Am 27. September füllt der dritte internationale Klimastreik auch in Argentinien die Straßen. Dabei zeigt sich argentinische Klimabewegung vor allem als solidarisch und vielfältig und bezieht viele verschiedene Akteur*innen mit ein.
Von Tomke Behrmann
Jóvenes por el Clima, übersetzt Jugendliche für das Klima; sind eine der führenden Kräfte der Welle der Klimabewegung in Argentinien. Zusammen mit Fridays for Future Argentina führen sie an diesem Freitagnachmittag den Demozug an, der je nach Angaben 6.000 bis 10.000 Menschen in Buenos Aires von der Plaza de Mayo bis vor den argentinischen Kongress führt. Sie zeigen sich kämpferisch: „Si el presente es de lucha, el futuro es nuestro“ – „Wenn wir in der Gegenwart kämpfen, gehört die Zukunft uns“
Sie sind, wie überall, eine junge Bewegung. In Argentinien zeichnen sie sich aber auch durch ihre intersektionale Perspektive und ihre Verbindung der Kämpfe aus: Sie suchen und finden Allianzen, die ihnen erlauben, den Klimawandel als ganzheitliche und vielseitig verkettete Krise zu begreifen. Dabei sprechen sie nicht nur, sondern hören auch zu: den Wissenschaftler*innen, den Arbeiter*innen, den Vertreter*innen der indigenen Völker, der feministischen Bewegung, die auf der anderen Seite vor dem Kongress gleichzeitig für die legale, sichere und kostenlose Abtreibungen demonstriert. Damit zeigen sich sowohl eine vielfältige als auch solidarische Bewegung.
Vielleicht haben sie die Singularität satt, die so viele mit der Generation der Smartphones verbinden, und lernen dadurch, den Austausch zu suchen. Vielleicht, weil gerade sie wissen und zeigen können, wie diese Medien auch solidarisch nutzbar sind – während der Reden von Mercedes Pombo und Nikki Becker, zwei Sprecherinnen von Jóvenes por el Clima, steht ein Mitglied der Gruppe ganz unauffällig mit seinem Handy vor der Bühne und überträgt die Reden live zu Bruno Rodríguez, einem der anderen Sprecher, der nach seiner Rede vor der UNO noch nicht zurück in Argentinien ist.
Sie jubeln gemeinsam – miteinander, mit den anderen Bewegungen, und am gleichen Tag in zahlreichen Städten des Landes und weltweit. Es ist auch auffällig, das sie als Gruppe auf die Bühne gehen und unterschiedliche Mitglieder zu Wort kommen – sie scheinen sich gegen eine zu starke Personalisierung der Bewegung zu wehren.
Klimagerechtigkeit heißt soziale Gerechtigkeit – ein intersektionaler Kampf
Dabei wird der Kampf gegen den Klimawandel in Argentinien leider immer noch häufig als Elitenproblem gefasst. Eben deshalb ist es auch so wichtig, dass die Jugendlichen die sozialen Auswirkungen des Klimawandels in den Blick nehmen und das kapitalistische und neoliberale System als das grundlegende Problem benennen. „Justicia climatica es justicia social“ – „Klimagerechtigkeit ist soziale Gerechtigkeit“ ist immer wieder auf den Schildern zu lesen.
Besonders eindrücklich wird dies auch von den cartonerxs, den Kartonsammler*innen, verkörpert, die Teil des MTE, des Movimiento de trabajadores excluidos sind, der Bewegung der ausgeschlossenen Arbeiter*innen. Sie sind es, die als Arbeiter*innen einerseits mit stärksten unter dem kapitalistischen System leiden, und andererseits seit Jahrzehnten durch ihre prekarisierte Arbeit aktiv zum Klimaschutz betragen: Ohne sie gäbe es in Argentinien kein Recycling von Karton und Papier, sagt die 29-jährige, im MTE organisierte Dariana Pizanelli: „Deswegen demonstrieren wir heute zusammen mit den Jugendlichen“.
Gleichzeitig trägt sie mit ihren Genossinnen ein Plakat, mit demaus Müll geformtem Spruch „Argentina no es un basural“– „Argentinien ist keine Mülldeponie“. Sie weisen damit sowohl auf die im Klimawandel zum Ausdruck kommende und verstärkte globale Ungerechtigkeit hin, als auch auf das Dekret der aktuellen rechten Regierung unter Mauricio Macri, das den Import von Müll aus Europa und den USA dereguliert und erlaubt.
Widerstand – lokal und global gedacht
Die Regierung ist überhaupt immer wieder ein Thema, denn es fehlt nicht mehr viel bis zu den argentinischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen Ende Oktober. Die Jugendlichen begreifen die notwendige Multidirektionalität ihres Kampfes und Widerstands: Während die 19-jährige Mercedes Pombo den Demonstrierenden zuruft: „Natürlich ist es auch ein kultureller Kampf, den wir vom Persönlichen ausgehend bestreiten müssen“, machen die Jugendlichen auch klar, dass es ihnen um mehr als reine Bewusstwerdungsprozesse der Bevölkerung geht. Sie fordern konkrete politische Maßnahmen und rahmen die Klimakrise dabei immer wieder Menschenrechtsfrage.
Auch in Folge dieser Forderungen hatte Argentinien als erstes lateinamerikanisches Land im Juli 2019 den ökologischen und klimatischen Notstand ausgerufen. Die Jugendlichen sprachen schon vor dem nationalen Kongress und Mitte September erregte die Rede von Bruno Rodríguez vor dem Weltklimagipfel der UNO, die auf die Rede von Greta Thunberg folgte Aufmerksamkeit. Damit legen die Jóvenes por el Clima zumindest theoretisch die Grundlagen in der internationalen Bewegung, mit ihrer doppelten Betroffenheit und Positionierung aus dem globalen Süden eine aktivere Rolle zu spielen.
Denn zumindest die Demonstrierenden in Buenos Aires zeigen ihr globales Verständnis sowohl des Problems und des Widerstands dagegen. Davon zeugen die vielen Sprüche, die aus der internationalen Bewegung bekannt sind und ins Spanische übersetzt wurden – wie System Change, not Climate Change und Bezüge auf Greta Thunberg genauso wie Hinweise auf die (neo-)kolonialen Auswirkungen des Klimawandels und die 500-jährige Geschichte der Plünderung und des Raubes ihres Landes und Kontinents.
Inwieweit es gelingt, diesen lateinamerikanischen Fokus in der internationalen Klimadebatte zu etablieren, wird sich auch in Zusammenhang mit der COP25, der großen Klimakonferenz Anfang Dezember in Chile, zeigen. Bis dahin werden die Jugendlichen und ihre Verbündeten in Argentinien wohl weiter auf die Straße gehen – antikapitalistisch, solidarisch und gemeinsam vielfältig, für ihre Zukunft und die anderen.