Den allerdings musste der rechte Präsident Sebastián Piñera aufgrund der bis heute anhaltenden Proteste gegen eine der wohl extremsten Formen des neoliberalen Systems absagen.Die chilenischen Organisationen hatten sich bereits vorher nicht auf einen gemeinsamen Gegengipfel einigen können; am gestrigen Freitag traf man sich auf eine Demonstration in der Stadtmitte durch. Doch sonst blieb man meistens unter sich – sowohl in Cerrillos als auch auf dem luftigen Campus der Universität von Santiago. Auch das mediale Echo war bescheiden.„Die in den letzten Wochen erprobten Formen, sich der Politik und neuen Organisationsformen zu nähern, werden hier vertieft, diskutiert und in Forderungen kristallisiert“, sagt Lucio Cuenca von der Umweltgruppe OLCA, Partnerin der Rosa-Luxemburg-Stiftung und einer der Hauptpfeiler des Völkergipfels. Nach der Entscheidung des Präsidenten, die Verantwortung für die Folgen seiner Politik nicht zu übernehmen, wollen wir die Forderungen zusammenbringen und Gegenstrategien entwickeln.“So werden immer wieder Erwartungen und Perspektiven einer verfassungsgebenden Versammlung diskutiert, die nach einem viel diskutierten Abkommen zwischen der Regierung und den meisten Parteien der Opposition 2020 gewählt werden soll – über die Modalitäten wird noch gerungen. Der in der Pinochet-Verfassung von 1980 verankerte Wasser-Kodex etwa ist die Grundlage der totalen Privatisierung von Wasser in Chile im Interesse der Bergbau- oder Forstkonzerne und des Agrobusiness. „In drei Vierteln Chiles herrscht extreme Trockenheit“, sagt Cuenca, „die Piñera-Regierung wollte die Wasserprivatisierung vertiefen, um den Konzernen noch mehr Investitionssicherheit zu bieten“.Die Teilnahme zahlreicher Menschen vor allem aus Lateinamerika prägt die Atmosphäre und stimuliert die Diskussion über die Situation in Chile hinaus. Die unterschiedlichen Erfahrungen mit versammlungsgebenden Prozessen in der Region werden ausgetauscht, Hintergründe und Parallelen der Proteste in Bolivien, Ecuador, Kolumbien werden diskutiert. Überlebende der Militärdiktatur Pinochets denken gemeinsam mit der jungen Generation über Formen des Buen Vivir nach.
Die Entwicklung von Alternativen zum Kapitalismus und dem neoliberalen Staat liegt aber nicht nur in den Inhalten, sondern auch in anderen Prozessen politischer und sozialer Organisation: Wie im ganzen Land wird gemeinsam überlegt, diskutiert, gefeiert. Nach letzten Umfragen liegt Piñeras Popularität bei fünf bis zehn Prozent, bis auf die Drohung mit dem Militär ist die Rechte konzept- und sprachlos. Seit Salvadors Allendes Regierung der Unidad Popular (1970-73) und der Pinochet-Diktatur (1973-90) hat sich Chile grundlegend gewandelt. Mehr denn je gilt hier und heute das Motto aller Völkergipfel-Bewegten: „Eine andere Welt ist möglich“.
*Juliane Hartnack hat in Berlin und London Philosophie und Politik studiert. Sie lebte halbes Jahr in der kolumbianischen Amazonasgemeinschaft Refugio, arbeitete in einem Frauenhaus in Bogotá und ist derzeit Praktikantin bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo.