"Monsanto vergiftet die Welt"

Zwei Riesen der globalen Agrarindustrie wollen fusionieren: Bayer und Monsanto. Dagegen laufen Kleinbauern Sturm. Nicht nur für sie: Die Fusion ist eine Gefahr für die ganze Welt, meint der Agronom Miguel Lovera aus Paraguay

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Interview: Ellen Häring, Deutschlandfunk Kultur

Ellen Häring: Herzlich willkommen, Miguel Lovera, Sie sind Agronom, aber auch ehemaliger Vorsitzender der staatlichen Saatgutbehörde Paraguays – das hat mich ja sofort erstaunt, dass ein Land eine eigene Behörde für Saatgut hat. Wie kommt das? Warum ist Saatgut ein so wichtiges Thema in Paraguay?

Miguel Lovera: Saatgut ist deshalb so wichtig, weil es die Souveränität eines Landes garantiert. Vor allen Dingen betrifft das Länder, die eine große bäuerliche Bevölkerung haben. In Paraguay hängt Reichtum und Wertschöpfung immer von der Produktion in der Landwirtschaft ab. Wir sind keine Industrienation. Die wichtigste Einnahmequelle für Devisen ist die Landwirtschaft. Außerdem ist das auch die Basis unserer Kultur, unserer Werte und hierfür sind Saatgut und fruchtbare Böden die Grundvoraussetzung.

Sie sind in Deutschland zu Besuch, um über die Politik der großen Agrarkonzerne aus Sicht der Betroffenen zu informieren. In Paraguay ist – wie überhaupt in Lateinamerika – besonders Monsanto aktiv, ein Global Player im Agrobusiness, der bald mit dem deutschen Konzern Bayer fusionieren soll. Noch hat die EU allerdings kein grünes Licht gegeben. Was für Folgen hat denn der Einfluss des sogenannten Agrobusiness in Paraguay?

Zuerst einmal hat das zur Folge, dass traditionelle Produkte ersetzt werden. Da kommt ein Unternehmen, lügt und behauptet, dass seine Produkte qualitativ hochwertiger sind als andere, es bringt dann riesige Mengen von gentechnisch verändertem Saatgut auf den Markt, zum Beispiel für Mais, und die Bauern hören auf, ihre Maissorten anzupflanzen, weil sie irgendeinen Vorteil davon haben.

Was denn für einen?

Zum Beispiel wird Saatgut verschenkt. Eine bekannte Dumping-Strategie. Also Monsanto gibt dir das Saatgut umsonst, aber nach zwei oder drei Ernteperioden hast du kein eigenes Saatgut mehr. Es ist ja gentechnisch verändert, also musst du das kaufen. Dann heißt es: na ja, wir haben dir ja schon einiges geschenkt, jetzt musst du bezahlen. Aber wir sind ja nicht so, du kannst einen Kredit haben, du kannst auch in Raten bezahlen, du kannst mir auch einfach ein Pfand überlassen. Und so beginnt eine Beziehung der Abhängigkeit mit zwei schwerwiegenden Folgen: Erstens verschuldet sich der Bauer und zweitens wird die genetische Vielfalt, auf die eine Bauernfamilie zurückgreifen kann, zurückgedrängt und geschädigt.

Was meinen Sie mit «geschädigt»?

Man kann das nicht mehr kontrollieren. Nicht einmal so moderne Nationen wie die deutsche, französische, britische oder brasilianische können verhindern, dass gentechnisch veränderte Pflanzen sich mit natürlichen Pflanzen mischen. Das geht einfach nicht. Warum lassen wir zu, dass ein Unternehmen uns sagt, wir verändern mal kurz, was die Evolution geschaffen hat? Und dann lässt man uns auch noch dafür bezahlen. Wir lassen zu, dass bei uns zu Hause, in unseren Ländern, auf unseren Äckern Experimente gemacht werden, für die anschließend niemand verantwortlich sein will, wenn irgendwas schief geht.

Viehfutter verdrängt Nahrungsmittel

Über was für Pflanzen sprechen wir eigentlich, was wird in Paraguay angebaut?

Zurzeit sind 96 Prozent der besten Böden unseres Landes – und wir reden hier von 3,5 Millionen Hektar – in den Händen der Agroindustrie, sie werden von der Agroindustrie bewirtschaftet. Da wird Soja gepflanzt abwechselnd mit Mais und Weizen und Sonnenblumen.

Wird Soja in Paraguay gegessen?

Nein, das isst niemand, das wird als Viehfutter angepflanzt und um Öl zu gewinnen. Soja steht also in direkter Konkurrenz zu Nahrungsmitteln, die angepflanzt werden könnten. Im Moment werden nur auf vier Prozent der Böden Nahrungsmittel für die Bevölkerung angepflanzt.

Was sind denn die wichtigsten Nahrungsmittel in Paraguay, was essen die Menschen?

Mais ist das wichtigste Nahrungsmittel, so wie in den Andenländer, das ist unser indianisches Erbe aus präkolumbianischer Zeit. Aber man kann nicht sagen, dieses oder jenes ist wichtiger als das andere. Genau das ist es nicht, sondern die Diversität ist das Wertvollste, das wir haben. Wir haben das Wissen und die Erfahrung, wie man eine vielfältige, nachhaltige und sichere Landwirtschaft betreibt, die sich auf viele Faktoren stützt. Das ist der große Verdienst der Kleinbauern, besonders bei uns in Paraguay, wo die Bauern es geschafft haben, die verschiedenen Ernährungseinflüsse zu integrieren: die der indianischen Urbevölkerung, die der Migranten, der Eroberer – all derjenigen, die gekommen und gegangen sind seit dem Ende des 15. Jahrhunderts. Es gibt bei uns unglaubliche Vielfalt, auf der letzten Messe für Saatgut haben wir 900 Sorten gezählt! Darunter ist Mais, den die indianische Bevölkerung nur für ihre Rituale verwendet. Der Mais wird für Zeremonien gebraucht, um die eigene Identität und den Zusammenhalt zu stärken. Das ist sehr wichtig, weil diese Kulturen unter einem derartigen Druck stehen aufgrund der weltweit favorisierten Entwicklungsmodelle, weil ihr Land verhökert wird, der Lebensraum bedroht ist, die Wälder abgeholzt werden. Das ist in gewisser Weise fast noch wichtiger als der materielle Wert.

Sie sagen, nur 4 Prozent der Böden in Paraguay dienen der Versorgung der eigenen Bevölkerung. Reicht das denn?

Paraguay war früher ein Nahrungsmittelproduzent, wir haben sehr gute Qualitätsprodukte  exportiert. Obst, Zitrusfrüchte, Gemüse, Mais natürlich. Paraguay importiert aber inzwischen Lebensmittel. In städtischen Regionen werden heute 70 Prozent des Obst- und Gemüseangebots importiert.

roundupIn Deutschland ist Monsanto unter anderem wegen Glyphosat in der Kritik. Glyphosat steht unter dem Verdacht krebserregend zu sein. Monsanto war Vorreiter bei der Entwicklung von glyphosathaltigen Unkrautvernichtungsmitteln, das bekannteste heißt Roundup. Der amerikanische Kontinent war so etwas wie ein Experimentierfeld dafür. Deshalb klagen in den USA ja auch Krebsopfer gegen Monsanto. Inwiefern war Paraguay davon betroffen?

Praktisch 100 Prozent der Sojasorten sind gentechnisch verändert. Dafür zahlt man Lizenzen an Monsanto. Monsanto verkauft Sojapflanzen, die resistent sind gegen das Herbizid Roundup, das ist das derzeit meistverkaufte Unkrautvernichtungsmittel der Welt. Die Sojapflanzen von Monsanto überleben problemlos eine Roundup-Dusche, während alles andere sofort abgetötet wird: alle anderen Arten, jeder Grashalm, jede andere Pflanze. Deshalb heißt das Mittel im Volksmund nicht Roundup, sondern Allestöter.
Roundup macht den Boden unfruchtbar. Im Grunde weiß das der Bauer, er kann sich vielleicht nicht so ausdrücken wie ein Techniker, aber er weiß schon, dass solche Anwendungen ernsthafte Auswirkungen haben. Auch auf die Gesundheit: Krebs, Schädigungen von Embryonen, Zunahme von Allergien – die Folgen sind vielfältig.

Nun argumentieren aber die Agrarkonzerne wie Monsanto, dass ihre gentechnisch veränderten Pflanzen erstens nicht schädlich sind und zweitens dabei helfen, die Welternährung zu garantieren. Gäbe es ihre Produkte nicht, dann müssten noch viel mehr Menschen hungern, weil die weltweite Produktion von Nahrungsmitteln deutlich geringer wäre. Was ist daran falsch?

Das ist eine phantastische Lüge! Der größte Teil der Produktion hat nichts mit Lebensmitteln zu tun, sondern mit Viehfutter und dient damit nur indirekt der Ernährung der Menschen. Sicher, das Soja in Paraguay, das nach Europa oder nach China exportiert wird, wird für die Viehzucht verwendet, also für die industrielle Fleischproduktion dort. Aber zu einem sehr hohen Preis! Wenn man die Energiekosten nimmt, die gigantische Umweltzerstörung, die gesundheitlichen Schäden – das hat nichts zu tun mit der Ernährungssicherung der Bevölkerung. Deshalb haben wir ja heute die absurde Situation, dass immer noch eineinhalb Milliarden  Menschen hungrig zu Bett gehen, obwohl unsere landwirtschaftliche Produktion noch nie so effizient und üppig war wie heute.

 

Miguel Lovera, Agronom und ehemaliger Vorsitzender der staatlichen Saatgutbehörde Paraguays (Deutschlandradio / Ellen Häring)
Miguel Lovera, Agronom und ehemaliger Vorsitzender der staatlichen Saatgutbehörde Paraguays

«Monsanto als Unternehmen muss aufgelöst werden!»

Nachdem was Sie erzählen, darf ich annehmen, dass Sie gegen die geplante Fusion von Bayer und Monsanto sind, oder?

Lovera: Selbstverständlich. Und ich bin der Meinung – und da bin ich nicht alleine, viele andere denken genauso: Monsanto in seiner jetzigen Struktur muss komplett aufgelöst werden. Ein neues Unternehmen muss darauf verzichten, gentechnisch verändertes Saatgut überall und ohne Kontrolle auszubringen, die hochgefährlichen Pflanzengifte dürfen nicht mehr zum Einsatz kommen, das sind für mich Kriegswaffen. Und die Rücklagen, die Monsanto gebildet hat, müssen für Entschädigung und Schadensbekämpfung verwendet werden in Paraguay, in Brasilien, in ganz Afrika, in den Vereinigten Staaten – überall. Ansonsten macht das aus meiner Sicht doch keinen Sinn, auch nicht für Bayer. Bayer hat keinen so schlechten Ruf, jedenfalls folgt Bayer noch einigen ethischen Grundsätzen in seiner Geschäftspolitik. Aber jetzt macht sich Bayer die Hände schmutzig, wenn sich das Unternehmen diese lügnerische und betrügerische Hinhaltetaktik von Monsanto aneignet.

Was wollen Sie: Die Fusion verhindern oder Bayer zu einem kritischen Umgang mit Monsanto zwingen?

Lovera: Die Fusion ist unnötig, es geht nur um eine höhere Rendite, um mehr Geld. Ich glaube, diese Konzerne sollten nicht mehr Geld verdienen. Ich glaube im Gegenteil, sie sollten sich endlich in den Dienst der Gesellschaft stellen, statt sie zu vergiften. Wir müssen das verhindern. Und ja, ich bin der Meinung, dass Monsanto als Unternehmen aufgelöst werden muss. Dieses Unternehmen hat den Menschen so viel Unheil gebracht, gesundheitliche Schäden, aber auch langfristige Schäden für die Menschheit. Ihre sogenannte Biotechnologie ist in Wirklichkeit Bioterrorismus.

Fotos: Ellen Häring, Mike Mozart

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