Ein Anschlag auf die Demokratie

Lula wurde ohne Beweise verurteilt. Das Verfahren gegen ihn wurde beschleunigt, um seine Kandidatur zu verhindern

Von Guilherme Boulos und Manuela d’Ávila*
Wir leben in einer Zeit des größten Angriffs auf die Demokratie seit dem Ende der Militärdiktatur. Der parlamentarische Staatsstreich, der Michel Temer an die Macht gebracht hat, die Ermordung von Marielle Franco und Anderson Gomes und die Offensive gegen Lula, vom Anschlag auf seine Karawane bis zur absurden und gesetzwidrigen Anordnung seiner Verhaftung, erfordern die Einheit der Linken im Interesse der Verteidigung der Demokratie und gegen die Eskalation der faschistischen Gewalt in unserem Land.
Boulos Manuela 2301 DilgerAls Präsidentschaftskandidaten ist uns bewusst, dass programmatische Differenzen im Hinblick auf die Wahlen unsere Einheit im Interesse einer Reaktion auf die düstere Gegenwart nicht behindern.
Das sichtbarste Antlitz des demokratischen Kampfs in Brasilien ist die rückhaltlose Verteidigung der Freiheit des ehemaligen Staatspräsidenten und, darüber hinaus seines Rechts, als Kandidat an den Präsidentschaftswahlen in diesem Land teilzunehmen. Lula ist die größte Führungspersönlichkeit in unserer Gesellschaft. Seine Entfernung aus der Politik ist eine klare Schikane. Dieser Kampf betrifft nicht nur diejenigen, die mit den Positionen Lulas und der PT einverstanden sind.
Das Ausmaß der Offensive ist viel größer. Wer der Meinung ist, dass Lula das einzige Ziel dieser Verhaftung ist, irrt sich. Seine Verhaftung ist Teil eines Anschlags auf alle fortschrittlichen Kräfte und die sozialen Rechte. Dieser Anschlag hat mit Lula nicht begonnen und wird auch mit ihm nicht enden.
Die kleinliche Entscheidung des Obersten Bundesgerichtshofs, bis zu diesem Zeitpunkt eine verfassungswidrige Maßnahme wie die Verhaftung nach der Verurteilung in zweiter Instanz vor dem Eintritt der Rechtskraft zu legitimieren, bedroht das verfassungsrechtliche Gebot der Unschuldsvermutung und das Recht auf umfassende Verteidigung eines jeden Bürgers, ganz zu schweigen von der gesetzwidrigen Ausstellung des Haftbefehls durch den Richter Sérgio Moro vor der Erschöpfung aller zulässigen Rechtsmittel.
Lula steht nicht über dem Gesetz, weder er noch irgendjemand von uns. Das gilt nicht einmal für die Richter, die ihn verurteilt haben, und die Richter des Obersten Bundesgerichtshofs, welche die strikte Erfüllung der Verfassung verweigert haben. Lula steht aber auch nicht unter dem Gesetz. Er wurde ohne Beweise verurteilt. Seine Verurteilung in zweiter Instanz wurde beschleunigt, nur um seine Kandidatur unmöglich zu machen. Dies kommt der Erzwingung des Wahlausgangs durch eine willkürliche gerichtliche Entscheidung gleich.
Durch die verfahrensrechtliche Schikane der Vorsitzenden Richterin am Obersten Bundesgerichtshof Cármen Lúcia Antunes Rocha wurde Lula sein gutes Recht auf Berufung in Freiheit verweigert. Die Verhaftung versucht ihn mundtot zu machen, die Linke zu schwächen und den Staatsstreich von 2016 zu perpetuieren.
Der Haftbefehl gegen Lula ohne einen einzigen ihn kompromittierenden Beweis, zu einem Zeitpunkt, an dem Michel Temer bei durchaus gesetzwidrigen Aussagen im Untergeschoss seines Palasts auf frischer Tat ertappt und sein direkter Mitarbeiter mit Koffern voller Geld auf den Straßen von São Paulo gefilmt worden ist, ist eine Verhöhnung der Justiz.
Nehmen wir zum Vergleich den Senator Aécio Neves, dessen skandalöse Bitte um Geld an den Fleischkonzernchef Joesley Batista von allen Brasilianern gehört worden ist und der sogar auf die Ermordung eines möglichen Denunzianten seiner Verbrechen angespielt hat. Temer ist nach wie vor im Präsidentenpalast, Neves nach wie vor Mitglied des Senats. Auf der einen Seite Beweise ohne strafrechtliche Sanktionen, auf der anderen Sanktionen ohne Beweise.
Wir setzen uns dafür ein, dass Korruptionsfälle ermittelt und geahndet werden, aber man muss mit der Argumentation, die auf die vorgebliche Bekämpfung der Korruption rekurriert, um politische Gegner zu zerstören, vorsichtig sein. Wenn Richter sich als Parteichefs gebärden, kann von Gerechtigkeit keine Rede sein.
Falls wir die Korruption bekämpfen wollen, müssen wir für eine umfassende Reform des politischen Systems eintreten, den Staat vom Einfluss wirtschaftlicher Macht freihalten und der Bevölkerung die Teilnahme an Entscheidungen ermöglichen.
Andernfalls werden wir nur Gefühle der Hoffnungslosigkeit gegenüber politischen Lösungen nähren. Das ist gefährlich, da wir damit faschistischen Lösungen ohne jegliches Engagement für Demokratie und verfassungsrechtlich verbriefte Freiheiten Tür und Tor öffnen werden.
Der Aufbau einer demokratischen Einheitsfront gegen die willkürliche Verhaftung Lulas, gegen die Eskalation der politischen Intoleranz und für die Gewährleistung freier Wahlen ist ein dringliches Anliegen. Hier sind diejenigen aufgerufen, die sich gegen die Barbarei auf die Seite der Demokratie stellen.
Die Verteidigung der Freiheit von Lula ist eine Wasserscheide in diesem Kampf. Wir werden die Straßen nicht räumen und den Kampf nicht aufgeben. Nicht nur die Wahlen stehen auf dem Spiel. Es geht um die Zukunft Brasiliens. Wir werden der Ungerechtigkeit widerstehen, ganz gleich, ob sie in Richterrobe oder Armeeuniform daherkommt.
Freiheit für Lula!

*Guilherme Boulos ist Nationaler Koordinator der Bewegung der wohnungslosen Arbeiter (MTST) und Präsidentschaftskandidat der PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit); Manuela d’Ávila ist Landesabgeordnete von Rio Grande do Sul und Präsidentschaftskandidatin der PCdoB (Kommunistische Partei Brasiliens)
Übersetzung: Peter Naumann; Foto: Gerhard Dilger

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