das für 2017 geplante Haushaltsdefizit um umgerechnet gut fünf auf 42,5 Milliarden Euro. Den Defizitplan für 2018 erhöhte Meirelles gar um acht Milliarden Euro.
Die Wirtschaftskrise und das Ende der Umverteilungspolitik haben mittlerweile dramatische Auswirkungen. Die offizielle Arbeitslosigkeit betrifft bereits über 15 Millionen Menschen, immer mehr arme Menschen werden in den Städten zu Straßenbewohnern, und sogar der einst erfolgreich bekämpfte Hunger ist zurückgekehrt. Ungerührt spricht der charismalose Präsident vom bevorstehenden Aufschwung, während der Groll über die Sorgen des Alltags allerorten zunimmt.
Doch dank seiner breiten Basis im Kongress sitzt Temer erstaunlich fest im Sattel. Nicht einmal die jüngsten Enthüllungen in Sachen Korruption konnten ihn stürzen: Er wurde dabei belauscht, wie er die Zahlung von Schweigegeld guthieß. Zudem sollen Temer, aber auch der angebliche PSDB-Saubermann Aécio Neves Bestechungsgelder in Millionenhöhe angenommen haben. Doch diverse Anklagen wurden von seinen Getreuen im Obersten Wahlgericht und im Kongress gestoppt. Durchaus möglich, dass Temer und seine Spießgesellen Brasilien noch bis Ende 2018 regieren werden.
Foto: Agência Brasil
Die Senatsabstimmung, bei der Rousseffs Absetzung mit deutlicher Zweidrittelmehrheit beschlossen wurde, war der Schlusspunkt einer Kampagne der Konservativen, die ihre Wahlniederlage im Oktober 2014 nicht hinnehmen wollten. Der unterlegene Kandidat der konservativ-liberalen PSDB, Aécio Neves, focht Rousseffs Wiederwahl vor Gericht an, Unternehmer und die großen Massenmedien redeten die Regierung schlecht, und als der riesige Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras immer höhere Wogen schlug, wurden die Ermittlungen anfangs vor allem in Richtung der regierenden Arbeiterpartei PT gelenkt.
Nachdem die Wirtschaft nach Jahren stabilen Aufschwungs und erfolgreicher Sozialpolitik zu schwächeln begann, drehte die Stimmung im Land auf Protest. Obwohl der kommende Abschwung nur zum Teil auf hausgemachte Fehler, aber auch auf den rapiden Rückgang der Auslandsnachfrage nach Rohstoffen zurückzuführen war, ging der konservative Sud der zerstrittenen brasilianischen Gesellschaft zu Hunderttausenden auf die Straßen und forderte unisono ein Ende der PT-Herrschaft samt all ihrer fortschrittlichen Elemente im Bereich Bildung und Diversität. Dass Dilma Rousseff schon damals dem Finanzkapital entgegenkam und auf Sparpolitik setzte, wurde ihr von den Widersachern nicht gedankt, kostete sie aber wichtige Sympathien in der eigenen Basis.
Möglich wurde die Amtsenthebung jedoch nur durch den Ausstieg des wichtigsten Partners PMDB aus der Regierungskoalition. Per Dominoeffekt verlor Rousseff allen Rückhalt im Kongress, zumal alle abtrünnigen Parteien nur aus Machtinteresse, nicht aber aus Überzeugung mit der PT koalierten. Der – wahrscheinliche – Grund für den Seitenwechsel war schlicht Angst vor den Korruptionsermittlungen. In einem geheimen Gesprächsmitschnitt von PMDB-Größen ist deutlich zu hören: »Dieses Ausbluten muss ein Ende haben«, also: Da Rousseff nichts gegen die Korruptionsermittlungen unternimmt, muss sie weg. Bittere Ironie dabei ist, dass es der kaum haltbare Vorwurf von Missbrauch und Tricks bei der Haushaltsführung war, der Rousseff schlussendlich das Amt kostete. Sie selbst bezeichnet das Verfahren als Putsch.
Die Zweckallianz von liberalen Parteien, Unternehmern und Medien mit der traditionell opportunistischen Politikerkaste um die PMDB hielt nicht lange. Zwar setzte der vom Vizepräsidenten zum Staatsoberhaupt aufgestiegene Temer in Windeseile die Flexibilisierung des Arbeitsrechts um und brachte mit Kürzungen bei Sozialmaßnahmen und der Löhne öffentlicher Angestellter den von der PSDB gewünschten schlanken Staat auf den Weg. Doch schon die geplante Rentenreform steckt fest, da Abgeordnete und Senatoren der PMDB und anderer Immer-noch-Regierungsparteien um Klientel und Pfründe bangen.
Statt wirklich zu sparen, um das riesige Haushaltsdefizit zu stopfen, machte Temer Milliardenbeträge öffentlichen Geldes locker, um seiner Basis und ihren Günstlingen mit Schuldenerlassen oder Geldgeschenken entgegenzukommen. Erst Mitte August erhöhte Finanzminister Henrique Meirelles das für 2017 geplante Haushaltsdefizit um umgerechnet gut fünf auf 42,5 Milliarden Euro. Den Defizitplan für 2018 erhöhte Meirelles gar um acht Milliarden Euro.
Die Wirtschaftskrise und das Ende der Umverteilungspolitik haben mittlerweile dramatische Auswirkungen. Die offizielle Arbeitslosigkeit betrifft bereits über 15 Millionen Menschen, immer mehr arme Menschen werden in den Städten zu Straßenbewohnern, und sogar der einst erfolgreich bekämpfte Hunger ist zurückgekehrt. Ungerührt spricht der charismalose Präsident vom bevorstehenden Aufschwung, während der Groll über die Sorgen des Alltags allerorten zunimmt.
Doch dank seiner breiten Basis im Kongress sitzt Temer erstaunlich fest im Sattel. Nicht einmal die jüngsten Enthüllungen in Sachen Korruption konnten ihn stürzen: Er wurde dabei belauscht, wie er die Zahlung von Schweigegeld guthieß. Zudem sollen Temer, aber auch der angebliche PSDB-Saubermann Aécio Neves Bestechungsgelder in Millionenhöhe angenommen haben. Doch diverse Anklagen wurden von seinen Getreuen im Obersten Wahlgericht und im Kongress gestoppt. Durchaus möglich, dass Temer und seine Spießgesellen Brasilien noch bis Ende 2018 regieren werden.
Foto: Agência Brasil