In Montevideo stellt die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Zeitungsbeilage zu sogenannten Freihandelsabkommen vor
Von Jürgen Vogt
Das alte Haus der Casa Bertolt Brecht im Zentrum von Montevideo gab den richtigen Rahmen ab: Um «Freihandels»abkommen und andere Vampire ging es bei der gut besuchten Abendveranstaltung, zu der die Rosa-Luxemburg-Stiftung am 19. September geladen hatte. Aufhänger war die Veröffentlichung einer achtseitigen Beilage der linken Tageszeitung la diaria zum Thema – letzte Woche tagten Abgeordnete aus Lateinamerika und Europa (Eurolat) in Uruguay.
Internationale Handels- und Dienstleistungsabkommen werden von politisch Verantwortlichen und Medien meist unter dem unverfänglichen Begriff Freihandelsabkommen präsentiert. Das seien «Vampirverträge», sagte die Politologin Susan George schon vor Jahren, wie Vampire könnten sie im Licht der Öffentlichkeit nicht überleben. Auf dem Podium saßen denn auch keine nächtlichen Finsterlinge, sondern AktivistInnen aus Südamerika und Europa – geht es doch darum, Licht ins geheime Gemauschel zwischen Regierungen und Gestalten der Privatwirtschaft und Lobbyisten zu bringen.
An Beispielen besteht kein Mangel: 2010 wurde die Verhandlungen um die Trans-Pacific-Partnership (TPP) unter der Federführung der USA aufgenommen. Zwölf Pazifik-Anrainerstaaten waren an den Geheimverhandlungen beteiligt. Vorrangig geht es um den Marktzugang von Waren und Dienstleitungen, Rechte an geistigem Eigentum, Regulierung des Arbeitsrechts und Schutz von Investitionen. Im November 2015 wurde der Vertragstext erstmals offiziell veröffentlicht und schon im Februar 2016 von den zwölf beteiligten Regierungen unterschrieben.
«Das einzige Dokument, das wir einsehen konnten, war das Kapitel über die Rechte an geistigem Eigentum und das auch nur, weil es im November 2013 von WikiLeaks ins Netz gestellt wurde», sagte Paula Muñoz Gómez von der Plataforma Chile Mejor Sin TPP. Dies sei wie eine Initialzündung für den beginnenden Widerstand gewesen. «Die Veröffentlichung durch WikiLeaks mobilisierte die bereits aktive Bewegung gegen genverändertes Saatgut und das TPP.» Inzwischen gehören der Plattform gegen das Freihandelsabkommen über 100 Organisationen an.
Derzeit macht sich Chiles sozialdemokratische Präsidentin Michelle Bachelet für die Ratifizierung des Abkommens im Kongress stark. «Die Mobilisierung dagegen geht jetzt in die heiße Phase,» berichtete Muñoz. Satz für Satz werde der Vertrag analysiert, vor allem auf die Übersetzungen müsse geachtet werden. «Was immer im spanischsprachigen Text steht, kann im Englischen mitunter ganz anders interpretiert werden. Meist steht an einer Stelle immer ‚Im Streitfall gilt das englische Original‘». Dabei werde zum Beispiel der Begriff ‚Menschenrechte‘ schon mal zu ‚Privilegien der Menschen‘ umformuliert, so die Aktivistin.
«Wir müssen heute nicht mehr darüber diskutieren, ob Freihandelsabkommen gut oder schlecht sind,» ist Luciana Ghiotto von ATTAC-Argentinien und den Asambleas Argentina Mejor sin TLC überzeugt, «wir wissen aus der Debatte um FTAA/ALCA, dass sie schlecht sind.» Beim Amerikagipfel 2005 im argentinischen Mar del Plata war die von den USA propagierten gesamtamerikanische Freihandelszone von den Präsidenten Néstor Kirchner (Argentinien), Lula da Silva (Brasilien) und Hugo Chávez (Venezuela) in Anwesenheit von US-Präsident George W. Bush endgültig vom Tisch gewischt worden – unter maßgeblicher Beteiligung sozialer Bewegungen. Noch immer werde dort vorwiegend auf die Yankees geschimpft, dabei trete auch China «mit seiner Investitionspolitik und seinen Handelsbedingungen äußerst aggressiv» auf dem südamerikanischen Kontinent auf.
Überhaupt sei die Lage sei heute komplizierter, meint Ghiotto. Es gibt unzählige multi- und bilaterale Abkommen, die in der Verhandlungsphase oder schon unterzeichnet sind, aber auch die Gegenbewegungen sind vielfältig: «In der Debatte prallen widersprüchliche Konzepte aufeinander: indigene, gewerkschaftliche, umweltpolitische… Wie können wir sie vernetzen oder gar integrieren?»
Dass heute in Europa zahlreiche Menschen gegen TTIP und CETA auf die Straße gehen, sei sehr zu begrüßen, sagte Gaby Küppers, Expertin der Grünen im Europaparlament. «Bis vor kurzem gab es in Europa keine Mobilisierung gegen die von der EU ausgehandelten Abkommen,» erinnerte sie, denn jene, die unter deren Folgen zu leiden haben, leben im globalen Süden. Auch dass die Verhandlungen der EU mit der Andengemeinschaft – Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru – deren Integrationsbemühungen nicht nur behinderten, sondern zur Spaltung und zu einem Abkommen mit Kolumbien und Peru führten, interessiert in Europa die wenigsten. Dagegen stellten die Abkommen mit den USA und Kanada erstmals eine Gefahr für die EuropäerInnen selbst dar: «Das mobilisiert die Menschen wie nie zuvor bei diesem Thema.»
Daran, dass Vereinbarungen in Freihandelsabkommen als Hebel zu Änderungen an den Grundgesetzen der Nationalstaaten benutzt werden können, erinnerte Adhemar Mineiro vom Netzwerk REBRIP. Diese Gefahr drohe gegenwärtig ganz konkret in Brasilien, wo die neue neoliberale Regierung eine Politik der radikalen Öffnung proklamiere.
«Wir haben bereits eine über zehnjährige Erfahrung mit dem Kampf gegen Freihandelsabkommen hinter uns,» stellte Natalia Carrau von REDES/Amigos de la Tierra Uruguay klar und machte damit deutlich, dass eine linke Regierung per se keine Garantie gegen solche Verträge ist – immer wieder macht sich Uruguay für eine Flexibilisierung des Mercosur stark. «Weil wir wussten, was in dem Abkommen drinsteht und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, wurde es zu einem öffentlichen Thema, vor allem die Gewerkschaften mobilisierten mit Erfolg,» erinnerte Carrau an Uruguays Ausstieg aus den Verhandlungen über das TISA-Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen vor einem Jahr. Derzeit kritisiert der Gewerkschaftsdachverband PIT/CNT den geplanten Vertrag mit Chile.
An Beispielen besteht kein Mangel: 2010 wurde die Verhandlungen um die Trans-Pacific-Partnership (TPP) unter der Federführung der USA aufgenommen. Zwölf Pazifik-Anrainerstaaten waren an den Geheimverhandlungen beteiligt. Vorrangig geht es um den Marktzugang von Waren und Dienstleitungen, Rechte an geistigem Eigentum, Regulierung des Arbeitsrechts und Schutz von Investitionen. Im November 2015 wurde der Vertragstext erstmals offiziell veröffentlicht und schon im Februar 2016 von den zwölf beteiligten Regierungen unterschrieben.
«Das einzige Dokument, das wir einsehen konnten, war das Kapitel über die Rechte an geistigem Eigentum und das auch nur, weil es im November 2013 von WikiLeaks ins Netz gestellt wurde», sagte Paula Muñoz Gómez von der Plataforma Chile Mejor Sin TPP. Dies sei wie eine Initialzündung für den beginnenden Widerstand gewesen. «Die Veröffentlichung durch WikiLeaks mobilisierte die bereits aktive Bewegung gegen genverändertes Saatgut und das TPP.» Inzwischen gehören der Plattform gegen das Freihandelsabkommen über 100 Organisationen an.
Derzeit macht sich Chiles sozialdemokratische Präsidentin Michelle Bachelet für die Ratifizierung des Abkommens im Kongress stark. «Die Mobilisierung dagegen geht jetzt in die heiße Phase,» berichtete Muñoz. Satz für Satz werde der Vertrag analysiert, vor allem auf die Übersetzungen müsse geachtet werden. «Was immer im spanischsprachigen Text steht, kann im Englischen mitunter ganz anders interpretiert werden. Meist steht an einer Stelle immer ‚Im Streitfall gilt das englische Original‘». Dabei werde zum Beispiel der Begriff ‚Menschenrechte‘ schon mal zu ‚Privilegien der Menschen‘ umformuliert, so die Aktivistin.
«Wir müssen heute nicht mehr darüber diskutieren, ob Freihandelsabkommen gut oder schlecht sind,» ist Luciana Ghiotto von ATTAC-Argentinien und den Asambleas Argentina Mejor sin TLC überzeugt, «wir wissen aus der Debatte um FTAA/ALCA, dass sie schlecht sind.» Beim Amerikagipfel 2005 im argentinischen Mar del Plata war die von den USA propagierten gesamtamerikanische Freihandelszone von den Präsidenten Néstor Kirchner (Argentinien), Lula da Silva (Brasilien) und Hugo Chávez (Venezuela) in Anwesenheit von US-Präsident George W. Bush endgültig vom Tisch gewischt worden – unter maßgeblicher Beteiligung sozialer Bewegungen. Noch immer werde dort vorwiegend auf die Yankees geschimpft, dabei trete auch China «mit seiner Investitionspolitik und seinen Handelsbedingungen äußerst aggressiv» auf dem südamerikanischen Kontinent auf.
Überhaupt sei die Lage sei heute komplizierter, meint Ghiotto. Es gibt unzählige multi- und bilaterale Abkommen, die in der Verhandlungsphase oder schon unterzeichnet sind, aber auch die Gegenbewegungen sind vielfältig: «In der Debatte prallen widersprüchliche Konzepte aufeinander: indigene, gewerkschaftliche, umweltpolitische… Wie können wir sie vernetzen oder gar integrieren?»
Dass heute in Europa zahlreiche Menschen gegen TTIP und CETA auf die Straße gehen, sei sehr zu begrüßen, sagte Gaby Küppers, Expertin der Grünen im Europaparlament. «Bis vor kurzem gab es in Europa keine Mobilisierung gegen die von der EU ausgehandelten Abkommen,» erinnerte sie, denn jene, die unter deren Folgen zu leiden haben, leben im globalen Süden. Auch dass die Verhandlungen der EU mit der Andengemeinschaft – Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru – deren Integrationsbemühungen nicht nur behinderten, sondern zur Spaltung und zu einem Abkommen mit Kolumbien und Peru führten, interessiert in Europa die wenigsten. Dagegen stellten die Abkommen mit den USA und Kanada erstmals eine Gefahr für die EuropäerInnen selbst dar: «Das mobilisiert die Menschen wie nie zuvor bei diesem Thema.»
Daran, dass Vereinbarungen in Freihandelsabkommen als Hebel zu Änderungen an den Grundgesetzen der Nationalstaaten benutzt werden können, erinnerte Adhemar Mineiro vom Netzwerk REBRIP. Diese Gefahr drohe gegenwärtig ganz konkret in Brasilien, wo die neue neoliberale Regierung eine Politik der radikalen Öffnung proklamiere.
«Wir haben bereits eine über zehnjährige Erfahrung mit dem Kampf gegen Freihandelsabkommen hinter uns,» stellte Natalia Carrau von REDES/Amigos de la Tierra Uruguay klar und machte damit deutlich, dass eine linke Regierung per se keine Garantie gegen solche Verträge ist – immer wieder macht sich Uruguay für eine Flexibilisierung des Mercosur stark. «Weil wir wussten, was in dem Abkommen drinsteht und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, wurde es zu einem öffentlichen Thema, vor allem die Gewerkschaften mobilisierten mit Erfolg,» erinnerte Carrau an Uruguays Ausstieg aus den Verhandlungen über das TISA-Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen vor einem Jahr. Derzeit kritisiert der Gewerkschaftsdachverband PIT/CNT den geplanten Vertrag mit Chile.
Beiträge aus der Beilage: die Rede von Norman Paech zum Antikriegstag, der Artikel von Adhemar Mineiro aus Brasilien und ein Interview mit Sanya Smith (englisch)
Foto: Daniel Santini